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 Eine scheinbar friedliche Straße im Treptow-Köpenicker Ortsteil Adlershof.

© Kitty Kleist-Heinrich

Schüsse auf die Wohnung einer syrischen Familie: Der rechte Mob von Adlershof

Es war nicht der erste Vorfall hier. Von einer „Welle rassistischer Gewalt“ in Adlershof spricht das Zentrum für Demokratie. Ein Besuch.

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Als wäre nichts geschehen, liegt sie da, die Straße unweit des S-Bahnhofs Adlershof. Die Sonne scheint auf die grünen Vorgärten, die Pizzeria an der Ecke ist am Morgen noch geschlossen. Eine Frau schiebt einen Kinderwagen, drei junge Leute warten auf den Bus, ältere Damen gehen ihren Besorgungen nach. Die Szenerie im Kiez südlich der Dörpfeldstraße, am Rande der Großstadt Berlin, wirkt kleinstädtisch, idyllisch fast.

Doch das trügt. In der Nacht zum 23. Juni haben Unbekannte hier zwei Schüsse auf eine Wohnungstür abgegeben. Dahinter lebt eine Familie aus Syrien: Mutter, Vater, fünf Kinder. Körperlich verletzt wurden sie nicht, die Metallkugeln haben die Tür nicht durchschlagen. Aber sie wollen jetzt nur noch weg.

Der Anschlag auf die Wohnung ist der bislang schlimmste Vorfall einer ganzen Reihe rassistischer Übergriffe: Am 17. Juni werden vier Kinder der Familie von einer vorbeifahrenden Frau aus dem Auto heraus rassistisch beleidigt und aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Am 25. Mai wird der Briefkasten der Familie zerstört, der Gartenzaun beschädigt und die Eingangstür der Wohnung mit Kot beschmiert. Mit der Presse reden wollen sie nicht, sie haben Angst. Vor ihren Nachbarn.

Auch andere werden zum Opfer: Am 9. Juni wird der „Habiba“-Imbiss in der Dörpfeldstraße mit Buttersäure beschmiert. Die Täter hinterlassen Graffiti mit einem Hakenkreuz und der Drohung „Ab in die Gaskammer, Scheiß Moslems, Raus Hier“. Am 20. Mai schmieren unbekannte Täter rassistische Parolen an Türen und Briefkästen eines anderen Wohnhauses, außerdem: Hakenkreuze und Morddrohungen. Die Polizei ermittelt, identifizieren konnte sie die Täter bisher nicht. „Ein Zusammenhing zwischen den Taten wird geprüft“, heißt es.

„Welle rassistischer Gewalt“

Es hat sich etwas gedreht in Treptow-Köpenick. Das „Zentrum für Demokratie“ des Bezirks spricht von einer „Welle rassistischer Gewalt“ in Adlershof seit Mai. Bekannt als Hotspot der rechten Szene im Bezirk ist eigentlich Schöneweide. Doch seit dort 2014 ein Laden für Nazi-Zubehör („Hexogen“) und 2016 auch die rechtsextreme Kneipe „Zum Henker“ schließen mussten, suchen sich die Anhänger der rechtsextremen Szene neue Treffpunkte.

Schöneweide ist nicht mehr in der Hand von Nazis, da haben wir auch viele Jahre dran gearbeitet“, sagt Bezirksvizebürgermeister Gernot Klemm (Linke), der auch Sozialstadtrat ist. „Aber die Übergriffe weichen nach außen aus.“ Tatsächlich hat die Polizei 2018 in Adlershof 22 rechte Straftaten registriert. 2019 sind es bisher schon acht – genauso viele wie im gesamten Jahr 2017. Die Dunkelziffer ist hoch, einige Straftaten werden gar nicht erst zur Anzeige gebracht.

Dafür, dass es in Adlershof eine rechte Infrastruktur gibt, spricht auch das Konzert der rechtsextremen Bremer Band „Kategorie C“, das im Dezember 2018 in Bahnhofsnähe stattfand – mit etwa 200 Gästen. „Dass sich die Entwicklung in Adlershof derart zuspitzt, macht uns Sorgen“, sagt Gianna Faust vom Zentrum für Demokratie. „Vorfälle wie der Mord an Walter Lübcke mahnen uns, rechte Gewalt als Zivilgesellschaft sehr genau zu beobachten und immer wieder zu thematisieren.“

„Hier wird doch ständig geschossen“

2018 zählte das Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Treptow-Köpenick 447 solcher Taten. Nur in Mitte waren es mehr – was damit zusammenhängt, dass dort viele Demonstrationen stattfinden, in deren Umfeld es zu Beleidigungen und anderen Übergriffen aus dem rechten Spektrum kommt. Allein zwischen 1. Mai und 2. Juli 2019 hat das Register in Treptow-Köpenick 75 Vorfälle erfasst. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die AfD mit 16,9 Prozent drittstärkste Kraft im Bezirk. Die Partei stellt einen Stadtrat.

Hört man sich wenige Tage nach den Schüssen auf die Wohnungstür der syrischen Familie im Kiez um, haben einige Nachbarn „keine Zeit“ oder „keine Ahnung“. Ein Mann um die 50 mit Stoppelfrisur sagt: „Und selbst wenn, wär ich der falsche Ansprechpartner.“ Ob sie etwas von den Schüssen mitbekommen habe? Die ältere Dame sagt: „Hier wird doch ständig geschossen.“ Nachts höre sie die Schüsse, morgens sähe sie die Platzpatronen auf dem Gehweg. Seit die rechtsextreme Kneipe in Schöneweide geschlossen hat, traue sie sich spätabends nicht mehr auf die Straße. Dann randalierten hier junge Männer, die vorher in Grünanlagen oder Kneipen Alkohol getrunken hätten. Keine Ausländer seien das, „nein, das sind unsere eigenen jungen Leute“.

Sie und einige andere Nachbarn wollen lieber anonym bleiben, aus Angst vor Anfeindungen und Übergriffen. Es ergibt sich folgendes Bild: Zu den Treffpunkten der rechten Szene gehörten mehrere Kneipen im Kiez, darunter auch ein Dönerladen. Dort würde bis spät in die Nacht gesoffen, immer wieder höre man „Heil Hitler“-Rufe.

„Ist wirklich super hier. Alles gut“

„Enthemmung durch Alkohol, der Klassiker eben“, sagt Jeannine Löffler vom Zentrum für Demokratie. Sie stützt die Beobachtung, dass es mehrere Orte gebe, an denen sich junge Männer mit neonazistischer Gesinnung gemeinsam betrinken, rassistische Parolen grölen und losziehen, um zu randalieren. Offene Plätze wie der am Bahnhof und Kneipen gehörten zu den Treffpunkten.

Kenan Ahizer arbeitet seit drei Jahren im Döner-Café. Der 56-Jährige sitzt auf der Terrasse vor dem Laden und sagt, er habe eigentlich nichts mitbekommen. Es gebe wohl Leute im Kiez, die rassistische Sachen denken. Aber die würden nichts machen. Na gut, Frauen mit Kopftuch kämen in der Nachbarschaft nicht gut an. Die würden regelmäßig angepöbelt. Und an der Flüchtlingsunterkunft an der Ecke gingen bestimmte Nachbarn auch nicht vorbei, ohne die Bewohner zu beleidigen. 2016 gab es einen Brandanschlag auf das Heim, ein ehemaliges Hotel.

Dann fällt Kenan Ahizer noch ein: Beim türkischen Fleischer nebenan seien 2015 fast täglich die Fenster eingeschmissen worden – bis dieser aufgegeben hat. Ob Ahizer keine Sorge hat, dass das auch dem Döner-Café passieren könnte? „Nein, das hat der Laden hier schon hinter sich.“ Und auch er selbst habe keine Probleme. Wahrscheinlich, weil er schon so lange in Deutschland lebt und praktisch akzentfrei Deutsch spricht, sagt er. Überhaupt seien 95 Prozent der Gäste Stammkunden.

Einer von ihnen kommt heraus, unterbricht das Gespräch. Ein junger Mann um die 25, blass, schmächtig, sichtlich angetrunken – um kurz nach 9 Uhr morgens. „Ist wirklich super hier. Alles gut“, sagt er und reckt die Daumen hoch.

Stadtrat Klemm kündigt an, sich in den nächsten Gesprächsrunden mit den Partnerschaften für Demokratie im Bezirk über die Situation in Adlershof zu verständigen. „Wir haben hier noch keine Dimension erreicht, wo man von einer besonders starken Zuspitzung rechter Übergriffe reden sollte“, findet er. „Aber eine, wo man anfangen sollte, aufzupassen.“

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