zum Hauptinhalt
Benutzen verboten. Viele Toiletten in Cafés und öffentlichen Einrichtungen sind derzeit geschlossen.

© Ottmar Winter / PNN

Sanitärer Ausnahmezustand in der Coronakrise: „Gebt die Toiletten frei!“

Wir dürfen in Restaurants und Cafés einkaufen, nur das WC ist Corona-Sperrzone. Zu unserem Schutz? Da machen es sich Wirte und Politiker zu leicht. Ein Kommentar

Das rot-weiße Flatterband ist kreuzweise vor die Tür geklebt, als befinde sich dahinter der Ort eines Verbrechens. Die Botschaft für die Kundinnen und Kunden des Cafés, die direkt daneben in der Warteschlange vor dem Tresen stehen, ist eindeutig: Kommt bloß nicht auf die Idee, diese Tür öffnen zu wollen – auch wenn man hinter der Absperrung noch die Aufschrift „WC“ erkennt.

Im Lieblingsrestaurant eine Ecke weiter, wo man sich regelmäßig mit Essen zum Mitnehmen versorgt, auch um dem Laden beim Überleben in der Pandemie zu helfen, ist der Zugang zur Toilette ebenfalls gesperrt, ein Schild erklärt das mit der Corona-Schutzverordnung.

Als neulich trotzdem eine Kundin zu fragen wagte, ob sie mal kurz auf Toilette dürfe, wurde ihr barsch beschieden, dass das nicht gehe. Und ein Kollege berichtet, in seiner Stammkneipe lasse der Barmann nur noch gute Bekannte und Stammgäste heimlich aufs Klo.

Wer den aktuellen Lockdown nicht komplett im Homeoffice oder auf der Couch verbringt, sondern weiterhin in der Stadt unterwegs ist, sei es aus dienstlichen Gründen oder auch mal, um sich daheim nicht die Decke auf den Kopf fallen zu lassen, der hat ein Problem. Denn in einer Stadt, die knapp vier Millionen Menschen gerade mal rund 300 öffentliche Toiletten anbietet, sind viele von uns eben darauf angewiesen, hin und wieder mal die Toilette eines Cafés oder Restaurants in Anspruch zu nehmen.

Und das soll jetzt plötzlich verboten sein – während man in derselben Lokalität ohne Probleme mit anderen Menschen in einer Schlange stehen darf, um einen Kaffee oder Essen zu bestellen?

WC verboten? So eindeutig ist das nicht vorgeschrieben

Ein Blick in die Sars-CoV-2-Infektionsschutzmaßnahmenverordnung des Senats zeigt, dass es nicht ganz so einfach ist. „Gaststätten dürfen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden“, steht da zwar. Aber auch: „Sie dürfen Speisen und Getränke zur Abholung oder zur Lieferung anbieten. Für die Abholung sind geeignete Vorkehrungen zur Steuerung der Kaufabwicklung und zur Vermeidung von Menschenansammlungen zu treffen.“ Ein Toilettennutzungsverbot klingt anders, oder?

Essen kaufen erlaubt, Toilette verboten: Ein Schild vor einer Gaststätte
Essen kaufen erlaubt, Toilette verboten: Ein Schild vor einer Gaststätte

© Imago / Ecomedia / Robert Fishman

Ein Anruf bei Jürgen Benad, dem Chef der Rechtsabteilung beim Hotel- und Gaststättenverband. „Wir müssen nach diesem Wortlaut zu dem Schluss kommen, dass die Gäste das Restaurant nicht für den Besuch der Toiletten betreten dürfen“, sagt der. Wolle man das ändern, müsste die Politik die Verordnung umformulieren, um zum Beispiel festzulegen, wie viele Menschen gleichzeitig im Toilettenbereich sein dürfen. „Sonst bleibt den Betreibern zu viel Rechtsunsicherheit.“

Das dürfte doch nicht so schwer sein, oder? Ein Senat, der uns in Zentimetern vorgibt, wie nahe wir anderen Menschen in Grünanlagen kommen dürfen, sollte das auch für Toiletten in Cafés und Restaurants geregelt kriegen. Bis dahin dürften allerdings auch die Gastronomen mehr Pragmatismus und Mitgefühl zeigen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wie wäre es mit einem Deal, liebe Wirte? Wir halten Euch so lange die Treue, wie diese Krise dauert, kaufen weiter fleißig Essen und Trinken to go, und Ihr entfernt das rot-weiße Flatterband von den WC-Türen und zeigt Euch auch in kritischen Zeiten als gute Gastgeber. Und wenn neben der Tür ein Trinkgeldbehälter steht, wäre ich sicher nicht der Einzige, der da gerne Geld reinwirft.

Viel Zustimmung von Leserinnen und Lesern

Ähnlich sehen das auch mehrere Leserinnen und Leser des Tagesspiegels, die in Briefen an die Redaktion auf den vorstehenden Text reagiert habe, der zuerst vor ein paar Tagen in der Printausgabe der Zeitung veröffentlicht wurde.

„Geschlossene, sonst öffentlich zugängliche Toiletten sind eins der Probleme, die in der Pandemie ungelöst sind“, schreibt zum Beispiel Wolfgang Pohl von der Seniorenvertretung Berlin-Tempelhof-Schöneberg. „Selbst öffentliche Toiletten in Rathäusern gehörten zu den ersten Örtlichkeiten, die sich Menschen verschlossen haben.“

Die Toiletten von anderen öffentlichen Einrichtungen wie Bibliotheken und Seniorenfreizeitstätten seien ebenfalls mit Verweis auf die Infektionsverordnungen abgeriegelt worden. „Für Seniorinnen und Senioren ist das besonders misslich, egal ob der Grund die schwache Blase oder medikamentöse Nebenwirkungen sind.“ Mobilität und Bewegung entstehe für ältere Menschen dort, wo es eine Sitzbank und eine Toilette gibt. „Mit dem Fehlen der Toilette wird ihr Bewegungsradius erheblich minimiert.“

Auch an vielen Ausflugsorten wie hier am Tegernsee haben Menschen, die eine Toilette benötigen, derzeit Probleme.
Auch an vielen Ausflugsorten wie hier am Tegernsee haben Menschen, die eine Toilette benötigen, derzeit Probleme.

© Imago / Fotostand

„Ich finde es ausgezeichnet, dass der Tagesspiegel die Frage der nichtverfügbaren Toiletten aufgegriffen hat“, schreibt Barbara Stark aus Berlin-Friedenau. „Meines Erachtens müssten die Corona-Verordnungen an diesem Punkt schleunigst geändert werden.

Sie schlägt vor, für die Gaststätten einen Pauschalbetrag zu überweisen, wenn diese neben den Speisen auch den Toilettengang anbieten. „Es wäre für sie ein kleines Zubrot und eine Anerkennung ihrer Leistungen, und zudem würden sie für die Gäste in Erinnerung bleiben.

„Vielen Dank für diesen Artikel, der mir sehr aus dem Herzen spricht“, schreibt Karin Böttcher aus Berlin-Tempelhof-Schöneberg. Nicht nur die Toiletten in Cafés und Restaurants seien derzeit denen verschlossen, die zur Abholung von Speisen und Getränken gerne die entsprechenden Lokalitäten unterstützen würden.

„Auch vor dem (öffentlichen?!) Rathaus Schöneberg steht seit einiger Zeit Wachpersonal, um die WCs vor ungebetenen WC-BesucherInnen zu schützen. Zu Beginn des Lockdowns sollten wir SeniorInnen zum Selbstschutz eingeschränkt werden, um nicht dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt zu sein. Dieses Problem erledigt sich jetzt fast von selbst durch einen eingeschränkten Bewegungsradius wegen fehlender Toiletten in der Öffentlichkeit.“

Dabei, so schreibt sie weiter, wäre es so wichtig, gerade im Alter Bewegung und Mobilität zu fördern und zu unterstützen, letztlich auch, um Krankheiten zu verhindern.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false