zum Hauptinhalt
Senkrechtstart mit Herrn Röslein. Silke Lambeck war vor ihrem Wechsel zur Kinderliteratur bereits als Journalistin erfolgreich.

© Thilo Rückeis

Schriftstellerin aus Dahlem: Matti und Otto probieren das wilde Leben

Schöneberg, Kreuzberg, Lichterfelde: Die Kinderbuchautorin Silke Lambeck punktet bei ihrer Leserschaft mit Geschichten über Freundschaft.

Ja, wirklich, es ging alles ziemlich schnell. Matti, sein Freund Otto und all die anderen Helden dieser Großstadtgeschichte „waren plötzlich auf der Welt“, sagt Silke Lambeck. Anfangs tummelten sie sich zwar nur in ihrer Fantasie, aber es war völlig klar, dass mit ihnen möglichst rasch etwas passieren musste.

Die 54-jährige Autorin, eigentlich ein eher leiser Typ ohne allzu große Eile, hatte Matti & Co. nun sozusagen ständig bei sich. Bis ihr der Plot einfiel, die Story in Gang kam und ihre Neugier wuchs, was die beiden Helden des geplanten Buches noch so alles anstellen würden. Nun ist die Geschichte erschienen, spannend, temporeich, irgendwo in Prenzlauer Berg angesiedelt und verblüffend nah am Alltag vieler Berliner Kinder – und Eltern. Sie heißt: „Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich“.

Die Straße ist still, mit Bungalows aus den fünfziger Jahren am Rand breiter Bürgersteige. Vor einem der Häuser haben Wildschweine den Vorgarten komplett zerwühlt. Um die Ecke in dieser Gegend, Nähe Freie Universität Dahlem, wohnt Silke Lambeck mit ihrer Familie. Jetzt steht sie vor ihrer Wohnungstür, Jeans, dunkelblauer Pulli, ein gewinnendes Lächeln, der Cappuccino ist fertig. Im Küchenfenster grünt Basilikum, Mika und Sputzi, zwei Findelkatzen, streichen um ihre Beine. Im Salon lehnt sie sich im himmelblau bezogenen Sessel zurück – und erzählt erst mal ein bisschen von sich.

2007 brachte Silke Lambeck ihr erstes Kinderbuch heraus

Also, aufgewachsen ist sie in Schöneberg, zwischen Akazien- und Vorbergstraße, bis heute einer ihrer Lieblingskieze. Studiert hat sie Theaterwissenschaft und Germanistik. Es folgte ein Ausflug in die Berliner Verwaltung als Stabsreferentin des Senats für Bundes- und Europaangelegenheiten. Danach absolvierte sie ein Zeitungsvolontariat, schrieb Reportagen für verschiedene Medien und erhielt 2001 den renommierten Theodor-Wolff-Journalistenpreis für eine Reportage über die Geschichte des „Neuen Kreuzberg Zentrums“ am Kottbusser Tor und dessen erste Bewohner.

Inzwischen arbeitet Silke Lambeck als freie Journalistin und Autorin. 2007 brachte sie ihr erstes Kinderbuch heraus, Titel: „Wo bleibt Herr Röslein?“ Es war ein Senkrechtstarter. 2009 wurde sie dafür mit dem deutsch-schweizerischen Kinderbuchpreis „Prix Chronos“ ausgezeichnet. Es folgten weitere Erzählungen für Kinder, die allerdings für Jugendliche und Erwachsene kein bisschen weniger fesselnd sind. „Herr Röslein“ in Fortsetzungen, „Die wilde Farm“, eine Bio-Bauernhof-Detektivgeschichte, der Adventsroman „Das Weihnachtsmann-Projekt“ – und nun die Story über Matti und Ottos Abenteuer. Im Blick hat Silke Lambeck bei all diesen Geschichten, wie die Generationen eigentlich miteinander auskommen.

„Weil ich mich dann ohne Wenn und Aber an ihre Seite stellen kann.“

Warum macht es Freude, für Kinder zu schreiben? Die schlanke Frau mit den hochgesteckten Haaren wirft gerade in der Küche die Kaffeemaschine zum zweiten Male an, setzt eine der Katzen kurz raus in den Garten und ruft: „Weil ich mich dann ohne Wenn und Aber an ihre Seite stellen kann.“ Es fasziniere sie, die Welt beim Schreiben mit den Augen der Kinder wahrzunehmen. Da sie selbst zwei Söhne hat, der eine ist 17, der andere 20, hat sie ja Erfahrung. Außerdem ist sie eine genaue Beobachterin.

Welche Freuden, Sorgen und Nöte hatten Mädchen und Jungen zu Silke Lambecks eigener Kinderzeit? Wie ergeht es dem Nachwuchs heute? Und wie gehen Eltern 2018 im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Sprösslingen um? Solchen Fragen spürt sie gerne nach. Es gibt da ja Parallelen und große Unterschiede. Bis heute werden manche Kinder mit ihren Problemen viel zu oft alleine gelassen. Für sie hat Silke Lambeck den Herrn Röslein geschaffen. Dieser freundliche ältere Herr mit dem grauen Zopf hilft Moritz, sich 1001 Schwierigkeiten vom Hals zu schaffen, die sich nach dessen Umzug in eine fremde Stadt ergeben. Eklige Klassenkameraden, hektische Eltern. Da bedarf es manches Mal der Magie von Herrn Röslein. Der wohnt im selben Haus, ist ein liebenswert komischer, verlässlicher Freund, aber zuweilen sehr eigensinnig. Er erntet im Park Regenschirme, spricht mit Elefanten und balanciert dabei zwischen Traum und Wirklichkeit – genau so, wie es Kinder lieben.

„Ich durfte in Berlin allein U-Bahn fahren, und zwar schon mit sechs“

Überhaupt, solche Freundschaftsgeschichten, damit punktet Silke Lambeck bei ihren jungen Lesern. Gute Freundschaften fördern Selbstvertrauen, sie bieten Geborgenheit, da ist sie sich ganz sicher. Egal, ob mit einem ersehnten Helfer wie Herrn Röslein, der für Erwachsene unsichtbar ist. Oder zwischen Matti und Otto, den beiden Berliner Jungs. Deren Alltag unterscheidet sich ganz ohne Zweifel erheblich von Silke Lambecks eigenen Kindertagen.

„Ich durfte in Berlin allein U-Bahn fahren, und zwar schon mit sechs“, erzählt sie. „Wir hatten keine Babysitter, unsere Grenzen waren viel weiter gesteckt als bei Kindern von heute.“ In ihre Welt drangen Erwachsene eher selten ein.

Und jetzt? Silke Lambeck überspitzt gerne, aber mit feinsinnigem Humor. „Heute“, sagt sie, „wacht das Handy als ,Big Mother’“. Dann hält sie ihren Kalender hoch. „Bei manchen Kindern sind die Termine so dicht, Instrumentalunterricht, Sportverein et cetera, dass sie sich nachmittags nicht mehr mit Freunden treffen können.“ Und sie werden von Helikopter-Eltern überwacht.

Am Ende geht alles gut aus

Genau dieses Problem haben Matti und Otto. Beide wohnen mitten in Berlin. „Und beide sind der Meinung“, sagt Silke Lambrecht, „dass sie mal irgendwas machen müssen, das die Erwachsenen weder mitbekommen noch gutheißen müssen“ – das aber niemandem schadet. Das tun sie dann auch, zum Äußersten entschlossen. Gleich im ersten Kapitel bringt Matti es so auf den Punkt: „Otto hat gesagt, wir sind viel zu brav. Seitdem denke ich über das wilde Leben nach ... Und was wir tun sollen, wenn er recht hat. Denn dann kann es nicht so bleiben.“

Also verlassen die zwei Fünftklässler ihre familiäre Komfortzone, rappen für ihr eigenes Video, genannt „Die Herren Kinder“ und wagen sich nach Neukölln, um dort einen coolen Typen, den Youtube-Rapper „Bruda Berlin“, für ihre Sache zu gewinnen. Gemeinsam mit ihm und seinen Kumpeln wollen sie dem kleinen, drahtigen Horst Zimmermann in seinem Späti helfen. Denn der wird von Immobilienhaien bedroht. Natürlich kommen auch komische Lehrer vor, unkonventionelle Polizisten, miese Glatzköpfe und Ottos Mutter mit ihrem „Mama-Blog“, für den er peinliche Yoga-Übungen machen soll – doch schließlich, hey, geht ja alles gut aus.

Klischees? Die kommen wohldosiert vor, aber Silke Lambeck jongliert so geschickt damit, dass sie zum witzigen Sound der Geschichte gut passen. Und wo spinnt sie am liebsten ihre Stories weiter? Sie lacht. „Im Café“. Zum Beispiel bei „Frau Lüske“ in Lichterfelde-West. Ihre Leidenschaft hat Tradition. Mitten im Leben, im Café, haben schon Erich Kästner oder Mascha Kaléko in den zwanziger Jahren bevorzugt geschrieben. Mancher Held wurde bei einem Tässchen Espresso geboren. Auch jene, mit denen Silke Lambeck vielleicht gerade jetzt zur Weihnachtszeit alltagsgestresste Kinder glücklich macht.

Silke Lambeck/ Barbara Jung (Illustr.): Mein Freund Otto, das wilde Leben und ich. Verlag Gerstenberg, 184 Seiten, 12,95 Euro.

+++

Lesen Sie mehr aus Ihrem Kiez: Gebündelt einmal pro Woche mit vielen exklusiven Kiez-Nachrichten. Bezirk für Bezirk, kostenlos bestellen unter www.tagesspiegel.de/leute

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false