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Ohne Männer geht es besser. Besetzerin Rotraud von der Heide, Helga Röhle, Barbara Martin (von links)

© Doris Spiekermann-Klaas

Schokofabrik: Selbst ist die Frau

Vor 40 Jahren wurde ein besetztes Gebäude in Kreuzberg zur „Schokofabrik“. Solidarisch, feministisch, fair - ein wagemutiges und erfolgreiches Projekt

Ohne Männer geht es besser. Besetzerin Rotraud von der Heide, Helga Röhle, Barbara Martin (von links). Die Frauen sind stolz auf das, was sie aufgebaut haben. Feministisch, fair und solidarisch ging es dabei immer zu.

Der schwarze Stoff an der Hauswand wellt sich und flattert im Wind. Immer noch bewegt und kämpferisch, selbst nach 40 Jahren – so geht es auch hinter der Fassade in der Mariannenstraße 6 zu. Ein paar Schritte entfernt vom Heinrichplatz erinnert die „Schokofabrik“ an die Besetzung des Geländes vor vier Jahrzehnten. „Wir feiern“, steht auf dem Transparent, das sich über die Breite des Hauses zieht.

Das mit dem Feiern ließ sich freilich etwas mühsam an inmitten der Pandemie. Erst langsam ist das öffentliche Leben zurückgekehrt in Berlins größtes Frauenzentrum, das sich über vier Häuser und Hinterhöfe erstreckt. Beim „Schokosport“ gibt es auf zwei Etagen schon wieder Kurse für Yoga, Tanz oder Kickboxen, erzählt Vorständlerin Barbara Martin, die diesen Bereich seit 28 Jahren betreut. Und das Hamam, das türkische Frauenbad, öffnet am 20. Juli wieder seine Türen, fügt Helga Röhle hinzu. Geplant ist auch, das Fest zum Jubiläum, das in der dritten Corona-Welle ausfallen musste, am 5. September nachzuholen. Dann wird etwa die Künstlerin Rotraud von der Heide über die Besetzung und die frühen Jahre erzählen.

Stürmische Zeiten waren es damals, im Frühjahr 1981, als die Frauen das total verwahrloste und seit acht Jahren leerstehende Gebäude besetzten. Überall in der Stadt wurden Häuser besetzt, doch in Kreuzberg war der Protest am heftigsten gegen eine Stadtplanung, die das alte Gründerzeitviertel und seine Bewohner*innen zugunsten einer absurden Autobahnplanung aufgegeben hatte. Als „Besetzung Nummer 170“ registrierten die Archivare der Bewegung damals die „Instandbesetzung“ in der Mariannenstraße 6. Nichts Besonderes also.

Ich darf hier nicht rein. Dach decken, Elektrik legen und Abwasserleitungen montieren - und Berlins erstes Gründach anlegen - alles machten die Frauen selber.
Ich darf hier nicht rein. Dach decken, Elektrik legen und Abwasserleitungen montieren - und Berlins erstes Gründach anlegen - alles machten die Frauen selber.

© Doris Spiekermann-Klaas

Dass es ausschließlich Frauen waren, die hier aktiv wurden, sorgte auf den chaotischen Besetzer-Plena bei den harten Machos durchaus für herablassendes bis gönnerhaftes Gehabe. Sie machten durch ihr Verhalten sehr deutlich, wie wichtig ein solches Frauenprojekt war. „Die Besetzung und Instandsetzung des Gebäudes nur durch uns Frauen war eine riesige Herausforderung. Und eine nicht weniger große Provokation für unsere Umwelt“, erzählt Mitbegründerin Rotraud von der Heide. Auch aus der linken Szene heraus gab es damals Einbrüche ins Haus und Vandalismus.

Dabei war es schwer genug, im besetzten Haus Alltag und Zusammenhalt zu organisieren. Denn eigentlich war das mehr als 130 Jahre alte Haus eine nahezu unbewohnbare Ruine. Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung – das war die deprimierende Realität der Besetzerinnen. Alles musste mühsam saniert werden. Aber für Rotraud von der Heide hatte das auch eine positive Seite. „Für uns Schoko-Gründerinnen war es nicht nur eine große Aufgabe, sondern auch eine große Befreiung, auf uns allein gestellt zu sein.“ Die Frauen haben die maroden Holzbalken erneuert, sind auf dem Dach herumklettert und haben es neu gedeckt, sie haben elektrische Leitungen gezogen und defekte Abflussrohre ausgetauscht. „Kein Mann war dabei, das hat uns unglaublich stolz gemacht“, sagt Rotraud von der Heide. „Wir haben gezeigt, dass nicht nur Männer so etwas machen können“, erinnert sie sich an eine Zeit, als es noch überhaupt keine Frauen in diesen Berufen wie Dachdecker oder Klempner gab. Für Rotraud von der Heide war die Besetzung damals auch ein Ausbruch und Neuanfang. Sie hatte zwei Töchter und war „voll programmiert auf die trostlose Perspektive eines Hausfrauenlebens“. Nach der Besetzung hat sie mit ihrem Kunstprojekt „Die Wüste lebt“, das sich mit städtischen Utopien beschäftigte, den ersten Dachgewächsgarten Berlins angelegt - wegen des Klimawandels nun hochaktuell. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass die maroden Räumlichkeiten einst wegen des Ruinen-Charakters für eine Filmproduktion gebucht wurden.

Derzeit läuft für das seit Jahren sanierte Haus mit dem lauschigen Hinterhof voller bunter Blumen eine energetische Optimierung: Die Heizzentrale wird um ein eigenes Blockheizkraftwerk erweitert und auch die Wärme aus dem Abwasser soll genutzt werden.

Es war der Konditor Louis Greiser, der Ende des 19. Jahrhunderts in dem Gebäude die „Chokoladenfabrik Greiser und Dobritz“ eröffnete. Der Schriftzug ist noch über dem Eingangstor zu finden. Das prosperierende Unternehmen dehnte sich aus. Der erfolgreiche Schokoladen-Unternehmer kaufte noch das angrenzende Grundstück Naunynstraße 72 hinzu, in dem heute auch die Kita „Schokokids“ untergebracht ist. Doch mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war dann endgültig Schluss mit Schokolade.

Langsam kehrt das öffentliche Leben zurück in die Schokofabrik, bei der rund 100 Frauen engagiert sind. Sport wird schon gemacht, das Hamam öffnet jetzt und im August soll auch gefeiert werden.
Langsam kehrt das öffentliche Leben zurück in die Schokofabrik, bei der rund 100 Frauen engagiert sind. Sport wird schon gemacht, das Hamam öffnet jetzt und im August soll auch gefeiert werden.

© Gerd Nowakowski

Die „Schokofabrik“ wäre wohl ohne die Frauenbewegung der siebziger Jahre kaum vorstellbar. Die Kämpfe gegen männliche Dominanz und den Paragraphen 218 sowie das Engagement für eine neue Kindererziehung und eine feministische Selbstverwirklichung in Beruf und Privatleben standen am Anfang. Sie begleiteten und prägten zugleich mehr als 40 Jahre dieser Entwicklung. Seit 1984 gibt es die „Schokowerkstatt“, die Möbel herstellt, seit 1988 das Hamam, in dem Frauen ganz unter sich bleiben. Auch im Sportbereich geht es darum, ein körperliches Selbstverständnis und eigene Fähigkeiten zu fördern, „fernab von fremden Leistungsansprüchen“.

„Es gibt viele tolle Sachen, auf die wir stolz sein können“, resümiert Rotraud von der Heide, die heute in der Künstlerinnengruppe „Endmoräne“ aktiv ist. Nur die begrünten Dächer gibt es nicht mehr. „Das war damals zu früh, das haben wir nicht bewältigt“, sagt sie etwas wehmütig. Nahezu 100 Frauen arbeiten heute in den Unternehmen und Projekten oder dem Café im Vorderhaus. Es gibt Sozial- und Rechtsberatungen, ein queeres Gesundheitszentrum, Deutschkurse für geflüchtete Frauen und seit nahezu 39 Jahren ein Frauenkrisentelefon. Geschlossen ist derzeit noch die Cafébar „Oya“ im Vorderhaus der Mariannenstraße 6. Immer wieder hat sich das Projekt gewandelt. Junge Frauen haben neue Themen und Impulse hineingetragen, etwa zum Anti-Rassismus. Jetzt werden die Sportangebote für Trans-Frauen geöffnet - das sei nicht ohne Diskussionen und Konflikte abgelaufen, erzählt Vorständlerin Barbara Martin.

„Solidarisch, feministisch, fair“ – das ist das Motto der 2003 gegründeten „Genossinnenschaft Schokofabrik eG“. Mit der Unterstützung vieler Patinnen konnte 2004 das Ensemble von der städtischen GSW gekauft werden. Auch heute kann frau noch eine „Schokotante“ werden, die etwa mit einer monatlichen Spende die Miete für einen symbolischen Quadratmeter des Frauenzentrums finanziert. Denn Hilfe bei der Instandhaltung und dem Ausbau des Zentrums ist auch 40 Jahre nach der Besetzung noch nötig.

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