zum Hauptinhalt
Sigrid Evelyn Nikutta (hier im Februar 2016) führte seit mehr als nun Jahren die Geschäfte der Berliner Verkehrsbetriebe BVG. Ab 1. Januar 2020 übernimmt sie die Leitung der Gütersparte im Vorstand der Deutschen Bahn.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Scheidende Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe: Nikuttas Vision von der schnellen und klimafreundlichen BVG

Jeder Berliner steht statistisch 154 Stunden pro Jahr im Stau. Wer mehr Lebensqualität will, muss Verkehre bündeln. Ein Gastbeitrag der scheidenden BVG-Chefin

Vor fast 100 Jahren vergrößerte sich durch das Inkrafttreten des Groß-Berlin-Gesetzes das Berliner Stadtgebiet von 66 auf 878 Quadratkilometer. Über Nacht war Berlin damit - nach Los Angeles - die flächenmäßig zweitgrößte und mit 3,8 Millionen Bürgern nach London und New York die dritt-einwohnerstärkste Stadt der Welt.
Fast genau neun Jahre später wurde die BVG gegründet. Zuvor hatte es eine Vielzahl an Straßenbahn-, Omnibus- und U-Bahn-Gesellschaften gegeben. Jede hatte einen eigenen Fahrplan, eigene Tarife. Kaum eine Verkehrsverbindung war aufeinander abgestimmt. Keine guten Voraussetzungen für eine aufstrebende Industriemetropole.
Der spätere Regierende Bürgermeister und damalige Verkehrsstadtrat Ernst Reuter erkannte die Bedeutung smarter Mobilität für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Mit Gründung der BVG verwirklichte er seine Vision, Mobilität aus einer Hand für alle Berlinerinnen und Berliner anzubieten. Unter dem Namen Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft - daher die Abkürzung BVG - wurden die Verkehrsunternehmen zusammengeschlossen, mit einheitlichem Tarif, abgestimmten Fahrplänen und Haltepunkten.
Heute bringt die BVG mit zehn U-Bahn-, 22 Straßenbahn- und über 150 Buslinien jeden Tag 3,6 Millionen Fahrgäste sicher, zuverlässig und umweltfreundlich ans Ziel. Dazu kommen noch rund 1,4 Millionen Fahrgäste der S-Bahn Berlin. Eine solche Leistung schaffen nur Busse und Bahnen.

Bus und Bahn als Rückgrat des Stadtverkehrs

Berlin ist heute wieder eine wachsende Stadt. Neben den Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt spüren wir das vor allem im Verkehr. Zwar wächst die Anzahl der privaten Pkw nicht im gleichen Maße, aber doch stetig. Allein im vergangenen Jahr standen die Berlinerinnen und Berliner jeweils 154 Stunden im Stau. Wenn wir uns zwischen Parkanlagen und Parkplätzen entscheiden müssen, sollte klar sein, wer den Zuschlag erhält. Eine hohe Lebensqualität mit sauberer Luft und viel Platz für die Menschen schaffen wir nur mit der Bündelung der Verkehre.

Die Zeit, die Berlins Autofahrer im Stau stehen, addiert sich jedes Jahr mehrere Tage. Auf diesem Archivbild quält sich der Verkehr durch auf der B1 in Berlin durch Lichtenberg stadteinwärts.
Die Zeit, die Berlins Autofahrer im Stau stehen, addiert sich jedes Jahr mehrere Tage. Auf diesem Archivbild quält sich der Verkehr durch auf der B1 in Berlin durch Lichtenberg stadteinwärts.

© Bernd Settnik/dpa

Zum Stadtverkehr der Zukunft gehört natürlich auch, dass neben S-, U-Bahn und Straßenbahn auch der Busbetrieb nach und nach auf Elektromobilität umgestellt wird. Und die Beschaffung von E-Bussen ist in vollem Gange. Seit diesem Jahr betreiben wir zum Beispiel erfolgreich die Linie 300 mit E-Bussen aus Serienfertigung. Gleichzeitig wird auch die Infrastruktur auf den Betriebshöfen und an Endhaltestellen entsprechend ausgebaut. Und ab 2030 werden dann alle Verkehrsmittel des Berliner Nahverkehrs lokal emissionsfrei fahren. Busse und Bahnen bleiben dabei auch in Zukunft der tragende Pfeiler einer smarten Stadtmobilität. Mit der Digitalisierung drängten in den vergangenen Jahren auch in der Verkehrsbranche neue Dienstleistungen auf den Markt. Das sogenannte Free Floating Carsharing machte den Anfang. Mit dem Smartphone konnten auf einmal Autos reserviert, geöffnet und ausgeliehen und am Ziel einfach wieder abgestellt werden. Es folgten Bikesharing, Ridesharing, E-Motorroller zum Teilen und die für viele Diskussionen sorgenden elektrischen Tretroller.

Sharing ist sichtlich das Schlagwort der digitalen Mobilitätsangebote. Geteilt werden die Fahrten natürlich auch im Bus und in der Bahn, doch diese neuen Mobilitätsangebote bieten die Möglichkeit, auch individuelle Wünsche der Fahrgäste zu bedienen. In Ergänzung zu Bussen und Bahnen sprechen sie insbesondere die junge Stadtbevölkerung an - die Nahverkehrsnutzerinnen und -nutzer der Zukunft.

Unabhängig vom privaten Auto gemeinsam durch die Stadt

Wer kennt die Stadt besser als wir, schließlich sind wir seit 90 Jahren der Mobilitätsanbieter Nummer 1 unserer Stadt. Und, wie gesagt, wir können Sharing. Darum ist es für uns auch ganz klar: die vielfältigen Sharing-Angebote sind keine Konkurrenz. Sie sind Partner einer smarten Mobilität. Das gemeinsame, übergeordnete Ziel heißt: Die Berlinerinnen und Berliner unabhängig machen vom privaten Auto.
Noch existieren die neuen Mobilitätsangebote eher nebeneinander her als miteinander. So benötigen Nutzerinnen und Nutzer für den Nahverkehr und für die verschiedenen Sharing-Angebote jeweils eine eigene App. Darum haben wir Jelbi entwickelt, eine App, die alles kann: Mit einem Login alle Möglichkeiten ans Ziel zu kommen, vergleichen und dann die beste Option für jede Wetterlage reservieren, buchen und bezahlen.
Wir haben bereits eine ganze Reihe von Angeboten tiefenintegriert: ÖPNV, Carsharing, Fahrrad, E-Roller, E-Tretroller und den Berlkönig. Bald kommt noch das Taxi hinzu und anschließend jeweils weitere Partner. Mit Jelbi haben wir einen Nerv der Zeit getroffen. Das Magazin "Forbes" bezeichnete das Angebot als ein "New Amazon for Transportation".
Die Vernetzung der Mobilitätsangebote ist auch analog sichtbar. Jelbi-Stationen an Bahnhöfen und ÖPNV-Knotenpunkten sind der analoge Zwilling der App. Hier können die Fahrgäste bequem von Bus und Bahn auf Leihräder, Carsharing oder E-Roller umsteigen und natürlich auch andersherum. Die Stationen sind Abstellfläche für die unterschiedlichen Verkehrsmittel und bieten zudem gebündelte Informationen zu den Angeboten. Sie sind damit Anlaufstelle für die Mobilität in der Stadt und machen so die Berlinerinnen und Berliner unabhängig vom privaten Auto.

Neue Wege durch die Stadt mit dem BerlKönig

Als Mobilitätsanbieter der Zukunft vernetzt die BVG Bahnen und Busse aber nicht nur mit neuen Angeboten, sie entwickelt diese auch selbst. Ein sehr erfolgreiches Beispiel hierfür ist unser Pilotprojekt Berlkönig. Seit dem Start des Berlkönigs im September 2018 wurden bereits über 1,2 Millionen Fahrgäste ans Ziel gebracht. Wir wünschen uns, dieses tolle Angebot als integralen Bestandteil des ÖPNV deutlich zu erweitern und perspektivisch in ganz Berlin anzubieten.

In Zukunft werden wir Städte erleben, in denen der öffentliche Nahverkehr noch mehr als heute Rückgrat der Mobilität ist. Mit dichten Takten, einem Angebot rund um die Uhr und umweltfreundlichen Bahnen und E-Bussen kommen alle immer sicher ans Ziel. Smart vernetzte Angebote bieten für jeden Anlass, für jede Strecke und für jede Wetterlage die beste Option. So bewegen sich die Menschen flexibel und unabhängig durch die Städte.
Diese Unabhängigkeit und Flexibilität, die nur die vernetzte öffentliche Mobilität bieten kann, dabei Luft, Umwelt und Klima schützt, wird ebenso selbstverständlich sein wie U-Bahn, Bus und Straßenbahn es bereits heute sind.

Sigrid Nikutta

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false