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Ein Schießstand der Berliner Polizei.

© Rainer Jensen/dpa

Schießstandaffäre bei der Berliner Polizei: Ermittlungen gegen Generalstaatsanwältin eingestellt – nun sind Untergebene dran

Berliner Polizisten atmeten in Schießständen Giftstoffe ein, einige starben. Das Verfahren gegen Margarete Koppers ist beendet, ermittelt wird nun gegen andere.

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Die Staatsanwaltschaft Berlin hat die Ermittlungen gegen ihre eigene Chefin, Generalstaatsanwältin Margarete Koppers, zur Schießstandaffäre bei der Polizei eingestellt. Das hatte der Tagesspiegel bereits exklusiv vor einer Woche berichtet. Am Donnerstag stellte die Staatsanwaltschaft die Ergebnisse offiziell vor.

Seit der Skandal um Gesundheitsgefahren in den Schießständen der Polizei und schwer erkrankte Beamte 2015 aufgedeckt wurde, war erst gegen unbekannt und ab 2017 gegen Koppers ermittelt worden, aber auch gegen die früheren Polizeipräsidenten Dieter Glietsch und Klaus Kandt. Der Verdacht: Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

Die damalige Polizeiführung – auch mit Koppers als Vize-Präsidentin – wusste jahrelang, dass sie ihre Beamten beim Schießtraining wegen erheblicher Schadstoffbelastungen einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt hat. Und sie unternahm nichts. Von 2002 bis 2016 soll sie "nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, um die betroffenen Polizeibeamten" vor gefährlichen Stoffen zu schützen, lautete der Vorwurf.

Fest steht: Die Staatsanwaltschaft hat einen großen Aufwand für ihre Chefin betrieben, um die Ermittlungen gegen Kritik abzusichern und jeden Anschein auszuräumen, mit ihr sei nachsichtig umgegangen worden.

Der Einstellungsbescheid ist 1300 Seiten dick sein, hieß es. Rechtlich lässt sich ein kausaler Zusammenhang zwischen den giftigen Zuständen in den Schießständen, dem unterlassenen Einschreiten der Polizeiführung und den gesundheitlichen Schäden kaum nachweisen.

Polizeiführer freigesprochen, nun wird gegen Untergebene ermittelt

Es „konnte nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem polizeilichen Schießtraining und den Langzeiterkrankungen und Todesfällen von Polizeibeamten besteht“, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit.

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Glietsch, Kandt und Koppers hätten in ihrer Führungsfunktion die Sorgfaltspflichten „auf nachgeordnete Stellen oder Personen delegiert“. Die Ermittlungen hätten keine Anhaltspunkte für ein „sorgfaltswidriges Überwachungsverschulden“ der Polizeichefs ergeben. Sie seien bei der Überwachung der untergebenen Stellen lediglich zu einer „groben Überprüfung und Plausibilitätskontrolle“ verpflichtet gewesen.

Es sei davon auszugehen, dass die Polizeichefs von den untergebenen Stellen „nur unvollständig und zum Teil unzutreffend“ über die Probleme in den Schießständen unterrichtet worden sind, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die Rede ist von „irreführenden Darstellung“ zu Prüfergebnissen aus den Schießständen. Das haben dazu beigetragen, dass die Missstände „jahrelang nicht behoben wurden“, erklärte die Staatsanwaltschaft. Teils seien Mängel bei Lüftungsanlagen nicht behoben worden.

Die Staatsanwaltschaft geht auch nicht davon aus, dass die drei Polizeichefs einen Grund hatten, den Voten, Stellungnahmen und Vorlagen der Fachleute ihrer Behörde zu misstrauen. Es habe sich um „technisch komplexe Fragestellungen gehandelt“. Die Staatsanwaltschaft hat nun weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet zu „möglicherweise strafrechtlich relevanten Versäumnissen durch Mitarbeiter der Fachbereichsebene“.

Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin von Berlin, war früher Vize-Chefin der Berliner Polizei.
Margarete Koppers, Generalstaatsanwältin von Berlin, war früher Vize-Chefin der Berliner Polizei.

© Gregor Fischer/dpa

Wie aus der Behörde zu hören ist, haben „mindestens immer drei Staatsanwälte zeitgleich ausschließlich daran gearbeitet“. Rund 160 Zeugen wurden vernommen, 205.000 Aktenseiten und 390 Gigabyte mit 1,4 Millionen Daten ausgewertet. Hinzu kommen 501 Dienstunfallanzeigen, 173 Anträge auf Ausgleichszahlungen und 320 technische Gutachten, Bewertungen und arbeitsmedizinische Stellungnahmen.

„So ein Aufwand rechtfertigt sich eigentlich nur, wenn man jemanden anklagen will“, sagt ein Ermittler. Eine halbe Abteilung sei über Jahre alleine mit Koppers beschäftigt gewesen. In der Staatsanwaltschaft sind einige sauer, denn wegen Koppers blieb viel anderes liegen. Sogar der Leichnam eines verstorbenen Beamten war im Zuge der Ermittlungen beschlagnahmt worden.

Nötig war das auch, weil Koppers von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) 2018 ins Amt gehoben wurde, obwohl bereits Ermittlungen gegen sie liefen. Und als Koppers noch Polizeivizepräsidentin war, ist trotz des Verdachts und entgegen der üblichen Praxis kein Disziplinarverfahren eröffnet worden, das den Aufstieg blockiert hätte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die von Andreas Geisel (SPD) geführte Innenverwaltung froh war, Koppers loszuwerden.

Dennoch freute sich Justizsenator Behrendt am Donnerstag, dass die Ermittlungen nun eingestellt wurden. Das sei Anlass, "an den hohen Stellenwert der Unschuldsvermutung zu erinnern". Es sei die richtige Entscheidung gewesen, Koppers 2018 zur Generalstaatsanwältin zu ernennen. Dass trotz Unschuldsvermutung Beamte bei Ermittlung eigentlich nicht befördert werden, erwähnte Behrendt nicht.

Zweiter Ausgleichsfonds kommt bislang nicht zustande

Koppers soll nach den internen Unterlagen spätestens seit 2011 mit den Problemen in den Schießständen befasst gewesen sein. Ihr war vorgeworfen worden, nicht schnell und entschieden genug gehandelt und stattdessen die Lage in den Schießständen trotz klarer Warnungen bis 2014 sogar weiter geduldet zu haben, bis das ganze Ausmaß 2015 publik geworden ist.

Für betroffene Polizisten – Schießtrainer, Beamte aus Spezialeinheiten – ist die Schießstandaffäre auch noch nicht aufgearbeitet und nicht ausgestanden. Zahlreiche Beamte sind nach jahrelangem Einsatz in Schießständen schwer erkrankt, leiden an Krebs. Der Verein Biss zählt 18 verstorbene Beamte als direkte Todesopfer der Affäre auf.

Allerdings konnten sich bei den Ermittlungen zahlreiche Zeugen an nichts erinnern, auch die Beschuldigten sagten wenig oder ließen ihre Anwälte sprechen. Karsten Loest vom Opferverein Biss sagte, die Probleme seien von vielen Beteiligten – Mediziner, mittlere Führungsebene, Personalräte – über Jahre vertuscht und Gesundheitsschäden wegen hoher Sanierungskosten hingenommen worden.

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Auf politischen Druck hatte Rot-Rot-Grün einen Entschädigungsfonds in Höhe von drei Millionen Euro durchgesetzt. Weil die Entscheidungen der vom Senat einberufenen Expertenkommission zu den Ausgleichsgeldern die Lage nicht befriedet haben und die Opfer unzufrieden sind, sind im Haushalt weitere drei Millionen vorgesehen. Für deren Auszahlung wurde bislang kein Modus gefunden.

Gewerkschaft der Polizei: Nachricht ist "ein weiterer Nackenschlag"

In Polizeikreisen hat die Nachricht über die Einstellung der Ermittlungen gegen Koppers für Entsetzen gesorgt. „Abgesehen davon, dass wir nach wie vor in Gesprächen über finanzielle Entschädigungen für die Betroffenen sind, ist diese Nachricht ein weiterer Nackenschlag“, sagte der Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP), Benjamin Jendro.

„Es ist Fakt, dass die Themen Arbeitsschutz und Fürsorgepflicht bei den Schießständen jahrelang mit Füßen getreten wurden und die heutige Generalstaatsanwältin da zeitweise die Verantwortung hatte“, sagte Jendro.

Inzwischen hat ein früherer SEK-Beamter vor Gericht durchgesetzt, dass die Entscheidungen der Kommission gerichtlich überprüfbar sind. Die Innenverwaltung hatte wegen des Verfahrens Gespräche mit den Gewerkschaften über einen weiteren Fonds über drei Millionen Euro ausgesetzt.

Grünen-Innenexperte Benedikt Lux warnte vor weiteren Verzögerungen und den Folgen für die betroffenen Beamten. „Manche haben nicht mehr viel Zeit“, sagte Lux. Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbandes "Unabhängige", sagte: „Die Schießstandaffäre hat bislang 18 Todesopfer gefordert, ohne dass auch nur ein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wurde."

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