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Kinder und Lehrkräfte im Unterricht.

© Patrick Pleul/dpa

Schule in Berlin: Nicht Herkunft, Qualität entscheidet über den Bildungserfolg

Gleiche Chancen für alle? Die Schulen müssen den Umgang mit Vielfalt noch lernen. Eine Position.

Nie zuvor hat Bildung derartig viele Lebenschancen eröffnet wie heute. Weltweit schafft gute Bildung Wohlstand und fördert soziale Teilhabe. Gleichzeitig stehen diejenigen ohne gute Bildung vor größeren Risiken als je zuvor.

Nach dem PISA-Schock 2001 wurde die Bildungspolitik ein globales Diskursthema. Auch in Deutschland vollzog sich eine „empirische Wende. Dass es in Deutschland eine große Gruppe sogenannter Risikoschüler gibt, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Bildungserfolg und sozio-ökonomischem Hintergrund, dass frühkindliche Bildung ein wichtiger Faktor für Chancengerechtigkeit ist, oder dass das Erlernen der deutschen Sprache der Schlüssel für mehr Bildungserfolg ist, rückte mit PISA ins Bewusstsein.

Nach 2001 wurden in Deutschland viele Reformen eingeleitet: Die Einführung von nationalen Bildungsstandards, die Einführung der Ganztagsschule, oder die Gründung des Instituts für Qualität im Bildungswesen (IQB). Vor allem rückten sogenannte Risikoschüler in den Fokus bildungspolitischer Aufmerksamkeit. In den Folgejahren wurden deutliche Verbesserungen bei PISA erzielt. Aber die Reformdynamik hat zwischenzeitlich sehr nachgelassen. Seit 2009 stagnieren die Leistungsergebnisse. Neue PISA-Ergebnisse zeigen, dass es den 15-jährigen Schülern in Deutschland insbesondere bei den für die Zukunft so wichtigen kreativen Problemlösefähigkeiten mangelt. Ferner wissen wir, dass Bildungsungerechtigkeit weiterhin die Achillesferse des deutschen Bildungssystems ist. Leitbild muss daher sein, allen jungen Menschen gerechte Bildungschancen zu bieten, unabhängig von der sozialen oder ethnischen Herkunft.

In anderen Staaten schneiden Schüler mit Migrationsbiographie besser ab

Stets werden nach Vorstellung der PISA-Ergebnisse Schuldige gesucht. Auch hierzulande sind die Verantwortlichen für die schlechten Ergebnisse schnell ausgemacht. Oft wird mit dem Finger auf die Schüler*innen mit Migrationshintergrund gezeigt. Mit Empirie ist diese „Schuldzuweisung“ qualitativ und quantitativ nicht belegbar. In anderen Staaten schneiden Schüler*innen mit ähnlicher Migrationsbiografie deutlich besser ab.

Unterrichtsqualität ist hier der Schlüssel. Guter Unterricht ist inklusiver Unterricht, der alle mitnimmt und bei dem Lehrer*innen die außergewöhnlichen Fähigkeiten gewöhnlicher Schüler erkennen und fördern. Vielfalt und Individualität jedes Einzelnen wird dabei nicht als Belastung, sondern als Bereicherung wahrgenommen. Vielfalt ist mancherorts eine Herausforderung, sie bietet aber Chancen und Potentiale. Denn Heterogenität im Klassenzimmer ist längst die neue Normalität. Daher ist es umso wichtiger, alles vom Klassenzimmer über den Unterricht bis zur Ausbildung und Fortbildung des pädagogischen Personals, auf den Umgang mit Vielfalt auszurichten. Nur so können junge Menschen ihr Recht auf gute Bildung wahrnehmen, ihre Potentiale entfalten und erfolgreich sein.

Junge Menschen müssen heute in der Lage sein, gute und tragfähige Beziehungen aufzubauen, mit Konflikten umzugehen, um sich in pluralistischen Gesellschaften konstruktiv einzubringen. Soziale Intelligenz, emotionale Sicherheit und Gründergeist sind dabei wichtige Dimensionen. Je komplexer unsere Arbeitswelt wird, je mehr der Umfang kodifizierten Wissens zunimmt, umso mehr gewinnen außerdem Menschen an Bedeutung, die die Komplexität nicht nur verstehen, sondern sie für Menschen mit anderen Blickrichtungen oder anderen Fachrichtungen verständlich machen können.

Wir brauchen eine Schule, die sich allen Kindern und deren Bedürfnissen anpasst

Was wir brauchen sind ausreichend gut aus- und weitergebildete Pädagogen, sind Räume, in denen Schüler*innen die für sie wichtige Lern- und Lebenserfahrungen machen können, sind Rahmenlehrpläne, die sich auf das Wesentliche konzentrieren, ist eine rhythmisierte Schule im Ganztag – eine Schule, die vor allem inklusiv, demokratisch, gesund und bewegt ist. Eine Schule, die sich allen Kindern und deren Bedürfnissen anpasst – unabhängig von der Herkunft, ob mit oder ohne Behinderung. Das ist mit Reformen verbunden. Reformen, die eine gezielte Verbesserung von Zuständen schaffen, statt Verschlimmbesserung und Frust.

Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft und Selbstwirksamkeit sind dabei nicht nur wichtige Voraussetzungen für Lernerfolg, sondern Schlüsselfaktoren für gute Bildung. Von modernen Schulen müssen wir erwarten, dass sie Lernpfade individualisieren und Schüler*innen dazu befähigen gemeinsam und voneinander zu lernen. Sie geben motivierende Leistungsrückmeldungen, die Vertrauen in Lernergebnisse schaffen und mit denen Lernstrategien entwickelt werden können. Gute Schulen übernehmen Verantwortung für ihre Ergebnisse, anstatt Schüler*innen auf andere Schulformen oder weniger anspruchsvolle Bildungswege abzuwälzen. Ihr Erfolg wird daran gemessen, inwieweit es ihren Lehrer*innen gelingt, Potenziale zu mobilisieren und Begabungen zu erkennen und zu fördern, und zwar durch Lehr- und Lernformen, die nicht defizitär angelegt, sondern wirklich auf den Einzelnen zugeschnitten sind. Auf diese Anforderungen sind Schulen und Lehrer*innen in Deutschland nur unzureichend vorbereitet.

Die Qualität des Unterrichts ist entscheidend

Letztlich ist nicht die Schulform, die Herkunft, oder die Klassengröße entscheidet über den Erfolg oder Nichterfolg, sondern die Qualität des Unterrichts – und somit die Qualität der pädagogisch handelnden Personen. Die Qualifikation der Lehrer*innen ist dabei eine zentrale Größe im Bildungswesen. Für diese wichtige Aufgabe brauchen wir die Besten der Besten als Pädagogen. Der Lehrer*innenberuf ist einer der anspruchsvollsten und wichtigsten in unserem Land – es wird Zeit, dass wir diesem Umstand auch politisch und gesellschaftlich gerecht werden. Es reicht nicht, dass der Lehrer*innenberuf finanziell attraktiv ist, er muss auch intellektuell attraktiv sein. Ebenso wichtig wie eine gute Aus- und Weiterbildung, ist ein Arbeitsumfeld, dessen Reiz nicht auf dem Beamtenstatus, sondern auf Kreativität, Innovation und Verantwortung für die Lernergebnisse beruht sowie gute Unterstützungssysteme anbietet, damit Lehrer*innen am Ende nicht als Einzelkämpfer*innen im Klassenzimmer dastehen. Hier bleibt noch viel zu tun.

Andreas Schleicher, OECD, ist Leiter der Abteilung für Indikatoren und Analysen im Direktorat für Bildung. Özcan Mutlu war bis 2017 bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

Özcan Mutlu, Andreas Schleicher

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