zum Hauptinhalt
Blick auf die Frontfassade des Metropols am Nollendorfplatz in Berlin-Schöneberg.

© Thilo Rückeis

Autor von "Emil und die Detektive": Auf den Spuren Erich Kästners in Berlin

Ein Programm für viele spannende Stunden während der Pandemie: Dem Autor Erich Kästner in Schöneberg und Wilmersdorf nachspüren.

Ein Bio-Supermarkt ist kein Straßencafé, aber wozu hat der Mensch Fantasie? Obwohl auch die herausgefordert wäre, befände sich an der Bundesallee, Ecke Trautenaustraße in Wilmersdorf noch das Café Josty und eben nicht ein gelbes Wohn- und Geschäftshaus samt Biomarkt: Denn auch die Café-Terrasse bliebe in diesen Wochen menschenleer.

Im Sommer 1931, als die Bundesallee noch Kaiserallee hieß, versaute kein neuartiges Virus das gastronomische Geschäft. Da saß der Schriftsteller Erich Kästner in seinem alten Stammcafé, in dem er sein berühmtes Buch „Emil und die Detektive“ geschrieben hatte. 

Auch den diebischen Herrn Grundeis hatte er dort zunächst einkehren lassen, beobachtet von Emil, Gustav mit der Hupe und der übrigen Rasselbande. Wie überrascht war also Kästner, als neben ihm ein Herr mit Melone und abstehenden Ohren Platz nahm, ein genaues Ebenbild seiner Buchfigur – und als aus der Straßenbahn ein Junge stieg, sich versteckte und herüberäugte, wie im Buch …

Die Geschichte ist erfunden, die Orte aber sind es nicht

Erfunden? Vielleicht, aber Kästner hat es so beschrieben, wie er in die Dreharbeiten zur ersten „Emil“-Verfilmung geriet und sich ihm Fiktion und Wirklichkeit in kurioser Weise vermischten. Ein sehr spezielles Schriftsteller-Erlebnis, das aber in milderer Form auch Lesern möglich ist, gerade denen von „Emil und die Detektive“.

Denn die Geschichte, wie Emil und seine Freunde den Herrn Grundeis, einen Taschendieb und gesuchten Bankräuber, zur Strecke bringen, mag erfunden sein. Die Orte aber, an denen sie spielt, sind es nicht und man kann ihnen noch heute, sozusagen als Literaturdetektiv, nachspüren.

Erich Kästner, der Autor von "Emil und die Detektive"
Erich Kästner, der Autor von "Emil und die Detektive"

© picture-alliance / obs

Eine prima Hausaufgabe für die durchs Coronavirus zu einer überlangen Unterrichtspause verurteilten Grundschüler, in deren Rahmenlehrplan auch das Lesen zweier kompletter Büchern steht. Welche das sind, steht den Lehrkräften frei, doch „Emil“ ist nun mal ein Klassiker und wird ab Klassenstufe vier gerne im Deutschunterricht eingesetzt. So etwa in der sechsten Klasse eine Schöneberger Brennpunktschule, deren Lehrerin für die schulfreien Wochen die Kästner-Lektüre auftrug samt parallel zu verfassendem Lesetagebuch.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren 12 Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de.]

Eine prima Idee, und sie lässt sich sogar noch ergänzen zum ebenso lehrreichen wie spannenden, dazu familientauglichen Ferienspaß: Warum nicht den Roman als Stadtführer nutzen und die Handlungsorte gemeinsam besuchen, auf den Spuren Emils und der Detektive?

Eigentlich hätte der Junge aus der Provinz an der Friedrichstraße aussteigen sollen, wo bereits die Großmutter und Cousine Pony Hütchen warteten. Aber Herr Grundeis, in der Tasche Emils 140 Mark, verließ nun mal am Bahnhof Zoo den Zug, und diesen Ganoven musste er doch verfolgen. Nicht einfach, so ohne einen Pfennig Geld, und der Dieb nimmt plötzlich die Straßenbahn, Linie 177.

Viel hat sich in den letzten 89 Jahren verändert

Sie verkehrte zwischen dem heutigen Hardenbergplatz und Lichterfelde Süd, auf dem Grünstreifen in der Mitte der Bundesallee war ihre Trasse. Eine Haltestelle an der Trautenaustraße lag schon deswegen nahe, weil diese zwei städtebaulich exponierte Orte, den Nikolsburger und den Prager Platz als südliche Fixpunkte der sogenannten Wilmersdorfer Carstenn-Figur, miteinander verbindet. 

Dass Erich Kästner gerade das Café Josty an der nordöstlichen Kreuzungsecke als Stammlokal wählte, ist ebenfalls kein Zufall: Als er „Emil und die Detektive“ schrieb, wohnte er unweit in der Prager Straße 6. Das Haus gibt es nicht mehr, doch am jetzigen Bau, geschmückt mit einem großen, Walter Triers berühmtem Titelbild des Buches nachempfundenen Wandgemälde, erinnert eine „Berliner Gedenktafel“ an Kästner.

Im Roman nutzt Emil einen Zeitungskiosk und eine nahe, nur beiläufig erwähnte, erst durch Walter Triers Buchcover berühmt gewordene Litfaßsäule als Versteck. Einen Kiosk gibt es an der Kreuzung nicht mehr, eine – allerdings moderne – Litfaßsäule steht aber auch heute an der dem imaginierten Café Josty gegenüberliegenden Seite der Bundesallee. 

Original ist an dieser Ecke immerhin noch ein grüner gusseiserner Straßenbrunnen. Auch am nahen Nikolsburger Platz hat sich Kästners Berlin teilweise gut erhalten. Dort halten Emil und seine Freunde Kriegsrat, wie Herrn Grundeis am besten beizukommen sei – ein Treffen, das allen aktuellen Kontaktsperreregeln zuwiderliefe.

Die den Platz dominierende Cecilien-Grundschule werden die Jungen – tja, außer Pony Hütchen sind alle Detektive Jungen – nur von außen gekannt haben, sie war für Mädchen reserviert. Noch immer umgibt, wie von Kästner beschrieben, ein „niedriges eisernes Gitter“ den Rasen, und noch immer steht die Bronzefigur der Gänseliesel in der Mitte der kleinen Parkanlage, allerdings nicht mehr das im Krieg verschwundene Original, sondern eine Kopie.

Imposant steht damals wie heute das Metropol am Nollendorfplatz

Den Herrn Grundeis hält es nur für einen längeren Imbiss im Café Josty, dann winkt er einer Autodroschke, aber Emil, Gustav und ein paar weitere Jungen lassen nicht locker, setzen in einer zweiten hinterher. Die Fahrt geht erst über den Prager Platz, dann die Motzstraße hinunter, über den Viktoria-Luise-Platz und weiter auf der Motzstraße, was heute so nicht mehr möglich ist: Als Autofahrer muss man einen Umweg nehmen, um zurück auf die Motzstraße zu gelangen.

Erich Kästner: Emil und die Detektive. Atrium Verlag. 176 Seiten, 14 Euro (gebundene Ausgabe); Titelbild: Walter Trier
Erich Kästner: Emil und die Detektive. Atrium Verlag. 176 Seiten, 14 Euro (gebundene Ausgabe); Titelbild: Walter Trier

© Promo

Kurz vor dem Nollendorfplatz lässt Grundeis halten, nimmt sich ein Zimmer im dortigen Hotel Kreid, als dessen Vorbild das in einem Alt-Berliner Wohnhaus betriebene Hotel Sachsenhof in der Motzstraße 7 gilt. Dessen Fassade ähnelt der des von Walter Trier gezeichneten Hotels Kreid und war früher bei Schriftstellern und Künstlern sehr beliebt. Es gibt sogar im vierten Stock ein Zimmer mit der Nummer 61, wie das, in dem Herr Grundeis Quartier nimmt. Die Nummerierung habe sich aber geändert, heißt es an der Rezeption.

Unverändert steht dagegen der imposante Bau des „Metropol“ am Schöneberger Nollendorfplatz, damals teils Theater, teils Kino, mit einem von der Motzstraße aus zu erreichenden, heute durch ein Eisentor abgesperrten Hof – „ein wundervolles Standquartier“, wie Emil urteilt, und „mit allem Komfort der Neuzeit“, wie der Professor, geistiger Kopf der Verbrecherjagd, befindet: „Untergrundbahnhof gegenüber, Anlagen zum Verstecken, Lokale zum Telefonieren.“ 

Auch das Wohnhaus Emils Großmutter steht noch immer

Hier wird die Schlinge um den diebischen Herrn Grundeis zugezogen. Eine Nacht darf er sich noch in Sicherheit wiegen, wird am nächsten Morgen, von den vielen Kindern auf der Straße sichtlich irritiert, einen Spaziergang die Kleiststraße entlang beginnen, der fluchtartig in einer „Filiale der Commerz- und Privatbank“ endet, wo den Dieb sein Schicksal ereilt. Gut möglich, dass Kästner die Diskontobank am Wittenbergplatz, Kleiststraße 23, vor Augen hatte, die seit dem spektakulären Einbruch der Brüder Sass am 27. Januar 1929 stadtbekannt war.

Die Bank gibt es schon lange nicht mehr, aber den Ort des Happy Ends in der Wohnung der Großmutter, mit Pony Hütchen, Gustav, den übrigen Detektiven und Emils Mutter, den gibt es immer noch: Schumannstraße 15 in Mitte, direkt neben dem Deutschen Theater. Ein weiterhin als Wohnhaus genutztes Gebäude aus der vorletzten Jahrhundertwende. Im Original.

Noch mehr Lust auf Kästners Berlin? Dann empfiehlt sich „Pünktchen und Anton“ über ein Mädchen aus reichem und einen Jungen aus sehr armem Hause.

Zur Startseite