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Völlig verdrecke Gerätschaften der Bäckerei Höhn - fotografiert im Jahr 2016

© Tsp

Exklusiv

Schimmel, Dreck, Verfall: Hygienemängel in Neuköllner Ekel-Bäckerei seit 2005 bekannt

Trotz miserabler Zustände durfte eine Bäckerei jahrelang Großkunden beliefern. Der Bezirk kann Gefährdungen „nicht ausschließen“. Das Problem ist strukturell.

Tote Kakerlaken, lebende Mäuse, Schimmel und Verfall. Es waren ekelerregende Fotos, die die Berliner Polizei am 4. März von einer Hygienekontrolle bei der Großbäckerei Höhn veröffentlichte.

Der Neuköllner Betrieb wurde sofort geschlossen. Recherchen des Tagesspiegel belegen jetzt allerdings: Schlechte hygienische Zustände in der Großbäckerei sind der bezirklichen Lebensmittelaufsicht bereits seit 15 Jahren bekannt.

Der Redaktion liegen Fotos von früheren Hygienekontrollen vor. Auf diesen Bildern, die bis ins Jahr 2016 zurückreichen, sind schlimme Zustände in der Bäckerei an der Neuköllnischen Allee erkennbar: Putz bröckelt von den Wänden, Heizungsrohre und Lüftungsschächte schimmeln, auf einer Heizung liegt eine tote Maus, und Gerätschaften sind von einer dicken Schmutzschicht überzogen.

Dreck und Ungeziefer sammelt sich nicht nur in dunklen Ecken, sondern auch dort, wo Brot und Brötchen gelagert werden. Seit jener Kontrolle im November 2016 sollen bis zur Schließung im März fünf weitere Kontrollen stattgefunden haben, im November 2019 wurde Strafanzeige durch die Lebensmittelaufsicht gestellt. Geschlossen wurde die Bäckerei nicht.

Bäckerei belieferte Rogacki, Knusperbäcker, Vivantes und Co.

Trotz der bereits bekannten Missstände produzierte die Bäckerei ihrer eigenen Website zufolge deshalb noch bis März 2020 Brot und Brötchen. Unter anderem wurden von dem Großbetrieb die Backshops der Marke Knusperbäcker beliefert.

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Außerdem soll die Bäckerei die Metro, den Feinkostladen Rogacki, Krankenhäuser wie Vivantes, Seniorenheime und weitere Großkunden beliefert haben. So schrieben es die Betreiber bis November 2019 zumindest auf ihrer Webseite.

Dreck an den Wänden, Dreck an den Decken - dazwischen die Backwaren auf verdreckten Gerätschaften.
Dreck an den Wänden, Dreck an den Decken - dazwischen die Backwaren auf verdreckten Gerätschaften.

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Auf Anfrage des Tagesspiegel räumt das Bezirksamt Neukölln nun ein, „Probleme mit den hygienischen und baulichen Zuständen sind der Lebensmittelaufsichtsbehörde des Bezirksamtes bereits seit dem Jahr 2005 bekannt“. Die Ursache dafür sei eine „in Teilen veraltete und vernachlässigte Infrastruktur“ gewesen und „zunehmender Verfall“ der Gebäude.

Christian Berg, Sprecher des Bezirksamtes, sagte, nach den Kontrollen der Lebensmittelaufsicht hätten die Betreiber „vereinzelte Verbesserungen, insbesondere im Bereich der Schädlingsbekämpfung“ vorgenommen. Nach der Kontrolle im Jahr 2016 wurde eine Schädlingsbekämpfungsfirma engagiert.

Gesundheitsgefährdung kann nicht ausgeschlossen werden

Laut Informationen des Tagesspiegel haben jedoch die vorgeschriebenen Nachkontrollen durch die Lebensmittelaufsicht des Bezirks nicht stattgefunden. Der Betrieb soll lediglich einen Nachweis über die Beauftragung einer Schädlingsbekämpfungsfirma vorgelegt haben, ob das erfolgreich war, wurde nicht geprüft. Aus Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen, geht hervor, dass die nächste Kontrolle erst zwei Jahre später stattfand.

Das Bezirksamt teilte auf Anfrage mit, „eine Gesundheitsgefährdung kann grundsätzlich niemals ausgeschlossen werden“. Durcherhitzte Backwaren gelten insgesamt als Produkte mit einem geringen Hygienerisiko - zumindest im Vergleich mit Betrieben, die etwa frisches Fleisch verarbeiten.

Das ist kein stillgelegter Betrieb: So sah es in der Bäckerei schon drei Jahre vor Schließung aus.
Das ist kein stillgelegter Betrieb: So sah es in der Bäckerei schon drei Jahre vor Schließung aus.

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Gerrit Kringel, CDU-Fraktionsvorsitzender in Neukölln, hatte bereits wenige Tage nach der Schließung während einer Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung erklärt: „Die Bäckerei hätte schon viel früher geschlossen werden müssen.“

Nämlich spätestens zum Zeitpunkt der Strafanzeige im November 2019, das sei eine „besorgniserregende Nachlässigkeit“ des Neuköllner Bürgermeisters, Martin Hikel (SPD), gewesen. Dessen Sprecher teilt mit, die politische Leitung des Bezirksamtes habe erst am Tag der Schließung des Betriebs von den Missständen dort erfahren.

Zuvor hatte „grundsätzlich die Lebensmittelaufsicht beim Ordnungsamt Neukölln“ Kenntnis über die Situation in der Bäckerei, heißt es weiter. Im Dezember 2018, also schon ein knappes Jahr vor der Anzeige, habe auch die damalige Leiterin des Ordnungsamtes von den Missständen erfahren. Nach Informationen des Tagesspiegel soll der Zustand im zuständigen Amt allgemein bekannt gewesen sein.

Hinter dem Problem stecken Berliner Zustände

Bezirksamtssprecher Christian Berg verteidigt die Arbeit der Lebensmittelbehörde. Die Lebensmittelaufsicht sei allein in den letzten Monaten vier Mal in dem Betrieb gewesen. „Immer wurden Auflagen angeordnet beziehungsweise überprüft.“ Es habe vereinzelte Verbesserungen gegeben, dann hätten sich die Zustände aber massiv verschlechtert, deshalb sei es zur Schließung gekommen.

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Hinter dem Fall der Neuköllner Bäckerei Höhn steckt ein strukturelles Problem. Die Lebensmittelaufsichtsbehörden kommen ihren Kontrollpflichten in ganz Berlin nicht nach. Aktuelle Zahlen der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz belegen, dass 2018 nur ein Drittel der knapp 55.000 Lebensmittelbetriebe kontrolliert wurde.

Ob Rost, Dreck oder beides? Auseinanderzuhalten ist das nicht mehr. Auf diesen Regalen lagen die Backwaren jahrelang.
Ob Rost, Dreck oder beides? Auseinanderzuhalten ist das nicht mehr. Auf diesen Regalen lagen die Backwaren jahrelang.

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Bei mehr als 5000 Betrieben, also bei rund 27 Prozent aller Überprüfungen, stellten die Lebensmittelkontrolleure Verstöße fest. Die Zahl der Kontrollen sank im Verhältnis zum Vorjahr sogar: Es wurden vier Prozent weniger Betriebe kontrolliert als 2017. Im Berliner Durchschnitt kann nur jede zweite vorgeschriebene Überprüfungen durchgeführt wird.

Das Problem ist auch in Neukölln spürbar. Bezirksamtssprecher Christian Berg teilt mit, die gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollfrequenzen seien nicht einzuhalten. "Die bislang acht Mitarbeitenden der Lebensmittelbörde schaffen etwa 2500 Kontrollen pro Jahr."

Unter Berücksichtigung aller europa- und bundesrechtlichen Vorgaben wären jedoch laut Bezirksamt etwa 4600 Kontrollen pro Jahr erforderlich. Dafür brauche man mindestens 15 Mitarbeiter, schreibt Berg. Anfang 2020 konnte immerhin eine neue Stelle geschaffen werden. Um sich an geltendes Recht halten zu können, fehlen der Behörde damit noch sechs Mitarbeiter.

Organisationen wie Foodwatch fordern deshalb seit langem eine sogenannte "Hygieneampel". Sie soll Verbraucher an der Ladentür informieren, wie ein Lebensmittelbetrieb bei der Hygienekontrolle abgeschnitten hat. Ein Gesetzentwurf dafür sollte von Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt (Grüne) im vergangenen Jahr vorgelegt werden. Passiert ist das bis heute nicht.

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