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Aydin Akin radelt durch Berlin und demonstriert für das Wahlrecht von Ausländern.

© Kitty Kleist-Heinrich

Aydin Akin: Die Ein-Mann-Dauerdemo

Wie bringt man Schülern, deren Eltern nicht wählen dürfen, Demokratie nahe? Eine Schule hat Aydin Akin eingeladen, der seit Jahren für eine Ausweitung des Wahlrechts demonstriert.

Nur kurz schaut Aydin Akin auf die Fahrradständer vor dem Schulgebäude, dann stemmt der 72-Jährige sein Rad über die Schulter und trägt es über die Stufen, Richtung Unterricht. Aydin Akin kennen viele Berliner, besonders in Kreuzberg und Neukölln, vom Sehen oder Hören. Seit bald zehn Jahren fährt er fast täglich mit seinem Fahrrad, mal pfeifend, mal mit dem Megaphon skandierend, durch die Straßen, um für das Wahlrecht auch für Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft zu protestieren.

Nun war Akin, von Beruf Steuerberater, zum ersten Mal an einer Berliner Schule zu Gast, um über Demokratie zu sprechen. Für die 9. Klasse stehen in Sozialkunde Wahlen auf dem Lehrplan. Viele der Schüler der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule in Britz haben aber Eltern, die nicht wahlberechtigt sind. Auch einige der Jugendlichen haben eine andere Staatsbürgerschaft. Und auch ihr Lehrer Ryan Plocher hat keinen deutschen Pass, er kommt aus den USA .

Für das Thema „Demokratie als Herrschaftsform“ konnte er seine Schüler nicht so richtig begeistern, erzählt der Lehrer. Zu den Rechten von Ausländern habe es aber viele Fragen gegeben. Als Plocher mal wieder Aydin Akin mit seinem Fahrrad sah, sprach er ihn an und lud ihn kurzerhand in den Unterricht ein.

Akin beschreibt sich selbst als „Neuköllner Türke von der Schwarzmeerküste“. Jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit in sein Neuköllner Büro und dann nach 17 Uhr wieder zurück nach Hause in Schöneberg absolviert er seine persönliche Fahrraddemo. Er kam als Student nach Berlin und hat sich früh für die Rechte von Migranten eingesetzt, die ja in Deutschland auch Steuern zahlen, so Akin. Besonders schmerzvoll habe er die Veränderungen des Wahlrechts durch die EU empfunden. Spanier, Griechen, Portugiesen – die wie viele Türken in den 1970ern und 1980ern als Arbeitskräfte nach Deutschland gekommen waren – hatten mit einem Schlag das kommunale Wahlrecht. Türken und viele Bürger aus anderen Staaten aber nicht.

Was seine Familie zu seinem Engagement sagt, will eine Schülerin wissen. Und ob er Hilfe bekommt, will ein Junge wissen. Akin nimmt keine Unterstützung von Parteien an, auch auf dem Fahrrad Werbeschilder anzubringen, kommt für ihn nicht infrage. „Ich mache das für die Gesellschaft, auch für euch“, sagt er. Mitradeln darf, wer will. Eine Gruppe von 50 Personen habe sich ihm schon mal angeschlossen. Auch seine Tochter war nach anfänglicher Skepsis mit ihm unterwegs. „Übrigens, erst ab drei Personen muss man eine Demo anmelden“, erklärt er.

„Viel Durchhaltevermögen“, attestiert der 15-jährige Arianit dem Besucher. Arianits Eltern dürfen in Deutschland nicht wählen. Der 16-jährige Tunahan erzählt, dass er sich selbst erst vor Kurzem erkundigt hat, wie er einen deutschen Pass bekommen könne. Ihm wurde aber gesagt, er solle warten, bis er 18 Jahre alt ist. Die meisten Schüler aus Nord-Neukölln kannten Akin schon von der Straße, nicht alle waren erfreut. „Ich höre ihn jeden Morgen“, erzählt ein Mädchen, „das nervt.“

„Haben Sie schon etwas erreicht?“, will Schülerin Avesta wissen. Nach 25 000 gefahrenen Kilometern habe er im Petitionsausschuss des Bundestags sprechen können, erzählt Akin. Und hier vor den Schülern zu sprechen, sei für ihn auch ein großer Erfolg.

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