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Dem Diktator zu Ehren. Die ehemalige Stalinallee war ein Prestigeobjekt der DDR.

© Thorsten Klapsch

Schöner wohnen: Paläste für Arbeiter

Wie wohnt und lebt es sich in der ehemaligen Stalinallee? Ein Buch erzählt von ihren Bewohnern.

Der Sozialismus funktionierte nun mal nicht nach Adam Riese. Tag für Tag hatte der junge Schriftsetzer Armin Dürr freiwillig mitgeholfen beim „Nationalen Aufbauprogramm“ in der Ost-Berliner Stalinallee und mit seinem Einsatz die Hoffnung verbunden, hier eine längere Heimstatt zu finden. Für 100 Halbschichten gab es ein Los der Aufbaulotterie, jedes dritte, hieß es, werde gewinnen und einen Platz in der neuen Prachtstraße sichern. 300 Halbschichten, 900 Stunden lang, drei Lose also – das müsste hinhauen, sagte sich Dürr. Tat es aber nicht, nicht so wie gedacht, denn je Helfer gab es dann doch nur ein Los. Seines allerdings war ein Treffer: Falsch gerechnet, trotzdem gewonnen.
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Die erste Wohnung hatten Armin Dürr und seine Frau Christa später – ein Akt sozialistischer Solidarität – gegen die kleinere eines Kollegen getauscht, der Vater von Zwillingen geworden war. Da war der Name Stalinallee längst gestrichen und zu Karl-Marx-Allee und Frankfurter Allee umgewandelt worden. Dem Stolz auf die erbrachte Leistung, dokumentiert in sorgsam aufbewahrten Urkunden und Fotos von strahlenden Aufbauhelfern, war dies nicht abträglich, auch nicht dem zufriedenen Lebensgefühl im Boulevard des Sozialismus.

Kein Platz für die Waschmaschine

Das bekam erst Risse mit dem sozialen Wandel, der auf die Wende folgte: Es fehle das Wohlgefühl, „ein Ankommen zu Hause, das Miteinander“, beklagt das in ihrem „Stalinbau“ alt gewordene Ehepaar, hat aber gegen die Fünfziger-Jahre-Architektur Hermann Henselmanns noch immer kaum Einwände. Allenfalls diesen: Zu kleine Bäder, nicht mal eine Waschmaschine finde Platz. Ein schmaler Toplader freilich schon, wie auf einem der Fotos zu sehen ist, die in dem Buch „Mein Stalinbau“ den Abschnitt zu Christa und Armin Dürr illustrieren. Insgesamt 17 „Nachbarschaftsbesuche“ haben die Literaturwissenschaftlerin Michaela Nowotnick und der Fotograf Thorsten Klapsch absolviert und daraus ein Porträt der Straße und ihrer Bewohner gefiltert, ein ebenso lesens- wie sehenswertes soziales Kaleidoskop, historisch und aktuell zugleich. Offenbar haben die beiden rasch Vertrauen bei den Bewohnern herstellen können. Die erzählten offen ihre Lebensgeschichten, schilderten ihre Beziehung zu Straße und Haus, ihr Wohn- und Lebensgefühl, berichteten auch von den juristischen Kämpfen, die sie um ihre Wohnungen teilweise auszufechten hatten.

Thorsten Klapsch/Michaela Nowotnick: Mein Stalinbau. Eine Berliner Straße und die Geschichten ihrer Bewohner. be.bra Verlag, Berlin. 208 Seiten, 150 Fotos, 20 Euro
Thorsten Klapsch/Michaela Nowotnick: Mein Stalinbau. Eine Berliner Straße und die Geschichten ihrer Bewohner. be.bra Verlag, Berlin. 208 Seiten, 150 Fotos, 20 Euro

© Promo

Denn auch in den ehemaligen Arbeiterpalästen der entstalinisierten Allee spiegelte sich die Malaise des Berliner Wohnungswesens. Nach der Wende plagten den Komplex Leerstand und Vernachlässigung, bevor er als lukratives Renditeobjekt entdeckt wurde, die Miet- zunehmend in Eigentumswohnungen umgewandelt wurden, mit den bekannten, für die Bewohner oft unerfreulichen Folgen.

Ein städtischer Mikrokosmos

Das Gesamtbild ist dabei alles andere als einheitlich, wie ohnehin die Bewohnerschaft eine Art städtischen Mikrokosmos darstellt, ein verkleinertes Abbild der zunehmend bunten Berliner Gesellschaft. Da beklagt die mit ihrem Partner und zwei Kindern in einer Zweiraumwohnung – ja, hier heißt das nicht Zweizimmer-, sondern immer noch Zweiraumwohnung – lebende Modedesignerin Maja Planinc, dass der Verkauf der Wohnungen an Einzelpersonen zu einer Spaltung zwischen Eigentümern und Mietern geführt habe. Merkwürdig fühle sich auch an, dass sie den Eigentümer ihrer Wohnung nie kennengelernt, ja dieser die Wohnung vor dem Kauf nicht mal besichtigt habe.

Ganz anders haben es Rüdiger und Frank erlebt, Eigentümer einer Dreiraumwohnung seit 1992 und damals „als erste Neubürger im Haus eingezogen“, in dessen Aufgang bislang ausschließlich Mieterinnen und Mieter aus dem Erstbezug gewohnt hätten. Dennoch habe man zu den Nachbarn von Anfang an ein gutes Verhältnis gehabt, man wohne miteinander, nicht nur nebeneinander.

Nicht immer lief die Ankunft in der neuen Nachbarschaft so glatt ab, mitunter saß deren Misstrauen tief. So erlebte es Artur Sahr, der mit seiner Christel 1996 einzog. Die Ur-Bewohner? „In erster Linie waren dit allet Jenossen.“ Er selbst hatte schon zu DDR-Zeiten in der Nähe einen Friseursalon betrieben. „Wenn se zum Haare machen kamen, war ja alles ok, aber wenn wir hier so ’ne Wohnung hatten, das war dann schon nicht mehr so gewollt.“ Schließlich war er selbstständig. Und damit für die Genossen ein Kapitalist.

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