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Ist das vertretbar? Micah Brashear, Kerstin Schmidt und Christoph Wälz (von links) fordern mehr Rechte für PKB-Lehrer.

© Mike Wolff

Befristete Verträge für Vertretungslehrer in Berlin: In den Ferien melden sich PKB-Lehrer arbeitslos

Die meisten Vertretungslehrer an Berliner Schulen müssen sich zu Beginn der Ferien arbeitslos melden. Auch wenn absehbar ist, dass sie wieder gebraucht werden, werden ihre Verträge über den Sommer selten verlängert.

In zwei Wochen wird Klassenlehrerin Kerstin Schmidt an der Hermann-Schulz-Grundschule in Reinickendorf die Zeugnisse austeilen. Ihre Schüler haben in diesem Jahr in Deutsch und Mathe die besten Ergebnisse des Jahrgangs geschafft. Auf der Klassenfahrt haben auch die, die sich damit sonst nicht leichttun, Vertrauen zu ihr gefasst. Und trotz der Erfolge wird sich die 47-Jährige, die Kunst studiert und vor ihrer Lehrtätigkeit als Künstlerin gearbeitet hat, am Tag nach der Zeugnisvergabe wahrscheinlich doch wieder bei der Agentur für Arbeit arbeitslos melden. Wie in den Sommern zuvor. Dort angekündigt hat sie sich schon.

Zwischen 600 und 700 sogenannte PKB-Kräfte (PKB steht für Personalkostenbudgetierung) arbeiten wie Kerstin Schmidt als Vertretungslehrer an Berliner Schulen. Die Mehrheit von ihnen sind voll ausgebildete Lehrer, warten auf ein Referendariat oder sind noch im Lehramtsstudium. Aber auch Quereinsteiger wie Kerstin Schmidt gehören dazu. Regelmäßig zu den Sommerferien läuft ihr befristeter Arbeitsvertrag aus. Dann melden sie sich bei der Agentur für Arbeit und warten auf das nächste Schuljahr. Denn ihre Lehrtätigkeit verstehen PKB-Kräfte wie Schmidt nicht als Job, sondern als vollen Beruf – nur ohne die Sicherheit. Kurz vor den Sommerferien hat die PKB-Initiative der Lehrergewerkschaft GEW deshalb gestern bei einem Tagesseminar rund 20 Vertretungslehrer aus Berlin zusammengebracht, um ihre Position an den Schulen, gegenüber dem Senat und gegenüber den einzelnen Personalvertretungen zu stärken. „Wir sind das Ende der Nahrungskette“, sagt PKB-Lehrerin Schmidt.

Laut der Senatsverwaltung für Bildung werden PKB-Lehrkräfte ausschließlich zur kurzfristigen Vertretung eingestellt. Die Vertretungslehrer berichten dagegen von befristeten Kettenverträgen. In der Initiative engagiert sich beispielsweise ein Lehrer, der drei Jahre in Folge an derselben Schule unterrichtet hat – und jeden Sommer war er arbeitslos.

Im Gegensatz zu Vertretungslehrern mit Lehramtsstudium fehlt bei Quereinsteigern auch die Perspektive, irgendwann entfristet zu werden. Berufsbegleitende Nachqualifikation gibt es nur für offizielle Mangelfächer wie Mathe, Chemie und Physik und nur mit dem entsprechenden Studium. Kerstin Schmidt kann also mit ihrem Kunststudium über ein Schuljahr eine Klasse erfolgreich in Mathe unterrichten.

Option auf Nachqualifikation und bessere Arbeitsbedingungen hat sie aber nicht: Mathe hat sie nicht studiert und Kunst ist kein Mangelfach. 20 Fortbildungen hat Schmidt in den letzten fünf Jahren gemacht. „Ich will alles richtig machen“, sagt sie. Längere Fortbildungen wie etwa für das Konfliktlotsen-Programm würden ihr aber nicht genehmigt. Man wisse ja nicht, wie lange sie noch an der Schule ist. Wenn sie sich wie jetzt darum bewirbt, ihre Klasse im nächsten Jahr weiter unterrichten zu können, zögert der Personalrat eine Entscheidung hinaus, obwohl der Bedarf schon feststehe und sie die einzige Bewerberin ist. Es könnten ja noch Qualifiziertere kommen. Die PKB-Initiative fordert von der Senatsverwaltung für Vertretungslehrer in allen Fächern die Option, sich berufsbegleitend nachzuqualifizieren oder mit ausreichender Berufserfahrung automatisch übernommen zu werden.

„Eine Probezeit, die nicht endet“, ist das für Micah Brashear. Der 26-Jährige ist Vertretungslehrer, unterrichtet Musik und Englisch an der Bettina-von-Arnim-Schule in Reinickendorf und hat Anfang dieses Jahres gemeinsam mit dem fest angestellten Lehrer Christoph Wälz von der Kurt-Tucholsky-Schule in Pankow die PKB-Initiative begründet. Wer länger als zwei Wochen vor einer Klasse stehe, baue für das Lernen wertvolle Beziehungen auf und übernehme Verantwortung, sagt Brashear. Das derzeitige System sei für die Schüler, für Vertretungslehrer, aber auch für die fest angestellten Kollegen, die Vertretungslehrer bei der Orientierung an der neuen Schule helfen, belastend.

Sich im Sommer auf das kommende Schuljahr vorzubereiten wie Festangestellte, ist schwierig. Schmidt wusste oft nicht, ob sie an einer Grundschule oder in einem Förderzentrum unterrichten wird. Einfach Urlaub machen, gehe auch nicht, da müsste sie sich erst bei der Agentur für Arbeit abmelden. Ins Ausland zu fahren, mal wieder nach Italien, das hat sich die Mutter zweier Kinder angesichts ihrer unsicheren Beschäftigung schon seit Jahren nicht mehr getraut.

Vertrauenslehrer in Berlin: PKB-System, befristete Verträge, GEW-Forderungen

DAS PKB-SYSTEM

Seit fünf Jahren können Berliner Schulen ihren Vertretungsunterricht selbstständig organisieren. Kurzfristige Vertretungen werden in der Regel schulintern gelöst; wenn ein Lehrer länger ausfällt, können über die sogenannte Personalkostenbudgetierung Vertretungslehrer (PKB-Kräfte) angestellt werden. Dafür bekommt jede Schule zusätzlich drei Prozent ihres regulären Unterrichtbudgets. 2012 nahmen 98 Prozent aller Schulen an diesem System teil.

BEFRISTETE VERTRÄGE

Mit Beginn der Sommerferien enden für viele Vertretungslehrer die befristeten Verträge, obwohl eine Verlängerung möglich wäre, wenn der Bedarf schon absehbar ist. Die Praxis variiert stark, je nach Schule und Bezirk.

WAS DIE GEW FORDERT

Vertretungslehrer, die bereits unterrichten, sollen sich berufsbegleitend nachqualifizieren können, wie das in den Mangelfächern Mathe, Physik, Chemie bereits möglich ist, fordert die GEW. Zudem sollte das PKB-System abgeschafft und dafür den Schulen für Vertretungsunterricht zehn statt drei Prozent des Budgets zur Verfügung gestellt werden.

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