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Ein Oldie hat alles im Griff: Frank Bär fordert seine Schüler.

© Sven Darmer

„Der ist so fit, das ist enorm“: Frank Bär ist Berlins ältester Sportlehrer

Mit 74 ist noch lange nicht Schluss: Frank Bär unterrichtet an der Grundschule in der Köllnischen Heide - mit Kommandostimme und Einfühlungsvermögen.

Frank Bär wartet am Eingang der Sporthalle, ein paar Meter vom Sportplatz der Grundschule in der Köllnischen Heide entfernt. Auf dem Kunstrasen wird die 6b heute Sportunterricht haben.

Bär, der Sportlehrer, könnte jetzt, im neuen Schuljahr, natürlich auch wieder in die Halle, die Corona-Regeln sind nicht mehr ganz so streng wie vor den Ferien, aber die Hitze brennt, Bär steht mit Sonnenbrille, schwarzem T-Shirt und schwarzen Turnhosen an der Tür, kein Mensch geht an diesem Tag freiwillig in eine Halle.

Einzeln tauchen die Schüler der 6b aus der Kabine auf, mit Mundschutz wie vorgeschrieben, den müssen sie bis zum Sportplatz tragen. Bär kontrolliert das, er sagt aber auch: „Du und du, ihr tragt die Stäbe, und ihr da hinten nehmt die Kästen, aber jeweils zu zweit bitte.“ Die Kästen sind kniehoch, nichts Gewaltiges.

Bär trägt natürlich einen Kasten allein. Er geht sechsmal in der Woche ins Fitnessstudio, er spielt zudem einmal in der Woche Badminton. Vor zwei Jahren hat er auch noch die Ausbildung zum Rettungsschwimmer gemacht, er ist auch Schwimmlehrer, da ist dieser Kurs vorgeschrieben. Zur Prüfung gehörte, dass er 25 Meter am Stück tauchen musste.

Da war Bär 73 Jahre alt. Im Oktober feiert er seinen 75. Geburtstag, der älteste aktive Sportlehrer in Berlin.

Die Schulleiterin holte ihn aus dem Ruhestand

Astrid-Sabine Busse, die Schulleiterin, hat ihn 2012 mit einem Honorarvertrag eingestellt. Bär war schon zwischen 1992 und 2002 Lehrer an der Neuköllner Grundschule, Fächer: Deutsch, Sport, Mathematik, Biologie, Busse kannte ihn. Damals holte sie ihn, weil sie Personalmangel hatte. Heute sagt Astrid-Sabine Busse: „Von mir aus kann er bis zu seinem 80. Geburtstag arbeiten. Der ist so fit, das ist enorm. Und er ist zuverlässig, kompetent und beliebt.“

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Vor allem besitzt Bär diese Mischung aus Autorität und Einfühlungsvermögen, die einen guten Trainer ausmacht. Sein Tonfall ist hart, als er auf dem Platz sagt: „6b, Kästen abstellen, Stäbe hinlegen, setzen.“

In Form. Frank Bär geht fast täglich ins Fitnessstudio und spielt zudem Badminton.
In Form. Frank Bär geht fast täglich ins Fitnessstudio und spielt zudem Badminton.

© Sven Darmer

Der 74-Jährige demonstriert durchaus seine Kommandostimme. Aber er bindet auch alle Schüler ein, bei ihm ist Sportunterricht keine reine Leistungsschau - sondern trotz des Tonfalls eine durchaus feinfühlige Angelegenheit.

Auf dem Programm steht heute Grundlagentraining, Ausdauer, Geschicklichkeit. Die Kästen stehen im Abstand von fünf Metern nebeneinander nahe einer Seitenlinie. Gegenüber, 40 Meter entfernt, an der anderen Seitenlinie, hat Bär gelbe Plastikhütchen platziert.

Aufgabe für die 6b, die in zwei Gruppen hinter den Kästen aufgeteilt ist: Die Teams sollen in möglichst geschlossener Formation um die Hütchen laufen und als Gruppe wieder am Kasten ankommen.

Die Langsameren werden mitgezogen

Die Gruppen bestehen, wie üblich, aus sportlichen, schlanken Elf- und Zwölfjährigen und Schülern, die sich erkennbar mit Übergewicht bewegen. „Wir helfen unseren Schwergewichten“, sagt Bär auf dem Platz, „die dürfen sich an einer Stange festhalten, die ein sportlicher Junge oder ein sportliches Mädchen vorne hält. So werden sie gezogen. Falls jemand nicht mitkommt, läuft der Vordere etwas langsamer.“

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Sinn der Übung: Der Teamgeist wird gestärkt, die Schwächeren haben das Gefühl, dass sie mithalten können und nicht demonstrativ hinterher keuchen müssen. Ein gutes pädagogisches Mittel.

Natürlich sind diese Fähigkeiten nicht vom Alter abhängig, andere Sportlehrer machen das auch. Aber Bär beherrscht sie eben, genau deshalb ist er so beliebt in der 6b. Ein Elfjähriger sagt: „Er ist streng, aber ich finde ihn gut, er hat uns sehr viel beigebracht.“ Und ein Mädchen, ein Jahr älter, sekundiert: „Er ist sehr nett und fair, er hat uns charakterlich weitergebracht. Wir alle wären traurig, wenn er aufhörte.“

"Er hat geheult, wenn er nicht gewonnen hat"

Charakterlich, damit meint die Zwölfjährige die Werte, die Bär seiner Klasse vermittelt. Einer aus der 6b trägt leuchtend grüne Schuhe, ein quirliger Typ. „Er ist der beste Sportler der Klasse“, sagt Bär. „Aber er hat lange nur eine Zwei im Sport bekommen, weil er nicht gelernt hat, mit Niederlagen umzugehen. Er hat sich auf den Boden geworfen und geheult, wenn er nicht gewonnen hat.“

Also hat ihm Bär, geduldig, immer wieder, klar gemacht, dass eine Niederlage zum Sport, zum Leben gehört. Und dass jeder gewinnen könne. Aber es ist viel mehr wert, wenn jemand damit klar kommt, dass er verloren hat. „Inzwischen hat er es begriffen“, sagt Bär. Der Junge hat nun eine Eins im Sport.

Vermitteln von Werten, das ist für Bär einer der wichtigsten Maßstäbe. Er unterrichtet in der 6b auch Naturwissenschaften, und eine Schülerin sagt lächelnd: „Früher haben wir da ein wenig geschummelt, aber jetzt machen wir das nicht mehr.“

Doch auch Bär muss sich, wie alle Sportlehrer, an die Corona-Regeln halten. Natürlich schränkt das den Unterricht ein, aber Bär nimmt es hin wie Wind und Regen. Geht ja allen so. Keine Kontaktspiele, Maskenpflicht auf dem Weg zum Sport, viel Hände waschen. Jedes Kind hat eine Tupperdose für seine Maske dabei.

„Ich bin streng, aber wir mögen uns. Sie spüren, dass ich mich um sie kümmere“

Bär will die 6b auf jeden Fall noch bis zum Schuljahresende begleiten. Was dann passiert, weiß er noch nicht. Astrid-Sabine Busse jedenfalls „wäre betrübt, wenn er nach diesem Schuljahr aufhören würde“.

Es sieht allerdings im Moment noch nicht danach aus. Bär hat keinen Garten, den er pflegen muss, sein Sohn ist längst erwachsen. „Ich habe Zeit, und es macht mir einfach Spaß.“

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Vor Jahrzehnten spielte er in der DDR Handball auf Leistungsniveau. Er war 23, als ihm endgültig klar wurde: Es reicht nicht für ganz oben. Also studierte er in Halle auf Lehramt und unterrichtete ab 1978 in einer Berufsschule in Ost-Berlin.

1984 stellte er einen Ausreiseantrag, damit endete jäh die Laufbahn des Pädagogen Bär. Bis zur Wende arbeitete er im Wohnungsamt Köpenick, legte nach der Wiedervereinigung sein zweites Staatsexamen ab und kam nach seinem Referendariat 1992 an die Grundschule in der Köllnischen Heide. Nach zehn Jahren wechselte er an die Alfred-Nobel-Realschule, bis er mit 65 in Pension ging.

Astrid-Sabine Busse holte ihn aus dem Ruhestand zurück, fünf Jahre lange verpflichtete sie Bär auf Honorarbasis, seit 2017 ist der Sportlehrer bei der Senatsverwaltung für Bildung angestellt, jeweils mit einem Ein-Jahres-Vertrag. Allerdings nur mit einem Wochenkontingent von zehn Stunden. Bär hätte kein Problem damit, „auch 20 Stunden zu unterrichten“, aber dann müsste er Abstriche an seiner Pension machen, und das möchte er nicht.

So wirkt er halt nur zehn Stunden auf seine Schüler ein. „Ich bin streng, aber wir mögen uns. Sie spüren, dass ich mich um sie kümmere“, sagt Bär. „Sie können mich Tag und Nacht anrufen. Bei uns ziehen auch die Schwergewichtigen mit.“

Etwa ein Elfjähriger im schwarzen T-Shirt, geschätzt zehn Kilogramm zu schwer. Er steht nach dem Lauf zur Seitenlinie schwer atmend am Kasten, aber wirkt durchaus zufrieden. Bär nickt in seine Richtung und sagt fast schon stolz: „Er hat im Sport jetzt so viel Spaß, dass er in einen Ringerverein gegangen ist. So muss es sein.“

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