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Rosenstraße 1943: „Für Widerstand zählt nicht der Erfolg“

Vor 70 Jahren protestierten Frauen in der Rosenstraße gegen die Verhaftung ihrer jüdischen Männer. Ein neues Buch zeigt überraschende Hintergründe.

Wie genau muss Geschichtsschreibung sein? Was ist das Wichtigste am Widerstand gegen die Diktatur? In Berlin, wo zum 28. Februar des Protestes zahlreicher Frauen gegen die Verhaftung ihrer Ehemänner vor 70 Jahren gedacht wird, standen bei einer Veranstaltung der Topographie des Terrors zu diesem Jahrestag Recherchen eines Historikers und Erinnerungen von Zeitzeugen einander ergänzend und unvereinbar gegenüber.

Die im „Dritten Reich“ einmaligen Ereignisse jener Märztage 1943, als „arische“ Partner verhafteter Juden vor dem Gebäude der jüdischen Sozialverwaltung in der Rosenstraße demonstrierten und, so wird das Geschehen oft gedeutet, die Freilassung ihrer Angehörigen erreichten, sind erst seit zwei Jahrzehnten im öffentlichen Bewusstsein präsent. Das Interesse an der Aktion bürgerlichen Aufbegehrens, die seit Mitte der 1990er Jahre am Ort des Geschehens durch ein Denkmal und eine Litfasssäule, seit 2002 durch einen Spielfilm gewürdigt wird, scheint groß: Das Publikum füllt den Vortragssaal der Topographie. Doch die Fakten-Präsentation des Geschichtsprofessors aus Los Angeles, Wolf Gruner, der nun bereits sein zweites Buch zum Thema des Abends publiziert, bestätigt die verbreitete Ansicht, dort in Mitte habe sich damals Zivilcourage erfolgreich gegen Staatsterror behauptet, zunächst nicht.

Warum eigentlich, möchten Teilnehmer der Veranstaltung wissen, wurden Berichte von der Rosenstraße, die es nach 1945 zunächst gab, später öffentlich verdrängt? Gruner vermutet, in den 1960er /70er Jahren sei die mit solchem beispielhaften Verhalten verknüpfte Frage „Warum hast du so etwas nicht getan?“ Zeitgenossen derart unangenehm gewesen, dass die Erzählung kaum Chancen hatte. Dagegen habe, vom Zeitgeist beflügelt, sowohl der Frauenbezug als auch der Blick auf ein Exempel friedlichen Widerstandes in den 80er Jahren die Aufmerksamkeit dafür belebt. Andreas Nachama, Direktor der Topographie des Terrors, verweist aber auch darauf, dass in der Jüdischen Gemeinde die Wertung der Vorgänge kontrovers verlief: Die Protestierer seinerzeit seien Nicht-Juden gewesen – und aus dem Gebäude Rosenstraße 2-4 habe man im März 1943 einige der dort Festgehaltenen doch deportiert; als man feststellte, dass sie keinen „arischen“ Partner hatten. Für diese gab es an der Rosenstraße keine Mahnwache.

Bitterkeit, die in solcher Skizzierung der Rezeptionsprobleme mitschwingt, prägt mehr als Freude über die Vorbilder zivilen Heldentums den nüchternen Vortrag und die Buchvorstellung. Wolf Gruner betont den ökonomischen Hintergrund des Zeitablaufs: Die Kriegsindustrie brauchte jüdische Zwangsarbeiter, 15000 waren es in Berlin. Pläne, sie durch Polen und Westeuropäer zu ersetzen, gab es seit Herbst 1942. Die von der Gestapo unter Einbeziehung der Jüdischen Gemeindeverwaltung vorbereitete „Fabrik-Aktion“ am 27. Februar, die drittgrößte Razzia des „Dritten Reiches“, sollte diesen Austausch umsetzen. Gestapo und SS riegelten 100 Firmen ab, Juden wurden am Arbeitsplatz oder auf der Straße verhaftet, innerhalb einer Woche hat man 7000 nach Auschwitz deportiert. 4000, von denen über 1500 das Kriegsende erlebten, tauchten unter. Juden, die „arische“ Partner hatten, rund 2000, verbrachte man von verschiedenen Sammelstellen in die Rosenstraße, wo Gemeindemitarbeiter unter Gestapo-Aufsicht ihre Eignung für die innerjüdische Verwaltung prüften. Bis zum 9. März wurden 320 von ihnen dafür ausgewählt, Verwaltungsleute ohne „Mischehenstatus“ in der Folge aber deportiert. Andere Mischehen-Juden wurden ebenfalls freigelassen, fortan zu schwererer Zwangsarbeit als bisher herangezogen.

Jene 100 bis 200 Frauen, die tagelang in der Rosenstraße ausharrten, ihren Männern Essen brachten und Forderungen nach Freilassung artikulierten, wussten nicht, dass eine für die Volksstimmung riskante Deportation von Mischehe-Partnern noch nicht vorgesehen war: sagt Gruner. Als sogar 25 Männer aus Auschwitz zurückkamen, die dorthin nicht zur Ermordung, sondern in „Schutzhaft“ verbracht worden waren, habe man das ebenfalls als „Erfolg“ erlebt. Der Historiker bezweifelt tradierte Zahlen von tausenden Demonstranten wie auch die Sprechchöre; spricht von „Gemurmel“, von Schweige-Demos. Die kurzzeitige Aufstellung eines MG erwähnt er nicht.

Auch Ruth Recknagel, die damals mit ihrer Mutter in der Rosenstraße stand, erinnert sich eher an „Gemurmel“. Ruth Gross, die mit ihrem Vater in Haus 2-4 verschleppt, dort unter schrecklichen Bedingungen eingepfercht war, berichtet von Sprechchören, die durchs hofseitige Fenster drangen. Dass die Dramatik vielleicht weniger filmgerecht als heute ausgemalt daherkam, dass der Mut die Sensation ausmachte, betont Wolf Gruner. Erfolg? Misserfolg? Für Widerstand irrelevant, sagt er zweimal, was zählt: dass er stattfindet.

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