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Lehrer und Schüler im Unterricht.

© Julian Stratenschulte/dpa

Berlin als Schlusslicht im Länderranking: „Allein schaffen die Grundschulen es nicht“

Berlins Viertklässler bleiben im Bundesvergleich abgeschlagen. Was läuft schief? Und was muss jetzt passieren?

Ganztag, Früheinschulung, jahrgangsübergreifendes Lernen, Fachcoaches, Bonusprogramm, verbindlicher Grundwortschatz, rund 1000 Stellen zur Sprachförderung: Die Liste der Berliner Versuche, aus dem tiefen Tal der bundesweiten Verlierer herauszukommen, ist lang. Dennoch reichte es beim letzten Leistungsvergleich der Viertklässler, der am Freitag vorgestellt wurde, wieder nur für eine Fünf minus. Warum?

Die Antworten, die seit Freitag gegeben werden, kreisen vor allem um die Qualität des Unterrichts, genauer gesagt: um die fehlende Unterstützung der Lehrer bei der Unterrichtsentwicklung. Insbesondere fehle es an praktikablen Beispielen, lautet der Hauptvorwurf des Berliner Grundschulverbands an die Adressen der Universitäten und Fortbildungsinstitutionen, darunter das Landesinstitut für Schule und Medien (Lisum).

"Wir brauchen eine andere Fortbildung"

„Die Schulen brauchen praxisnahe Handlungsanweisungen“, fordert Lydia Sebold vom Vorstand des Grundschulverbandes. Und die Fortbildner müssten möglichst direkt in die Schulen kommen, „damit alle einbezogen werden“. Sebold gibt FU-Schulentwicklungsforscherin Felicitas Thiel recht, die im Interview mit dem Tagesspiegel von einem „Stille-Post- Spiel“ gesprochen hatte: Wenn nur zwei Lehrer pro Schule zu Fortbildungen abgeordnet würden, ginge auf dem Weg in den Schulalltag des gesamten Kollegiums zu viel verloren.

Die Vorstellung, dass Schulen ihren Unterricht aus eigener Kraft grundlegend verbessern könnten, ist laut Sebold unrealistisch: Bei 28 Wochenstunden Unterrichtsverpflichtung fehle schlicht die Zeit, um aufwendige Konzepte zu erarbeiten, zumal die Umsetzung der neuen Rahmenpläne und die entsprechende Schulung aktuell viele Ressourcen absorbiere.

Die Oberschulen haben mehr Personal

Angesichts der großen fachlichen Herausforderungen, vor denen die Lehrer – zumal in den Zeiten der Inklusion und Flüchtlingszuwanderung – stehen, ist Sebold empört darüber, dass die Grundschulen kaum zusätzliche Ressourcen für die interne Entwicklung bekommen: Während die Oberschulen über Fachleiter und Fachbereichsleiter verfügen, haben die Grundschulen keine personellen Reserven, um inhaltlich voranzukommen. Zwar wollte die rot-rot-grüne Koalition Abhilfe schaffen, doch von zunächst zwölf und dann sechs avisierten Wochenstunden blieb erstmal nur eine Stunde übrig. „Grauenhaft“ ist das Wort, das Sebold dazu spontan entfährt.

Angesichts dieser Vorzeichen wäre es umso wichtiger, dass die Lehrer optimal ausgebildet an die Schulen kommen. Davon kann allerdings keine Rede sein. Es ist nicht nur so, dass seit Jahren zu wenig Absolventen produziert werden, sondern auch die Qualität wird kritisiert, weil die Hochschulen sich bei ihren Berufungen nicht auf die Bedürfnisse der Grundschulen eingestellt haben: Wie berichtet, gab es – trotz eines stetig wachsenden Migrantenanteils – bis vor Kurzem noch in Berlin nicht einmal eine einzige Professur für Deutsch als Zweitsprache. Die künftigen Lehrer sind somit nicht auf der Höhe der Zeit, was die Erkenntnisse über die Mechanismen beim Erwerb einer weiteren Sprache anbelangt.

Kritik an der Berufungspolitik der Hochschulen

Aber auch in anderen Disziplinen achtet Berlin offenbar nicht darauf, die Weichen richtig zu stellen. Schulforscherin Thiel jedenfalls deutete im Interview an, dass es Optimierungsspielraum gebe: „Vorbildlich“ sei die Berufungspolitik in Potsdam, sagte sie – und ergänzte, es sei wichtig, dass die Studierenden in Mathematik, aber auch in Sprachförderung und Diagnostik geschult würden „und lernen, entlang der Bildungsstandards zu unterrichten“. Wenn man „Personen mit literaturwissenschaftlichem Profil“ berufe, sei das „nicht gut zu leisten“. Die FU indes sieht keinen Änderungsbedarf.

Auf die Frage an die Bildungsverwaltung, ob Senatorin Sandra Scheeres (SPD) in dieser Richtung auf die Hochschulen einwirken wolle, hieß es: „Eine Steuerung der Berufungsverfahren durch uns wird nicht angestrebt“. So wundert es auch nicht, dass Scheeres bei den aktuellen Verhandlungen zu den Hochschulverträgen nicht durchgesetzte, dass das Lehramt Türkisch eingerichtet wird – obwohl die Koalition den muttersprachlichen Unterricht stärken will.

Im Übrigen glaubt Sebold nicht, dass das schlechte Abschneiden Berlins bei den Viertklässlertests damit zu tun haben könnte, dass die Inklusion zu überstürzt eingeführt wurde. Sebold geht vielmehr davon aus, dass die Brennpunktschulen mit hohen Migrantenanteilen stärker gefördert werden müssten. Sie plädiert dafür, „sich neue Anreize“ zu überlegen, damit gute Lehrer den Weg in die Brennpunkte finden: „Ein höheres Gehalt oder eine andere Lösung“. Im Übrigen brauchten Reformen wie die Unterrichtsentwicklung Zeit: „Damit eine Schule sich bewegt – das dauert“, lautet Sebolds Erfahrung, die sich selbst als Leiterin der inklusiven Barbarossa-Grundschule in Schöneberg einen Namen gemacht hat.

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