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Schule: So viele dauerkranke Lehrer gab es nie

Ihre Zahl stieg seit Oktober um 200 auf 1350 an. Viele Reformen und schwierige Schüler tragen dazu bei. Auf dem "Gesundheitstag" am Donnerstag werden Hilfestellungen angeboten.

Immer mehr Berliner Lehrer sind dauerhaft krank. Ihre Zahl stieg allein seit Oktober 2008 von 1150 auf jetzt 1350, wie die Senatsverwaltung für Bildung am Dienstag auf Anfrage mitteilte. Im Schnitt fehlen die Pädagogen über zehn Monate. Zusätzlich befinden sich knapp 100 Lehrerinnen im Mutterschutz. Ersatz ist aufgrund der Mangelsituation in manchen Fächern kaum zu bekommen.

Die Gründe für die Langzeiterkrankungen sind vielfältig. Zum einen führt das hohe Durchschnittsalter von etwa 48 Jahren zu einem erhöhen Krebsrisiko. Zum anderen ist die Belastung durch Arbeitszeiterhöhungen, größere Klassen sowie schwierige und aggressive Schüler gewachsen. Mehrfach haben Kollegien die Bildungsverwaltung auf diese Probleme hingewiesen und um Hilfe gebeten.

Eine Antwort der Bildungsverwaltung besteht unter anderem darin, zusammen mit der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) „Gesundheitstage“ zu veranstalten. Die nächste Veranstaltung dieser Art findet an diesem Donnerstag statt und ist ausgebucht: Rund 400 Lehrer wollen wissen, wie sie sich selbst helfen können, um ihre Lage zu erleichtern.

So wird der Neurobiologe Joachim Bauer von der Universität Freiburg darüber sprechen, dass sich das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern entscheidend verbessern kann, wenn der Schüler Zuwendung und Beachtung spürt und das Gefühl hat, dass man ihm Leistung zutraut. Bauer hat den Bestseller „Lob der Schule“ geschrieben. Gegenüber dem Tagesspiegel wies er gestern aber noch auf ein weiteres Problem hin: „Die Lehrer verschleißen einen Großteil ihrer Zeit mit immer neuen Erlassen und Verwaltungsgeschehen.“

Das gilt im Besonderen für Berlin, wo in den vergangenen Jahren ein Reformmarathon durchlaufen wurde. Zur Erinnerung geben wir einen Überblick über die wichtigsten „Baustellen“ seit 2006.

Abschaffung der Rückstellungen: Die Reformen setzten bereits bei den nicht schulreifen Kindern an. Während früher Jahr für Jahr tausende Sechsjährige mangels Schulreife von der Schulpflicht befreit wurden, lautet die neue Philosophie: Nicht das Kind muss reif für die Schule sein, sondern die Schule reif für das Kind. Deshalb passiert es nun, dass die Anfängerklassen voll sind mit Kindern, die nicht einmal einen Stift halten können. Früher waren sie in den Vorklassen aufgefangen worden, aber die gibt es nicht mehr.

Abschaffung der Vorklassen:
Die Vorklassen waren früher eine Alternative zur Kita und zusätzlich eine Zwischenstation für nicht schulreife Kinder. Die Abschaffung der Vorklassen führte dazu, dass die gesamte Förderung in der Schulanfangsphase passieren muss, in der es eigentlich um die Alphabetisierung gehen soll.

Frühere Einschulung:
Das Einschulungsalter wurde um ein halbes Jahr vorverlegt. Deshalb ist jetzt ein Viertel der Erstklässler bei der Einschulung erst fünf Jahre alt. Auch das erschwert die Arbeit.

Späte Diagnose. Lernbehinderungen und Verhaltensauffälligkeiten werden nicht mehr vor der Einschulung diagnostiziert. Deshalb werden auch keine gezielten Förderstunden zugeteilt. Die Folge: Problematische Schüler sitzen im Unterricht ohne die Hilfe von Sonderpädagogen: Die Lehrer müssen mit ihnen allein zurechtkommen – was nicht immer gelingt. Mitunter landen die Kinder in der Psychiatrie, aber auch die Lehrer verlieren in diesen Konflikten viel Kraft. Inzwischen wird die vorgezogene Diagnose wieder erlaubt.

Jahrgangsübergreifendes Lernen: Längst nicht alle Lehrer sind bereit und darauf vorbereitet, Erst- und Zweitklässler gleichzeitig zu unterrichten. Der Unterricht muss völlig umgestellt werden. Besonders schwierig ist dies in sozialen Brennpunkten, wo es den Schülern schwerer fällt, selbstständig zu arbeiten.

Vergleichsarbeiten:
Viele Lehrer empfinden die Vergleichsarbeiten, die in verschiedenen Klassenstufen geschrieben werden müssen, als Belastung, weil sie mitunter zusätzlichen Korrekturaufwand erfordern und die Ergebnisse aufwendig übermittelt werden müssen.

Neue Rahmenpläne:
Von der ersten bis zwölften Klasse und in allen Fächern gibt es neue Vorschriften für die zu behandelnden Inhalte.

Neue Fächer:
In den Grundschulen wird seit 2006/07 Naturwissenschaft (Nawi) unterrichtet. Nur wenige Schulen hatten noch Reste der Arbeitsräume und Materialien des einst abgewickelten Faches Natur und Technik. Die Lehrkräfte mussten sich die Inhalte neu aneignen. An den Oberschulen kam Ethik hinzu.

Mittlerer Schulabschluss:
In den zehnten Klassen werden jetzt zentrale Abschlussarbeiten geschrieben. Das bedeutet, dass die Schüler auf ganz bestimmte Aufgabentypen und Inhalte vorbereitet werden müssen. Das ist eine einschneidende Veränderung für die Lehrer – vor allem angesichts der großen Bedeutung dieser Zensuren für die Schüler.

Zentralabitur:
Es hat für die Lehrer zwar den Vorteil, dass sie nicht selbst die Aufgaben konzipieren müssen. Allerdings engt es ihre Freiheiten bei der Wahl des zu behandelnden Stoffes sehr ein und bevormundet damit die Lehrkräfte.

Verkürztes Abitur: Da ein Schuljahr verloren geht, müssen die Lehrer nicht nur bis in den Nachmittag hinein unterrichten, sondern den Stoff auch neu aufteilen.

Weitere Reformen: Zusätzliche Aufgaben entstanden zudem durch die Verlagerung der Horte an die Grundschulen, durch neue Unterrichtsformen wie Praxisklassen, durch Mitarbeit an den geforderten neuen Schulprogrammen und externe sowie interne Evaluationen.

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