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Berlins Kultursenator Klaus Lederer mit seiner Parteivorsitzenden Katja Kipping (Die Linke).

© dpa

Rot-Rot-Grün: Die Verantwortung zum Rebellisch-Sein

Rot-Rot-Grün ist das einzig vernünftige Angebot – auch für den Bund. Ein Gastbeitrag.

Eine aufgescheuchte Groko im Bund, sorgenvolle Blicke auf Europa und die neuen Länder und Rätselraten, wie es weitergeht in Bremen. So oder ähnlich lassen sich die Folgen der Europawahl am 26. Mai 2019 zusammenfassen. Es sind deutliche Signale dafür, dass die Zeiten politischer, die Zukunftsthemen gewichtiger und die Antworten polarisierender geworden sind.

Ein Bündnis aus Rot-Rot-Grün ist in diesen Zeiten das einzig vernünftige Angebot für alle, die wollen, dass unser Land weltoffen bleibt, dass Freiheit nicht eingeschränkt wird und durch Abschottung unwiederbringlich verloren geht. Für alle, die auf ein solidarisches Miteinander hoffen und darauf, dass das gute Leben kein Privileg ausgewählter Bevölkerungsgruppen ist. Und zwar im Bund ebenso wie in Berlin und anderen Bundesländern.

Sie mögen diese Aussage als Anmaßung empfinden. Und es ist ja richtig: Viele Berlinerinnen und Berliner sind unzufrieden mit uns, mit ihrer rot-rot-grünen Landesregierung. Es beeindruckt offenbar nicht besonders, dass wir hinter vieles, was im Koalitionsvertrag verabredet wurde, schon ein Häkchen gemacht haben.

Gleichwohl sind die aktuellen Umfragewerte für das rot-rot-grüne Bündnis seit 2016 insgesamt gewachsen. Was wie ein Widerspruch klingt, passt aber tatsächlich zusammen. Der gesellschaftliche Veränderungsdruck ist riesengroß – in Berlin und im ganzen Land.

"Berlin war zu lange auf Schrumpfen geeicht"

Dass sich die Berlinerinnen und Berliner echte Veränderungen wünschen, haben sie Ende 2016 bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus deutlich gemacht, als sie ein rot-rot-grünes Bündnis ermöglichten. Mit einer Mitte-links-Koalition eingefahrene Wege verlassen, drängende Fragen endlich anders beantworten, Vertrauen in die Politik zurückgewinnen und bei der Lösung von Problemen eine neue Kultur hinbekommen: Das war der Anspruch an uns. Und wir haben ihn uns zu eigen gemacht.

In der Unzufriedenheit der Berlinerinnen und Berliner spiegelt sich nicht zuletzt das Drängen, ja, das Drängeln all derer, die wollen, dass sich mehr verändert, als bislang von uns angeschoben wurde. Und dass es schneller gehen möge. Weil Berlin noch immer eine Stadt ist, die zu lange auf Schrumpfen geeicht war, zu spät aufs eigene Wachsen reagiert hat und in der es den Anspruch gibt, vieles im Sinne ihrer Bewohnerinnen und Bewohner anders zu machen als in etablierten Metropolen.

Ein Bündnis aus Linken, Grünen und Sozialdemokraten wird offensichtlich mehrheitlich als die Verbindung gesehen, die in der Lage ist, in politischer Verantwortung rebellischer zu sein und die fortschrittliche Politik zu machen, die andere Konstellationen nicht leisten können oder wollen.

Da steht zuallererst die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Gerade Städte, die in der Vergangenheit ihre kommunalen Wohnungen nicht verscherbeln mussten, haben mit diesen Beständen jetzt ein wirksames Steuerungsinstrument gegen die galoppierenden Mietsteigerungen in der Hand.

Menschen aller Einkommensgruppen verdienen bezahlbaren Wohnraum

In Berlin dagegen schwebt die Wohnungsfrage über der Zukunft wie Damokles' Schwert. Für das Berlin der Zukunft ist es aber zentral, dass Menschen aller Einkommensgruppen in der Stadt eine für sie bezahlbare Wohnung finden können – und das auch möglichst überall.

Die große Koalition im Bund zeigt sich nicht bereit, Mieterinnen und Mieter wirksam gesetzlich vor Verdrängung zu schützen. Folglich ist das von Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt initiierte Volksbegehren über die Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen reine Notwehr, es zeigt die drängende Erwartung an Reformen im Kapitalismus, daran, Wohnraum nicht zuallererst als Handelsware und Spekulationsmasse zu sehen.

Gerade bei solch existenziellen Fragen wie Wohnen können die Ansätze der drei Koalitionspartnerinnen fruchtbar werden. Preiswerter und ökologischer Neubau, auch Nachverdichtung, die Verfügung über den Boden, Milieuschutz, Mietendeckel und die Vergesellschaftung großer und besonders aggressiver Player mit Marktmacht – diese Instrumente hat Berlin und muss sie nutzen!

Weg vom Verbrennungsmotor, hin zu kollektiven Mobilitätslösungen

Das Gleiche gilt für die Verkehrswende. Wir retten vielleicht nicht gleich die Welt, wenn wir anfangen, die Mobilität in der Millionenmetropole Berlin in andere Bahnen zu lenken. Doch eine rot-rot-grüne Koalition beantwortet die Fragen der Verkehrswende eben anders als andere.

Es geht um attraktive Alternativen im ÖPNV, für Radfahrende, für Fußgängerinnen und Fußgänger. Es geht darum, wegzukommen vom Verbrennungsmotor und hin zu kollektiven Mobilitätslösungen – das hat immer auch die individuelle Mobilität im Blick, das Funktionieren der Warenlogistik der Großstadt und auch, dass die Handwerkerinnen und Handwerker zügig zu ihren Einsatzorten kommen.

Als Dreier-Team können wir auch in diesem Punkt nur voneinander profitieren und so einen sozialverträglichen Klimaschutz gestalten, der für weite Teile der Bewohnerinnen bezahlbar ist.

Der Linken wird oft nachgesagt, dass wir die öffentliche Sicherheit vernachlässigen würden. Dabei beugen wir uns lediglich nicht der Scheindebatte, wonach mehr Repression mehr Sicherheit bedeutet. Sicherheit beginnt bei den ökonomischen Verhältnissen, sie hat etwas mit Bildung und Teilhabe zu tun und durchaus auch mit Ordnung im öffentlichen Raum.

Achtung, Courage und Wahrung von Freiheitsrechten

Ein fortschrittliches Sicherheitskonzept für Berlin setzt auf Achtung, Courage und die Wahrung von Freiheitsrechten statt auf Vorverurteilungen und Überwachung. Hier sollen sich alle auf Straßen, Plätzen und in Bahnhöfen sicher fühlen können. Auch die Menschen mit Behinderungen und die Menschen, die Angst vor rassistischen, antisemitischen, homophoben oder sexuellen Übergriffen haben.

Die Metropole Berlin könnte von unseren drei unterschiedlichen Programmatiken in der Sicherheitspolitik profitieren. Indem wir auf der einen Seite bessere Arbeitsbedingungen für Polizeibeamte schaffen und auf der anderen Seite unabhängige Beschwerdestellen für Bürgerinnen und Bürger aufbauen.

Klar ist: Berlin wird weiter wachsen. Weder werden wir denen die Tür versperren, die auf der Flucht vor Verfolgung hier ankommen, noch denen, die Berlin als Stadt ihrer Zukunftsträume sehen, als ihren Arbeitsplatz, Firmenstandort, Studienplatz. Es ist darum wichtig, dass wir uns den Interessen und Ansprüchen der Alteingesessenen und der Zugewanderten gleichermaßen widmen.

Parteienkonstellation mit den meisten politischen Schnittmengen

Diese Herausforderungen gelten für alle, die in Berlin regieren, auch weit über 2021 hinaus. Und obwohl Linke, Grüne und SPD im Detail auch immer wieder unterschiedliche Antworten geben, sich in der Koalition manchmal einander wenig gegönnt und dafür gern eine eigene Profilierung versucht wird, wird das Bündnis bei all den herausgehobenen Themen doch die Konstellation mit den meisten politischen Schnittmengen bleiben.

Wie tief Veränderungen gehen müssen, darüber haben in Berlin die Auseinandersetzungen genau genommen erst begonnen. Doch schon jetzt ist erkennbar: Politische Konstellationen, die niemanden herausfordern und sich mit keinem mehr anlegen möchten, werden auf Zukunftsfragen keine guten Antworten finden.

Klaus Lederer (Linkspartei) ist Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin.

Klaus Lederer

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