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Mobbing findet heutzutage auch verstärkt in der digitalen Welt statt. Ein Bereich, auf den die Schule kaum Zugriff hat.

© dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Cybermobbing an Schulen: Berliner Schüler lästern auf Instagram

Auf Instagram verbreiten Schüler anonym Gerüchte oder brüsten sich mit ihren Taten. Noch reagieren viele Lehrer ratlos.

Ein neuer Trend im Internet versetzt Lehrer und Eltern in Sorge: sogenannte „Beichtstühle“ auf dem Social-Media-Portal Instagram. Dort schreiben Schüler von Gymnasien und Sekundarschulen in kurzen, anonymen Botschaften, wen sie an ihrer Schule hübsch oder hässlich finden, was sie angestellt oder welche sexuellen Erfahrungen sie mit wem gemacht haben. Schüler schreiben per Mail an den Administrator des Beicht-Profils, der die Beiträge dann anonymisiert online stellt. Eine harmlose Botschaft kann zum Beispiel lauten: „Ich w/14 beichte, dass ich Schüler xy süß finde.“ Manche brüsten sich, geklaut oder Alkohol getrunken zu haben – oder sie schreiben, wer das ihrer Meinung nach tut. Oft hat man den Eindruck: Je heftiger ein anderer bloß gestellt wird, desto mehr Gefällt-mir-Angaben erzielt ein Beitrag.

Wann ist die Grenze überschritten? Kinder und Jugendliche können oft nicht einschätzen, ob ihre Worte einen anderen Menschen verletzen. Doch wenn Behauptungen oder Verleumdungen erst einmal im Netz kursieren, lassen sie sich nicht so schnell zurücknehmen. Die Beichtstühle erinnern an die Internetplattform „Isharegossip“, auf der Schüler bis 2011 anonym Gerüchte verbreiteten. Es gab Amokdrohungen, zahlreiche Kinder und Jugendliche litten unter massivem Cybermobbing. In einem Fall wurde in Wedding ein Junge von Mitschülern angegriffen und schwer verletzt. Die Webseite wurde schließlich auf den Index gesetzt und nach einem Hackerangriff stillgelegt.

Landesschülerausschuss: "Die Seiten sind weit verbreitet"

Der Landesschülerausschuss (LSA) warnt vor den Beichtstühlen. „Wir haben uns berlinweit an den Schulen umgehört – diese Seiten sind sehr verbreitet“, sagt LSA-Vorsitzender Konstantin Gülden. Den Verfassern sei vielleicht nicht klar, dass sie mit den Botschaften reale Menschen treffen können. Cybermobbing- und Medienexperte Michael Retzlaff vom Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) spricht von „menschenverachtenden und Persönlichkeitsrechte tretenden Aktivitäten“. Hilferufe von Schulen oder Anfragen nach fachlicher Unterstützung hätten ihn aber noch nicht erreicht.

Bei den Schulleitungen kommt das Phänomen offenbar erst langsam an. Und noch herrscht weitgehend Ratlosigkeit, was man dagegen tun kann. Eine Beichtstuhlseite gibt es unter dem Account „deinbeichtstuhlcanisius“ auch für das katholische Canisius-Kolleg. Rektor Pater Tobias Zimmermann spricht von einem Lernprozess: „Das Entwickeln von menschlichem Anstand gehört zum Erwachsenwerden dazu.“ Die Schule lege Wert auf Prävention, ab der fünften Klasse würden die Schüler über den bewussten Umgang mit Medien aufgeklärt. Zimmermann hat sich in einem Brief an alle Schüler gewandt und die Verfasser aufgefordert, die Beiträge zu löschen.

Lehrer sehen wenig Handlungsmöglichkeiten

Das Profil „barnim.beichtstuhl“ von Schülern des Barnim-Gymnasiums in Falkenberg hat mit rund 250 Abonnenten relativ großen Zulauf. Schulleiter Detlef Schmidt-Ihnen wusste bis vor Kurzem nichts davon. Er könne als Schulleiter „nicht auf jegliche Fake News reagieren“, zumal er selbst keinen Instagram-Account habe. Die Schule würde sich nun aber darum kümmern – in welcher Weise, ließ er offen. An anderen betroffenen Schulen sehen die Leiter bisher keine Handlungsmöglichkeit. „Weil die Beiträge anonym sind, können Lehrer wenig tun“, sagt der Direktor des Primo-Levi-Gymnasiums in Weißensee. Ähnlich äußern sich die Leitungen der Best-Sabel-Schule in Köpenick und der Anna-Essinger-Schule in Lichterfelde.

„Wir brauchen mehr Prävention“, sagt dagegen Schülersprecher Konstantin Gülden. „Jeder Schüler sollte verbindlich mindestens einmal im Schulleben eine Lerneinheit über Cybermobbing mitmachen.“ Es gebe zwar schon Angebote, doch nicht flächendeckend. „Außerdem müsste es an jeder Schule ein oder zwei Lehrer geben, die sich mit neuen Entwicklungen auskennen. Das kann man nicht von allen Lehrern erwarten, weil sich die digitale Welt so schnell ändert.“

Selbstverpflichtung der Schüler könnte helfen

Die Sprecherin von Senatorin Sandra Scheeres (SPD), Beate Stoffers, verweist darauf, dass im Zuge des „Isharegossip“-Problems viele Schulen gute Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen gemacht haben: Schüler unterschreiben, dass sie sich gegen Cybermobbing und für einen respektvollen Umgang miteinander einsetzen. Stoffers weist zudem auf die neuen Rahmenlehrpläne hin, die ab dem Schuljahr 2017/18 gelten, und in denen Medienbildung einen großen Stellenwert habe. Da die Mediennutzung aber vor allem privat stattfinde, seien auch die Eltern gefragt, bei ihren Kindern auf einen verantwortungsvollen Umgang mit den Medien hinzuwirken.

Und was kann man konkret gegen die Beichtstuhlseiten tun? Einige Schulen haben Strafanzeige gestellt, und die Seiten wurden daraufhin gelöscht. Bei Instagram kann man sich aber einfach unter einem anderen Namen einen neuen Account erstellen. So haben es beispielsweise Schüler des Emmy-Noether-Gymnasiums in Köpenick gemacht.

Wichtig sei, dass die Aktivitäten gestoppt und das Opfer vor Wiederholungen geschützt werde, sagt Lisum-Experte Retzlaff. Dafür gebe es verschiedene Wege. Man müsse die Schwere des Falles und die Situation analysieren. Er rät eine Zusammenarbeit von Lehrern, Eltern und gegebenenfalls Schulpsychologen an. Zudem müsse es an der Schule Maßnahmen zur Prävention und Intervention geben. Auch eine Strafanzeige sei eine Möglichkeit zu reagieren. Diese müsse mit Beweisen wie zum Beispiel Screenshots gut vorbereitet werden.

Polizei rät zur Anzeige

Petra Sindermann von der Zentralstelle für Prävention des Landeskriminalamtes empfiehlt, die Polizei zu alarmieren. „Zu ermitteln, ob wirklich ein Straftatbestand besteht, ist schließlich die Aufgabe der Polizei. Überhaupt nicht zu reagieren, ist die schlimmste Reaktion.“ Wenn Strafanzeige gestellt werde, müssten Lehrer und Polizei zusammen arbeiten: „Es sollte keinen Alleingang geben.“

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