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Der Name des US-Bürgerrechtlers Martin Luther King schmückt seit 2011 keine Berliner Schule mehr.

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Verlorene Berliner Schulnamen: Legendär, beliebt, berühmt – vergessen?

200 Schulnamen sind verloren gegangen, weil die Schulen geschlossen wurden. Jetzt soll es neue Schulen geben, das könnte die Namen zurückbringen – vielleicht.

Sie waren Künstler, Forscher, Politiker, Entdecker, Philosophen, Geistliche oder Widerstandskämpfer – und es gab Zeiten, zu denen sich eine ganze Schulgemeinschaft hinter ihren Namen versammeln wollten. Wie zeitlos sind solche Entscheidungen?

Mit der Zeitlosigkeit ist das so eine Sache. Ein Geburtenknick kann eben mal so 200 Namen ausradieren. Und eine Reform geht noch mal weiteren Dutzenden Namen an den Kragen, sofern sie Fusionen mit sich bringt. Und dann? Aus den Augen, aus dem Sinn?

Diese Frage dürfte bald zu beantworten sein, denn in den nächsten Jahren stehen rund 60 Neugründungen von Schulen an – womit es jede Menge Anlässe gäbe, Namen zurückzuholen. Namen, die wichtig sind für Berlin. Namen, die nicht vergessen werden sollten. Die Frage ist nur: Sehen das die betroffenen Schulgemeinschaften auch so? Eher nicht. Und dafür gibt es auch bereits die ersten Anhaltspunkte – in Gestalt einiger jüngerer Namensgebungen.

Auch Erich Maria Remarque (1898-1970), der Autor von "Im Westen nichts Neues", gab seinen Namen einer Berliner Schule.
Auch Erich Maria Remarque (1898-1970), der Autor von "Im Westen nichts Neues", gab seinen Namen einer Berliner Schule.

© picture alliance / Everett Colle

Beispiel Friedrichshain: Als die 34. Grundschule nicht mehr nur als Zahl durch die Gespräche von Eltern, Lehrern und Schülern geistern wollte, besannen sich die Betroffenen nicht auf einen der vielen abgewickelten Namenspaten wie Cervantes, Archimedes oder Enid Blyton, sondern nahmen sich den Namen der zeitgenössischen britischen Verhaltensforscherin Jane Goodall.

Seit Jahren werden die abgewickelten Schulnamen ignoriert

Beispiel Spandau: Als die Charlie-Rivel-Grundschule den Namen des berühmten Clowns wegen dessen Nähe zum Faschismus loswerden wollte, griff sie nicht zu Remarque, Uhland oder Eosander, sondern suchte sich den Namen des gerade verstorbenen Schriftstellers Peter Härtling aus.

Beispiel Lichtenberg: Nachdem dort eine Grundschule vor etwa einem Jahr neu gegründet worden war, standen weder Theodor Fontane noch Fridtjof Nansen zur Debatte, sondern die Wahl fiel auf den beliebten jüdischen Quizmaster Hans Rosenthal, der bis Kriegsende in der Nähe der Schule vor den Nazis versteckt worden war.

Beispiel Tempelhof: Nachdem die Werner-Stephan-Hauptschule mit der Dag-Hammarskjöld-Realschule fusioniert worden war und ein gemeinsamer Name gefunden werden musste, entschied man sich nicht für einen Widerstandskämpfer wie Stauffenberg oder Heinrich Grüber, sondern für Johanna Eck, die in der Nazizeit Juden versteckt hatte.

Seit fast 20 Jahren trägt keine Berliner Schule mehr den Namen des Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg.
Seit fast 20 Jahren trägt keine Berliner Schule mehr den Namen des Hitler-Attentäters Claus Graf Schenk von Stauffenberg.

© picture alliance/dpa

Und doch könnte es sein, dass der eine oder andere alte Name wiederkommt. Aber welche könnten es sein?

Schlecht dürfte es um Werner Stephan stehen. Die Namensgebung im Jahr 1958 stand noch ganz im Zeichen der Nachkriegszeit: Stephan war ein legendärer Polizeifeuerwerker und bezahlte diesen Beruf mit seinem Leben: Der 40-Jährige starb am 17. August 1957 auf dem Sprengplatz Grunewald beim Entschärfen einer sowjetischen Granate. Tausende Berliner kamen zu seiner Beisetzung, denn sie wussten, dass er ihnen quasi immer wieder das Leben gerettet hatte mit seiner Arbeit. Und da er mit seiner Familie in Tempelhof lebte, erhielt eine dortige Schule seinen Namen. Heute käme niemand mehr auf die Idee, eine Schule nach ihm zu benennen: Die Nachkriegszeit ist einfach zu lange vorbei, auch wenn noch gelegentlich Bomben aus dem Erdreich geholt und entschärft werden müssen.

Eine Jahrhundertfigur, die einer Schulgemeinschaft viel zu sagen hätte: Theodor Fontane (1819-1898)
Eine Jahrhundertfigur, die einer Schulgemeinschaft viel zu sagen hätte: Theodor Fontane (1819-1898)

© Jens Kalaene/ZB/dpa

Ganz anders könnte es sich mit Theodor Fontane verhalten: In diesem Jahr wird sein 200. Geburtstag gefeiert und er ist – zumindest in Berlin und Brandenburg – so populär wie eh und je. Kaum ein märkischer Ort kommt ohne eine Fontane-Schule aus. In Berlin gab es sogar zwei Schulen, die seinen Namen trugen: Die Theodor-Fontane-Grundschule in Malchow verschwand im Zuge des Schulsterbens Anfang dieses Jahrhunderts, und der Moabiter Fontane-Realschule erging es wenig später ähnlich. Schwer vorstellbar, dass sich in den nächsten Jahren keine Schule finden sollte, die Gefallen an diesem berühmten Namen findet: „Fontane wäre der ideale Namensgeber für eine Schule in Berlin“, findet der Lichtenberger Gymnasiallehrer und Fontaneexperte Robert Rauh. Das erzählerische Werk des Schriftstellers und seine vielbändigen „Wanderungen“ seien „identitätsstiftend“ für die Region und seine Romane und Lyrik gehörten noch immer zum schulischen Literaturkanon.

Aber Fontane sei noch viel mehr: Sein beruflicher Weg vom Apotheker zum anerkannten Schriftsteller zeige, „dass man an seinen Lebenstraum nicht nur glauben, sondern dafür auch arbeiten sollte“, sagt Rauh. Und: Lebte Fontane heute, „wäre er sicher ein erfolgreicher Blogger“, ist sich Rauh sicher.

Genialer Außenseiter: Der Schriftstellers Heinrich von Kleist (177-1811).
Genialer Außenseiter: Der Schriftstellers Heinrich von Kleist (177-1811).

© picture alliance /Patrick Pleul/dpa

Ebenso befremdlich wie das Fehlen einer Fontane-Schule in Berlin wirkt die Tatsache, dass auch Heinrich von Kleists Name noch nicht aufs Schulportal zurückgeholt wurde, seitdem das gleichnamige Gymnasium mit der Menzel-Schule zum Gymnasium Tiergarten verschmolzen wurde. Und dass es keine Schule mehr gibt, die an den Hitler-Attentäter Stauffenberg erinnert, kann eigentlich auch nicht das letzte Wort sein: Sein Name fiel ebenfalls vor knapp 20 Jahren dem Schülerrückgang zum Opfer.

Mahatma Gandhi, gewaltloser Freiheitskämpfer und Asket (1869-1948)
Mahatma Gandhi, gewaltloser Freiheitskämpfer und Asket (1869-1948)

© AFP

Neben diesen drei Namen, ohne die es eigentlich nicht geht in Berlin, gibt es aber noch viele andere große Namen wie Mahatma Gandhi, Marco Polo, Archimedes oder Cervantes, die einer Schulgemeinschaft ohne Frage viel mitgeben könnten. Zumal bei einem bestimmten Profil. Eine mathematisch-naturwissenschaftliche Schule könnte sich Archimedes auf die Fahnen schreiben, und eine Schule mit Spanisch-Schwerpunkt könnte zu Cervantes greifen und beispielsweise eine Schulpartnerschaft mit seiner Weltkulturerbe-Geburtsstadt, Alcalá de Henares, organisieren.

Der Grieche Archimedes (287-212) gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker der Menschheit.
Der Grieche Archimedes (287-212) gilt als einer der bedeutendsten Mathematiker der Menschheit.

© Wikimedia

Es muss passen – so viel steht fest. Daher hat sich Berlins zweite Staatliche Internationale Sekundarschule in Wilmersdorf auch weder für Fontane noch für Cervantes entschieden, nicht einmal für Martin-Luther-King, sondern für die erste Afrikanerin, die 2004 den Friedensnobelpreis erhielt: Seit März prangt der Name Wangari Maathais auf dem Schild vor der Schule, die in den nächsten Jahren von Wilmersdorf aus in das ehemalige Gebäude des Kleist-Gymnasiums in Tiergarten umziehen soll.

Marie-Elisabeth von Humboldt: Eine Grundschule in Berlin-Wartenberg trug ihren Namen.
Marie-Elisabeth von Humboldt: Eine Grundschule in Berlin-Wartenberg trug ihren Namen.

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Wer all den berühmten Namen misstraut, weil die meisten doch irgendwann aus der Mode kommen, kann auch einen anderen Weg wählen und sich für eine geografische Komponente entscheiden. In Friedrichshain etwa wurde durch das Schulsterben so ein malerischer Name wie „Grundschule am Märchenbrunnen“ frei, und auch „Grundschule in der Luisenstadt“ klingt nach einem angenehmen Stück Heimatkunde mit der richtigen Portion Schönheit und historischer Bedeutung. Also nichts wie ran.

Händler, Fernreisender, Erzähler: Marco Polo 1254-1324
Händler, Fernreisender, Erzähler: Marco Polo 1254-1324

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Aber zunächst einmal muss die erste der 60 neuen Schulen bezogen sein: Ohne Votum von Schülern, Lehrern und Eltern gibt’ s keinen Schulnamen.

Mal sehen, ob Fontane, Kleist und all die anderen noch Schulgemeinschaften für sich gewinnen können oder ob sie weiterhin ignoriert werden – so wie die vielen anderen ehemaligen Schulnamensstifter, die Erich Maria Remarque hießen, Carl Blechen, Heinrich Grüber, Olof Palme, Marie-Elisabeth von Humboldt, Hans Fallada, Julius Rodenberg, Johannes Fechner, Theodor Plievier, Georg Forster oder Richard Schröter.

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