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Das Zirkuszelt in Altglienicke - einer von mittlerweile sechs Cabuwazi-Standorten.

© Kai-Uwe Heinrich

Schlosser, Hausbesetzer, Zirkusdirektor: Der „Cabuwazi“-Gründer verlässt nach 28 Jahren die Manege

Mit Einrädern für Kreuzberg fing alles an: Karl Köckenberger hat den Kinderzirkus „Cabuwazi“ aufgebaut. In seiner Biografie spiegelt sich Berliner Geschichte.

Dies Kunststück ist selbst für einen altgedienten Zirkusdirektor schwierig. Sich selbst aus der Manege nehmen, das ist wie ein Salto ohne Netz und doppelten Boden.

Aber Karl Köckenberger lächelt darüber nur auf seine zurückgenommene feine Art. Da hat er doch schon ganz anderes geschafft, wird der Gründer und Geschäftsführer des Kinderzirkus „Cabuwazi“ sagen. Wenn er jetzt nach über 28 Jahren die Geschicke des „chaotisch-bunten Wanderzirkus“ seiner Nachfolgerin übergibt, weil er schwer erkrankt ist, wird er aber zwangsläufig daran erinnert, wie 1992 alles anfing.

Damals im Hof der besetzten „Regenbogenfabrik“ in Kreuzberg, wo Familie Köckenberger mit den Kindern lebte. Denen schenkte er Einräder – und stellte fest, dass die Kinder im sozial schwachen Kiez davon total begeistert waren. Deswegen kaufte er noch fünf Einräder dazu, und das Lebenskapitel der zirzensischen Abenteuer war aufgeschlagen.

Das erste Kapitel hatte für den gebürtigen Franken 1980 mit seiner Lehre als Stahlbauschlosser bei Krupp in Berlin begonnen. Das harte Metall, das genaueste Bearbeitung erfordert, um seine Funktion zu erfüllen, hat ihn Beharrlichkeit gelehrt. In dem Betrieb engagierte er sich zudem für die Belange der Belegschaft und wurde in die Arbeitnehmervertretung gewählt.

1987 wurde Karl Köckenberger Betriebsratsvorsitzender – und musste in den folgenden sieben Jahren immer wieder gegen Arbeitsplatzabbau und Verkaufspläne der Krupp-Muttergesellschaft kämpfen. Wie man Menschen mitnimmt und einbindet, hat der Metall-Gewerkschafter damals gelernt. Und auch, wie man beharrlich die politisch Verantwortlichen in Berlin bearbeitet.

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Das zweite Kapital begann im Sommer 1980, als der damals 24-Jährige mit anderen Aktiven die leer stehenden und auf den Abriss wartenden Gebäude in der Lausitzer Straße besetzte. „Instandbesetzen“ statt abreißen war die Parole. Neben dem Engagement für Beruf und Familie wurden die drei Wohnhäuser unter dem markant hochragenden Schornstein in fast 15 Jahre dauernder Eigenarbeit saniert.

Karl Köckenberger vom Zirkus Cabuwazi hört nach 28 Jahren auf.
Karl Köckenberger vom Zirkus Cabuwazi hört nach 28 Jahren auf.

© Gerd Nowakowski

Mit Unterstützung von Parteien und dem Bezirk bekamen die Besetzer einen bis 2041 laufenden Erbbauvertrag. Heute ist die „Regenbogenfabrik“ zu einem über Berlin hinaus bekannten Kultur- und Nachbarschaftszentrum gewachsen, in dem es neben den Wohnungen auch ein Café und Kantine, Kita, Kino, Bäckerei, Fahrrad- und Holzwerkstätten, ein Hostel und viele Kulturangebote gibt. Köckenberger selbst lebte dort bis 2011.

Er hat verdammt viele Bälle jongliert

Dabei ist der Familienvater, von dessen drei Kindern eines bei einem Unfall in einer selbst gebauten Sandhöhle starb, kein Vordrängler und Lautsprecher, sondern eher ein leiser Mensch, der zuhören kann. Aber zugleich jemand, der zupackt und jahrelang verdammt viele Bälle jonglierte als Betriebsratsvorsitzender, Familienvater, als Bauarbeiter im besetzten Haus und als Zirkusgründer. Schmunzelnd erzählt Köckenberger, wie er zuweilen nach Verhandlungen mit Senatsvertretern über die Krupp-Arbeitsplätze sinnbildlich den Hut wechselte und mit dem Zylinder des Zirkusdirektors um Unterstützung für Cabuwazi bat.

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Mit Erfolg. Seit 26 Jahren bietet Cabuwazi Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, in ihrer Freizeit artistische und akrobatische Kunststücke zu erlernen. Cabuwazi gibt sozial benachteiligten Kindern eine eigene Welt, in der sie sich ausprobieren können, Freundschaften finden und Selbstvertrauen durch die Auftritte vor Publikum in der Manege entwickeln. Im Zirkuszelt können sie unter der Anleitung von professionellen Trainern Seiltanz, Jonglieren, Trampolinspringen, Trapez oder Einradfahren trainieren. Oder sich als Clown ausprobieren. Köckenbergers Kinder sind heute selber professionelle Artisten, worauf er stolz ist.

Cabuwazi-Artisten im Jahr 2017 bei der Dankeschön-Party der "Gemeinsamen Sache" im Tagesspiegel-Innenhof.
Cabuwazi-Artisten im Jahr 2017 bei der Dankeschön-Party der "Gemeinsamen Sache" im Tagesspiegel-Innenhof.

© Thilo Rückeis

Jonglieren mit den Verhältnissen, das ist vielleicht seine größte Kunst. Sponsoren ermöglichten 1993 den Kauf der Großzelte für die zwei ersten Standorte. Heute gibt es Cabuwazi an fünf Standorten, in Treptow, Kreuzberg, Altglienicke, Marzahn und Tempelhof. Rund 10.000 Kinder trainieren jährlich unter der Obhut von über 100 Mitarbeiter*innen. Es gibt Ferienworkshops und Schulwochenprojekte.

Besonderen Wert legt die gemeinnützige Organisation auf die Arbeit mit Kindern aus Flüchtlingsfamilien und auf internationale Begegnungen. Auf dem Tempelhofer Feld hatte Cabuwazi neben dem Containerdorf für Geflüchtete sein Zelt aufgebaut. Erst nach zähen Verhandlungen konnte Ende 2019 gesichert werden, dass der Zirkus auf dem Tempelhofer Feld auch über die Schließung des Containerdorfes hinaus bleiben darf.

Ganz wird Karl Köckenberger die Manege nicht verlassen, sondern Hilfestellung geben bei der Kunst, ein erfolgreiches Projekt weiterzuführen. Die eine oder andere Idee könnte ihm dabei durchaus noch kommen.

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