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Der Garten vor der Haustür. Diese Familie aus dem Kunger-Kiez pflegt liebevoll ihren Steingarten.

© Georg Moritz

Saubere Sache - Gemeinsame Sache: Treptow: Die Straße der grünen Daumen

Mit einer Guerilla-Aktion erkämpfte sich der Kunger-Kiez in Treptow seine Baumscheiben. Am Samstag feiern die Anwohner die vielen Kleingärten vor der Haustür.

Wer die Leute in seinem Kiez kennenlernen möchte, sollte sich ein Baumscheiben-Beet zulegen. Davon ist Luigi Lauer überzeugt. Eben hat der 53-Jährige noch etwas Unkraut aus dem Beet vor seiner Haustür im Kunger-Kiez gerupft, da kommt auch schon die erste Nachbarin vorbei und es wird geklönt. In der Nachbarschaft gibt es 25 bis 30 solcher Baumscheiben-Beete. Die soziale Funktion sei nicht zu unterschätzen, meint Lauer. „Nie geht jemand vorbei, ohne irgendetwas zu sagen.“ Doch der eigentliche Grund für seine Baumscheiben-Liebe ist viel simpler zu erklären. „Ein gepflegtes Beet sieht einfach gut aus.“ Besser als ein kaputter Fernseher, eine alte Matratze – was eben sonst auf den Straßen Berlins so liegt.

Am Ende wird die schönste Baumscheibe gekürt

Sein Beet hat er liebevoll mit ein paar Baumstämmen umlegt, Studentenblumen, Margeriten, Malven und blühende Stauden wachsen darin. Etwa ein bis drei Stunden pro Woche verbringt er mit Blumen gießen und Unkraut jäten. Nachbarin Katharina hat auch ein Beet. Von Lauer möchte sie wissen, ob die Jury denn schon entschieden habe, wer der Gewinner des diesjährigen „Baumscheibenfestes“ werde. Doch da muss sich die Nachbarin wie alle Kiez-Gärtner noch bis zum kommenden Sonnabend gedulden. Es ist das dritte Mal, dass Lauer gemeinsam mit Kata Wegner und Julia Schuppan von der Kunger-Kiez-Initiative das „Baumscheibenfest“ veranstaltet. Mit dem Fest möchte Lauer noch mehr Nachbarn dazu anregen, eine Baumscheibe zu bepflanzen. Als Anreiz wird am Ende des Festes die schönste Baumscheibe gekürt. Und es geht natürlich noch um viel mehr. „Die Nachbarn sollen sich kennenlernen“, sagt Lauer. Das Fest wird ehrenamtlich von den Bewohnern des Kiezes veranstaltet. Es gibt einen Geschichtspfad, jede Menge Kreativkurse, eine Fahrradwerkstatt und ein Repair-Café. Außerdem viele Gelegenheiten, bei denen sich die Bewohner untereinander für neue Kiezprojekte vernetzen können.

Vor der Wende war der Kiez ein Sperrbezirk

“Das ist der netteste Kiez, in dem ich je gewohnt habe“, sagt Lauer, der seit 16 Jahren in der Karl-Kunger-Straße lebt. „Vom Studenten und Hartz-IV-Empfänger bis zum Universitätsprofessor ist hier alles vertreten“, sagt der frühere Musiker und jetzige Musikjournalist. Viele kreative Menschen leben in der Gegend, die vor der Wende ein Sperrbezirk war. Heute trifft sich hier Ost und West.

Zur Geschichte der Treptower Baumscheibe hat Luigi Lauer einiges beigetragen. Bis Ende 2010 war das Bepflanzen der Baumscheiben in Treptow-Köpenick verboten. Das Tiefbauamt sah in der Umzäunung der Beete eine „Stolpergefahr“. „Lächerlich“, ärgert Lauer sich noch heute. Doch ein Baumscheiben-Beet ohne Zaun sei sinnlos, da es ansonsten sofort von Hunden und Menschen kaputt getrampelt werde.

"Wir wollten auch so ein spießiges Beet". Luigi Lauer (l.) mit seinen Nachbarn Anne Köster und Jussuf Kremke vor der Treptower Klause.
"Wir wollten auch so ein spießiges Beet". Luigi Lauer (l.) mit seinen Nachbarn Anne Köster und Jussuf Kremke vor der Treptower Klause.

© Georg Moritz

Lauer ärgerte es, dass er damals in Kreuzberg und Neukölln viele solcher Beete sah, nur sein Bezirk rigoros gegen die Hobbygärtner vorging. Nachdem das Amt sein eigenes Blumenbeet vor der Haustür zerstört hatte, organisierte er eine Guerilla-Gardening-Aktion vor dem Tiefbauamt. Mit Spaten, Blumen und einem Gartenzwerg „mit Stinkefinger“ bewaffnet, zog seine Mannschaft vor das Tiefbauamt. Vermummt und schwarz gekleidet wie Antifa-Aktivisten fuhren sie mit einem weißen Lieferwagen vor, „um innerhalb von wenigen Minuten eine Unkrautfläche zu einem gut gepflegten Blumenbeet umzuwandeln“, wie Lauer es nennt. Ein RBB-Reporter brachte die Guerilla-Aktion in die Abendschau. „Danach hat die Bezirksverordnetenversammlung den zuständigen Menschen, der keine Blumenbeete mochte, beim Tiefbauamt ausgebremst“, erzählt Lauer stolz.

Der Baumscheiben-Wettbewerb hatte sie vor zwei Jahren angefixt

Auch vor der „Treptower Klause“ pflegen Anne Köster und ihr Lebensgefährte Jussuf Kremke ein Beet. Rund um eine alte Eiche wachsen Phlox, Nesseln, Klee und Storchschnabel. Es gibt ein Vogelhaus und eine mit Wasser gefüllte Trinkschale für die Vögel. „Hier kommen tagsüber die Spatzen zum Trinken her und abends badet immer eine Amsel“, freut sich die Wirtin. „Wir wollten einfach, dass es vor unserer Tür schön aussieht“, sagt der gebürtige Ost-Berliner.

Lauer führt noch zu weiteren Beeten in der Krüllstraße. Dort gießt Nachbarin Gilla Schmitt gerade ihre Blumen. Die Kinesiologin hat vor ihrer Praxisgemeinschaft für alternative Medizin einen Kräutergarten angelegt. Auch Michael Mowitz und Bianca Jacobsohn mit ihren zwei Kindern sind gerade auf der Straße unterwegs. Der Baumscheiben-Wettbewerb hatte sie vor zwei Jahren angefixt und prompt haben sie mit ihrem Steinbeet den dritten Platz belegt. „Viele Parteien aus dem Haus helfen mit und auch die Kinder haben Spaß dabei“, sagt Jacobsohn. Nun haben sie sich für dieses Jahr noch mal richtig ins Zeug gelegt und schielen auf den ersten Platz. Der Sieger bekommt wie jedes Jahr den Goldenen Gartenzwerg verliehen. Aber ohne Stinkefinger.

Baumscheibenfest am Sonnabend, 12. September. Info: www.kungerkiez.de, www.baumscheibenfest.de

Das Video zur Guerilla-Aktion vor dem Tiefbauamt finden Sie hier.

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