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Christoph Ludszuweit

© privat

Sag mir, wo du stehst: Ein Nachruf auf einen, der noch viel vorhatte

Die erste Wohnung: Besetzer-Hauptquartier. Der Balkon vorm Sterbezimmer: Hauptquartier des nebelnden Abschieds. Der Nachruf auf Christoph Ludszuweit, geb. 1954.

Einige Tage vor seinem Tod hat er noch die Postkarte an die SPD geschrieben, seine Austrittserklärung, „mit antifaschistischem Gruß“. Als Sozi sterben, darauf hatte er nun keine Lust mehr. Früher mag die Mitgliedschaft vielen ein Stück Würde wiedergegeben haben, die sie in der Fabrik verloren hatten, oder in der Mietskaserne oder auf dem Arbeitsamt. Lange her. Und so ein Malocher ist er sowieso nie gewesen. Mit Manni Weller, seinem Freund und Nachbarn, war Christoph Ludszuweit erst vor ein paar Monaten in die Partei eingetreten, vor allem, um in der Urabstimmung gegen die Große Koalition zu votieren. Ohne Erfolg.

Ebenso wenig Erfolg hatte die „Manni Weller Band“, eine Altherren-Punk-Combo mit Christoph an der Gitarre. Ihr größter Hit, „Sag mir, wo du stehst“, wurde auf Youtube ein paar hundert Mal angeklickt. Doch Christophs Liebe galt ohnehin mehr dem Reggae, Bob Marleys „Redemption Song“, dem Lied von der Erlösung. Seine Wohnung aber, die war Punk: Unordnung, Chaos und in der Luft ein Hauch von Marihuana. Als er schon schwer krank war, hat er seine Besucher genötigt, den Berg schmutzigen Geschirrs in der Küche abzutragen und das Zeug eine Etage tiefer zu schaffen, in Mannis Geschirrspülautomaten.

Im letzten Sommer war der Krebs zurückgekommen, Dünndarm; die Chemo schlug nicht an, auch nicht im zweiten Anlauf. Tagelang hatte er sich immer wieder übergeben müssen. Mit jeder Woche hatte er an Gewicht verloren, sein Körper war ihm fremd, Schmerzen, Haut und Knochen.

Hatte ja noch viel vor

Er verdrängte dennoch das Unausweichliche, so lange es nur ging. Hatte ja noch viel vor: ans Meer reisen, Freunde treffen, ein Reggae-Konzert besuchen. Und den Roman schreiben, einen autobiografischen, versteht sich, über einen, der sich nichts hat sagen lassen, der in der Welt herumgekommen war, aber eigentlich immer nur heim wollte. Dessen erste Wohnung noch kein Zuhause war, eher eine Art Hauptquartier.

Bei „Spiegel Online“ war unlängst zu lesen, dass er Anfang 1979 mit dem Comiczeichner Gerhard Seyfried eine Abrisswohnung erbeutet habe. In der Eisenbahnstraße ist das gewesen, Kreuzberg, nahe der Markthalle. Die Zimmer waren runtergekommen und schlecht zu beheizen, damals, als die Winter noch kalt waren. Ausgerechnet diese Besetzung, die bald schon mit einem Mietvertrag legalisiert wurde, sei das Auftaktsignal gewesen für die Anarchoszene in West-Berlin. 165 Häuser wurden besetzt, und Christoph war so was wie der Vater der Bewegung.

Nebenbei hat er studiert. Auf seinem Lieblings-Shirt, das er noch auf dem Totenbett trug, stand: „Unterschätze nie einen alten Mann, der sein Studium an der Freien Universität Berlin abgeschlossen hat!“ Sogar promoviert hat er, mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit zum „Mythos B. Traven“.

Über den deutschsprachigen Schriftsteller, der vor ziemlich genau 50 Jahren in Mexiko gestorben ist, hatte Christoph mehrere Bücher verfasst. Eins davon erregte Aufsehen, bevor es gedruckt wurde. Anfang der 2000er lebte in Berlin noch eine leibliche Tochter von B. Traven. Eine Vaterschaft, die der Autor von „Das Totenschiff“ und „Der Schatz der Sierra Madre“ nie anerkannt hatte, die inzwischen aber als gesichert galt. Seit den 60er Jahren war das Gerücht in Umlauf, dass B. Traven womöglich ein Hohenzollernspross sei, also ein unehelicher Sohn des letzten Kaisers.

Christoph glaubte nicht wirklich daran, fand die Sache aber lustig. Wenn sie stimmen sollte, so folgerte er scharf, wäre Traven ein entfernter Verwandter von Prinz Charles, und das könnte man ja nachweisen. Deshalb schickte sein Verleger eine Anfrage an das britische Königshaus. Im Auftrag der Wissenschaft bat er um eine Blutprobe des künftigen Thronfolgers, so dass man diese im Labor einer genauen Analyse unterziehen und mit dem Blut der Traven-Tochter vergleichen könne. Prinz Charles’ Sekretär schrieb einen Antwortbrief, der auszugsweise in der „Bild“-Zeitung abgedruckt wurde. In dem förmlichen Schreiben hieß es, man verschicke grundsätzlich keine königlichen Blutproben, die Herren seien aber versichert, dass es zwischen dem Hause Windsor und dem Schriftsteller B. Traven keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen gebe. Verleger und Autor feierten den Brief ausgiebig im „Goldenen Hahn“, ihrer Stammkneipe am Kreuzberger Heinrichplatz.

Der Tod: der einzig wahre Revolutionär

Damals arbeitete Christoph als Lehrbeauftragter an der FU. Bei ihm lernten die Studenten, dass eines der Leitmotive in Travens Romanen der Tod ist, der einzig wahre Revolutionär, der alle Klassenschranken überwindet, der für Gleichheit unter den Menschen sorgt. Alle, die nichts mehr zu verlieren haben, die allein auf ihre physische Existenz geworfen sind, sie haben vom Tod nichts zu befürchten; er ist ihnen ein Bruder. Das Wissen darum gibt ihnen Kraft und Freiheit. Der Spießer dagegen, der Couch und Schrankwand zu verlieren hat, den Besitz belastet, er fürchtet den Tod, der doch Teil allen Lebens ist. Wir müssen gehen, damit andere kommen können. Irgendwann.

Sommer 2018. Christoph ging es dreckig. Darmverschluss. Im katholischen St.-Joseph-Krankenhaus bekam er ein Einzelzimmer mit Balkon – als Atheist und Kassenpatient! Freunde, Angehörige und Kollegen kamen gemeinsam, lösten sich ab. Auf seinem Balkon trafen sich bei bestem Wetter Hippies, Hausbesetzer, Alt-68er und jede Menge Lebenskünstler. Christoph war noch nicht bettlägerig, mit Tropf und Apparatur sogar relativ mobil und ständig mit Morphium versorgt. Bier und Destillate entfalteten eine zusätzliche mildernde Wirkung. Die Schwestern und Pfleger ließen ihn gewähren. Niemand nahm Anstoß an den letzten Rauscherlebnissen des Patienten.

Auf dem Balkon erzählte man sich die alten Geschichten, die aus Namibia zum Beispiel. Da hat Christoph in den Neunzigern als Lektor und Deutschlehrer gearbeitet. Der DAAD zahlte ihm ein gutes Gehalt, und nebenbei jobbte er beim deutschsprachigen Radio irgendwo bei Windhoek. Für seine Sendung ließ er sich von einer Freundin sämtliche Singles mitbringen, die in Deutschland gerade in den Charts waren.

Und dann spielte er zu später Stunde im deutschen Rundfunk mitten in Afrika „Männer sind Schweine“ von den „Ärzten“, was bei der konservativen Hörerschaft nicht so super ankam. Hassbriefe trafen ein, Anrufer beschimpften ihn wild. „War eine schöne Zeit“, fand Christoph und zog am Joint. Der Schriftsteller Hans-Christoph Buch sollte später auf der Beerdigung sagen: „Am glücklichsten war er in Afrika.“ Über zehn Jahre hat Christoph dort gelebt. Aber Jamaika, wo er seinen alten Freund Peter-Paul Zahl besucht hatte, blieb seine große Sehnsucht.

Ein wunderbarer Sommer war das, draußen auf dem Balkon. Die Stimmung war gelassen, heiter. Vom Pflegepersonal ungestört, gaben die Gäste Rauchzeichen, tranken Bier und redeten. Christoph war zwar schwach, mit dem Morphium aber fühlte er sich unsterblich. Immer noch wollte er seinen Roman schreiben. Schon bald aber sprach er von einer längeren Erzählung, und seine Freunde hofften, es würde wenigstens eine Short Story werden.

Eins musste auf jeden Fall noch geschehen, entgegen allem Rat und zum Entsetzen sämtlicher Krankenschwestern. Youssou N’Dour, der Reggaemusiker aus dem Senegal, gab ein Konzert in Brüssel, da musste Christoph hin. Der Todgeweihte, der kaum mehr einen Fuß vor den anderen setzen konnte, vollkommen abgemagert, überredete einen Freund, ihn mit dem Auto nach Brüssel zu bringen. Die beiden Töchter und Thea, seine Liebste, wussten, dass die Fahrt ihm die letzte Kraft rauben würde. Die Palliativärztin aber machte es möglich. Sein Zimmer auf der Station blieb drei Tage reserviert.

Am Tag, bevor er starb, war er noch ansprechbar. Wie denn das Konzert vor einer Woche war, fragte ein Freund. Erschöpft lag Christoph da, atmete schwer. Dann grinste er, ganz leicht. Und hielt den Daumen hoch.

Karsten Krampitz

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