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Für Menschen mit Behinderung ist der Berlkönig eine wichtige Alternative.

© Andi Weiland/Gesellschaftsbilder.de

Sammeltaxi der BVG: Inklusionsaktivist fordert Fortsetzung des „Berlkönigs“

Raul Krauthausen fordert den Senat auf, das Aus des BVG-Sammeltaxis abzuwenden. Für Menschen mit Behinderung ist der Berlkönig eine wichtige Alternative.

App aufrufen, Ziel eintippen, per Klick bestellen – und wenige Minuten später ins Taxi steigen: Was für die meisten Berliner normal ist, war für Raul Krauthausen lange nicht möglich. Der „seit dem ersten Tag“ auf den Rollstuhl angewiesene Inklusionsaktivist musste tagelang im Voraus planen.

Das liegt daran, dass die für mobilitätseingeschränkte Menschen vorgesehenen „Sonderfahrdienste“, deren Kosten die Krankenkasse in der Regel übernimmt, nur mit langem Vorlauf bestellt werden können. Taxiunternehmen empfehlen die Bestellung eines Rollstuhl-Taxis zwei Wochen vor Wunschdatum. Mittags zu entscheiden, abends mit dem Taxi einen Freund zu besuchen, war für Krauthausen quasi unmöglich.

Bis Mitte 2018. Seit dem Start des Berlkönigs hat sich die Mobilität für Krauthausen um ein Vielfaches verbessert, sagt er im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Über die App des Sammeltaxis der BVG kann er einen rollstuhlgerechten Kleinbus bestellen – für den gleichen Tag. „In der Regel ist der Berlkönig samt Fahrer schon in weniger als einer halben Stunde nach Bestellung da, um mich abzuholen.“ Die Fahrtkosten trägt er selbst.

Dass dem BVG-Sammeltaxi jetzt Ende April das Aus droht, bereitet dem 39-jährigen Aktivisten große Sorgen. „Für mich ist das Angebot nicht nur eine beliebte Ergänzung zu anderen sogenannten Sonderfahrdiensten“, sagt Krauthausen. „Sondern tatsächlich innerhalb von Berlin nahezu die einzige Möglichkeit, selbstbestimmt und spontan von A nach B zu kommen.“

Krauthausen an ein Brief an den Regierenden geschrieben

Seine Erfahrungen mit dem Sammeltaxi der BVG seien rundum positiv gewesen. „Die Berlkönig-Fahrerinnen und Fahrer waren sehr hilfsbereit und motiviert“, berichtet der Berliner. Auch die Begegnungen mit den anderen Fahrgästen schätzt er. Die Mitfahrenden seien meist positiv überrascht gewesenen, dass der Berlkönig einen barrierefreien Zugang bietet. Er habe viele nette Gespräche geführt, „die weiter über den Smalltalk beim Bäcker hinausgehen“.

Sollten die schwarz-gelben Kleinbusse tatsächlich wieder aus Berlin verschwinden, wäre das für Krauthausen ein Rückschritt. Krauthausen setzt sich deshalb dafür ein, „dass dieses Angebot besteht und weiter ausgebaut wird“. Ende Januar hat er einen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister und den Berliner Senat verschickt.

Aus der Perspektive eines Menschen mit Mobilitätseinschränkung stelle das Angebot des Berlkönigs „einen Meilenstein in der Verbesserung der Alltagsmobilität innerhalb Berlins“ dar, heißt es in dem Schreiben. „Sie und die Vertreter*innen aller regierenden Parteien möchte ich bitten, diesen Aspekt in ihre Entscheidung über die Zukunft des Berlkönigs mit einfließen zu lassen.“ Bis Redaktionsschluss hat Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) darauf nicht reagiert.

Taxis können keine schweren Elektrorollstühle transportieren

Tatsächlich liegt die Wartezeit für eines der insgesamt fünf rollstuhlgerechten Fahrzeuge des Berliner Berlkönigs bei unter 20 Minuten, bestätigt Eva Konieczny, Referentin für Barrierefreiheit in der Abteilung Sozialpolitik beim Sozialverband VdK Deutschland. Allerdings sei der Dienst auch nur in einem sehr begrenzten Bediengebiet bestellbar.

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Tatsächlich gebe es „gegenwärtig immer noch ungenügend bis gar keine entsprechend barrierefreie Taxi- und Mietwagenoptionen“, kritisiert die VdK-Referentin. „Das Taxi- und Mietwagengewerbe schließt Fahrgäste, die im Rollstuhl sitzend befördert werden müssen, durch den Einsatz für diesen Zweck ungeeigneter Fahrzeuge praktisch aus.“ In den allermeisten Fällen könnten eingesetzten Fahrzeuge keine schweren Elektrorollstühle transportieren.

Es gebe keine entsprechenden Fahrzeuge mit E-Motor, gibt das Start-up Clevershuttle als Grund dafür an, warum sich über ihre App keine Rollstuhl-Fahrzeuge bestellen lassen. „Wir hoffen auf eine schnelle Verbesserung und auf Fahrzeuge, die nicht nur barrierefrei, sondern auch vollelektrisch sind.“

Berliner Koalition will barrierefreie Fahrten anbieten

Auch in der Uber-App suchen Nutzer vergeblich nach einer solchen Option. Das in anderen Ländern verfügbare „Uber Assist“, über das speziell ausgebildete Fahrer zur Beförderung beeinträchtigter Menschen bestellt werden können, gibt es hierzulande nicht. Derzeit prüfe das US-Unternehmen jedoch die Einführung, so ein Sprecher zu Background.

Die Berliner Koalition hat sich das Thema barrierefreie Fahrten bis 2021 mit dem Mobilitätsgesetz selbst auf die Agenda gesetzt: „Ziel ist, dass alle - Alte und Junge, Menschen mit und ohne Behinderung - sicher und selbstbestimmt mobil sein können“, heißt es darin.

Taxiunternehmer können seit 2018 staatliche Zuschüsse beantragen, wenn sie ein rollstuhlgerechtes Fahrzeug anschaffen wollen. Doch das Programm ist ein Flop. In den vergangenen zwei Jahren wurden mit 63.000 Euro nur vier Prozent der insgesamt zur Verfügung stehenden rund 1,5 Millionen Euro ausgezahlt. Von den für 2020 eingeplanten 825.000 Euro wurden bisher „keine Mittel abgerufen“. Das geht aus einer Ende Januar veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage des Berliner CDU-Abgeordneten Maik Penn an den Berliner Senat hervor.

Senat will 250 entsprechende Fahrzeuge vorhalten

Das Ziel, in Berlin „eine spontane Nachfrage“ mit „Inklusionstaxis“ bedienen zu können, lässt sich damit nicht erreichen, gibt der Senat zu. Dennoch halte man daran fest, bis Ende nächsten Jahres etwa 250 solcher Fahrzeuge in Berlin vorhalten zu wollen. Dass die BVG beim Berlkönig Fahrzeuge einsetze, die für einen großen Teil der rollstuhlfahrenden Fahrgäste barrierefrei nutzbar sind, begrüßt der Senat. Diese Fahrten ließen sich aber nicht erstatten. Der Berlkönig sei kein Taxi, sondern „ein kommerzielles, eigenwirtschaftliches Projekt der BVG“. Dieses sei ohne öffentliche Zuschüsse nur als Erprobungsverkehr zugelassen.

Auch Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Elke Breitenbach (Linke), fordert eine bundesweit neue Regelung des Personenbeförderungsgesetzes, das klare Vorgaben zu Inklusionstaxis macht. „Wir brauchen ein gesamtstädtisches Konzept für den Sonderfahrdienst, für Inklusionstaxis und für weitere Mobilitätsfahrdienste“, so Breitenbach, die sich nach eigenen Angaben im November mit Raul Krauthausen getroffen hat, um über Inklusion zu reden. „Mein Ziel ist ein Fahrdienst für alle - für Menschen mit und ohne Behinderung.“

Soll der Berlkönig Teil des öffentlichen Nahverkehrs werden, müsste in puncto Barrierefreiheit noch kräftig nachgebessert werden. Der ÖPNV solle schließlich komplett barrierefrei werden, heißt es aus der Verkehrsverwaltung. Nicht nur ein Teil der Flotte. Auch biete der Mercedes-Van zwar für viele Rollstuhlfahrer die Möglichkeit, mitzufahren. Die App sei für sehbehinderte Menschen allerdings keineswegs barrierefrei.

400 Fahrer haben einen offenen Brief an den Senat verfasst

Ende dieser Woche befasst sich ein internes Gremium der Berliner Koalition erneut mit der Zukunft des Berlkönigs. Neben Raul Krauthausen haben sich am Dienstag auch die 400 Fahrerinnen und Fahrer mit einem offenen Brief an den Berliner Senat gewendet. Darin sprechen sie sich für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze aus. „Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit der Verkehrswende und mit der Sicherung sozialer Standards in Berlin, dann dürfen Rendite- und Kostenargumente nicht über allem stehen“, schreiben sie.

Ähnlich sieht das auch Kai Nagel. Der Professor leitet das Fachgebiet Verkehrssystemplanung an der Technischen Universität Berlin. Er warnt davor, den Berlkönig aufzugeben und damit die Zukunft bezüglich dieser Mobilitätsform vollständig in die Hände externer Anbieter zu legen.

„Grob fahrlässig“ fände er das, schreibt der Professor in einem am Dienstagabend veröffentlichten offenen Brief an die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses. „Es geht zum jetzigen Zeitpunkt auch darum, betriebliches Wissen in Berlin zu haben und zu halten.“

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