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Berlin: Rüdiger Röttelbach (Geb. 1944)

"Pro Hose müssen sie jetzt vier Cent drauflegen."

Sehr lange wurden keine Oberhemden angenommen. Bis ein Stammkunde mit einem Packen Hemden die Chemische Reinigung betrat: „Meine Freundin hat sich von mir getrennt.“ Rüdiger Röttelbach blickte in das traurige Gesicht des Mannes und machte eine Ausnahme, bei der es nicht blieb. Bald konnte er sich vor Hemden kaum noch retten. Die meisten brachten aber nicht Männer vorbei, sondern ihre berufstätigen Ehefrauen.

Alle Hemden in der Reinigung werden noch von Hand gebügelt, alle Kleidungsstücke in der eigenen Maschine gereinigt. Nur Teppiche werden in eine Großreinigung verschickt, die niedrigere Preise nehmen kann. „Sie sind teurer geworden“, bemerkte eine Kundin. „Ja“, sagte Rüdiger Röttelbach, „pro Hose müssen sie jetzt vier Cent drauflegen.“

In Rüdiger Röttelbachs Reinigung, Potsdamer Straße 37 in Zehlendorf, führt jetzt die Tochter Claudia die Geschäfte. In den Ecken stapeln sich Wäschekörbe, Teppichrollen liegen auf dem Boden, aus einem hinteren Stübchen dringt Kaffeegeruch, hier und da bröckelt ein wenig Putz von den Wänden, auf dem Bord vor dem Schaufenster stehen dicht an dicht Blumentöpfe mit prächtigen Amaryllis.

Über Pflanzen plauderte Rüdiger Röttelbach oft mit den Kunden. Er war überhaupt immer für sie da. Konnte eine alte Dame ihre Sachen nicht mehr selbst vorbeibringen, fuhr er zu ihr. Am Nachmittag des Heiligen Abends klebte er einen Zettel mit seiner Handynummer an die Ladentür – konnte ja sein, dass jemand in letzter Sekunde feststellte, dass sein Anzug nicht feiertagstauglich war. Rüdiger Röttelbach stieg dann schnell von der Wohnung hinab in den Laden und nahm das Stück entgegen.

Günter Pfitzmann, Paul Kuhn, Politiker und Konsulatsangehörige gaben ihre Kleider bei ihm ab. Traf er im Supermarkt einen Kunden, der Rat brauchte, da sich ein Fleck als besonders hartnäckig erwies, gab er gern Auskunft. Oft saß er bis abends um elf im Laden, ordnete die Papiere, überprüfte Rechnungen. Und ging danach noch auf ein Bier in die Kneipe, Paulchen, sein Hund, vorneweg.

Ab und zu, nach Arbeitsschluss, kamen Freunde vorbei. Die Männer setzten sich in das Gärtchen hinterm Haus und redeten, manchmal bis in die Nacht. Pünktlich um acht stand Rüdiger Röttelbach am nächsten Morgen im Geschäft. Nie fuhr er schon am Freitag in das Haus in der Lüneburger Heide, auch wenn seine Tochter ihm zuredete, doch einmal das ganze Wochenende zu nutzen. Er stieg immer erst am Samstagnachmittag ins Auto.

Dabei war er gern in der Natur. Reiste einmal im Jahr nach Norwegen ans Meer, saß in einem Kutter auf hoher See und fing Dorsche und Schellfische, die noch an Bord geräuchert wurden. Sechs Wochen lang fuhr er mit seinen Enkelsöhnen in einem Wohnmobil durch Schweden.

Rüdiger Röttelbach wollte sich zurückziehen, seinen Ruhestand beginnen im Haus in der Lüneburger Heide; er hatte ja sein ganzes Leben lang gearbeitet, erst als Maler und Lackierer bei den Alliierten, dann als Ausbilder bei der Ziegner Stiftung, dann in der Reinigung. Aber er bekam Krebs, so schnell und schwer, dass jede Behandlung aussichtslos war.

Er wünschte sich eine anonyme Beerdigung, verbot seiner Familie, eine Trauerfeier auszurichten. „Meinetwegen schließt ihr auf gar keinen Fall.“ Einige der Kunden verließen, nachdem sie von seinem Tod erfahren hatten, den Laden weinend.

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