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Berlin: Rosa Theresie Holtwick (Geb. 1934)

Auch sie war sehr katholisch, das Strenge jedoch lag ihr nicht so

Wenn ihre Kinder aufwachten, stand das Frühstück bereits auf dem Tisch, und die Stullen für die Schule waren auch schon geschmiert. Maulte jemand: „Ich will keine Salami aufs Schulbrot“, gab es trotzdem Salami aufs Schulbrot. Geschmäcklerisches Getue konnte Rosa Theresie nicht leiden. „Denkt an die armen Kinder in Äthiopien“, sagte sie dann, oder: „Ihr wisst nicht, was Hunger ist. Ihr wisst nicht, wie es ist, von Kartoffelschalen zu leben.“

Aus Katowice sind sie geflüchtet damals, bis nach Oldenburg. In Oldenburg hat sie ihre ersten drei Kinder zur Welt gebracht von drei verschiedenen Männern, die hübsche Krankenschwester und ehemalige Fabrikarbeiterin Rosa Theresie. Von den Eltern war keine Hilfe zu erwarten. Ihr Vater starb früh an Krebs, und die Mutter weigerte sich. Viel zu streng und viel zu katholisch war sie, um ein Rosa–Theresie-Leben zu unterstützen. Auch Rosa Theresie war sehr katholisch, ihre Wohnung hing voller Heiligenbilder, das Strenge jedoch lag ihr nicht so.

Sie lachte oft und laut, und sie liebte es, ihre Kinder zu veräppeln. Harzer Käse aß sie auch deshalb so gerne, weil sein Geruch die Kindernasen so schön hochkrempelte. „Hier“, sagte sie und ließ den Käse über dem Tisch kreisen, „riecht ma’, wie’s duftet.“ Auf das Schulbrot tat sie den Harzer dann aber nicht, Harzer war das einzige Lebensmittel, bei dem die Kinder geschmäcklerisch sein durften, bei allem Respekt vor den Kindern in Äthiopien und Rosa Theresies Kartoffelschalen-Kindheit.

Weil Rosa Theresie wusste, wie sich Hunger anfühlt, tischte sie immerzu auf, nicht nur für die eigenen Kinder, sondern auch für deren Freunde und ihre beste Freundin, die 21 Kinder geboren hatte und bei Rosa Theresie manchmal nach Brot fragte. Ihr gab Rosa Theresie nicht nur Brot, sondern auch Geld, obwohl sie selbst kaum etwas hatte. Das aber war schon in Berlin-Neukölln, wohin sie vor ihrem Oldenburger Ehemann geflüchtet war.

Mit dem hatte sie keine Kinder, dafür aber eine Ehe bekommen, die sie bald bereute. Er glaubte, dass die Ehe ihm die Frau schenkt wie ein Ding, mit dem er umspringen darf, wie es ihm die Laune gerade befiehlt. Und manchmal war seine Laune brutal. Man möchte sagen: Gut, dass Rosa Theresie einen neuen Mann kennenlernte, einen Maurer, und mit dem nach Berlin ging. Doch es war nicht gut.

Mit dem Maurer bekam sie in vier Jahren vier weitere Kinder und eine neue Ehe, die schlimmer war als die alte. Der Maurer entpuppte sich als Trinker und Schläger, von seiner Tochter wurde er nicht Papa genannt, sondern nur „der Mann“.

Beim Gerichtstermin zur Ehescheidung saßen die Kinder auf der Bank und schauten auf ihren Vater. Der schaute zurück und sagte: „Für die zahl’ ich nichts.“ „Und wie sie zahlen werden“, sagte der Richter, der sich damit als schlechter Zukunftsdeuter erwies. Der Maurer verschwand wie die anderen Väter und zahlte dasselbe wie die anderen Väter der Kinder von Rosa Theresie, gar nichts.

Die ließ sich dennoch das Lachen nicht austreiben. Sie schwenkte ihren Harzer Käse, schmierte Stullen, steckte die Jungs in das eine Zimmer, die Mädchen in das andere, schlief selbst im Wohnzimmer, trat eine Stelle als Hauswartsfrau an und flirtete mit dem Postboten. Nur Hausaufgabenbetreuung schaffte sie nicht. „Ist ja schließlich euer Leben“, sagte sie. „Am Ende müsst ihr selber wissen, mit welchen Abschlüssen ihr’s zubringen wollt.“ Einmal kam das Jugendamt und schaute sich um. Fazit: „Ihre Kinder sind selbstständig, und sauber ist es hier auch, sie kommen ohne unsere Hilfe aus.“

Also schrubbte Rosa Theresie das Treppenhaus, drehte frische Glühbirnen ein, streute, schippte Schnee, pflegte die Grünanlage, kochte wochentags Eintöpfe und sonntags Fleisch, putzte die Wohnung, wusch, kaufte ein, schleppte Säcke von der Kleiderspende nach Hause, zog ihre letzten Scheine hervor, wenn der eine Sohn einen Plattenspieler wollte und der andere ein Videogerät.

Sie schäkerte, sie lachte, und verlegen wurde sie nur, wenn eins der Kinder sie in den Arm nehmen wollte. Dann schob sie das Kind von sich und murmelte: „Na, nu is’ ma’ gut jetz’.“ Als die Kinder in ein Alter kamen, wo sie keine Lust mehr hatten auf gemeinsame Mahlzeiten und sich lieber mit ihrem Teller verdrückten, um dort zu essen, wo es ihnen passte, ließ sie es geschehen. Als die Jungen in ein Alter kamen, wo sie Horrorfilme gucken wollten, nachts, zog sie um vom Wohnzimmersofa ins Zimmer der Töchter. Hauptsache, die Kinder sind lieber zu Hause als auf der Straße. „Gut, dass ihr nicht so blöd seid, Drogen zu nehmen“, sagte sie manchmal und klang zufrieden.

Eine zweiwöchige Kur in Bayern gemeinsam mit ihren Kindern, kassenärztlich verordnet, das war der einzige Urlaub, den Rosa Theresie in ihrem ganzen Leben jemals gemacht hat. Ein hübsches Häuschen, Blümchen vorm Fenster, Bayerischer Wald drumherum und eine persönliche Begrüßung von einem führenden Mitglied der CSU. Davon erzählte sie noch lange, von der persönlichen Begrüßung des führenden Mitglieds.

Die mittellose, alleinerziehende Mutter von sieben Kindern schrie nicht herum, prügelte nicht, flüchtete weder in den Alkohol noch in die Depression. Sie rauchte Kette, das genügte als Ausgleich.

Dass auch sie ein Mensch mit Grenzen war, zeigte ihr immer wieder ihr Körper. Als Kind hatte sie Leukämie, in den achtziger Jahren Tuberkulose, es folgten sechs Herzinfarkte, zwei Schlaganfälle, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Brustkrebs und zuletzt Lungenkrebs. Die Kinder wuchsen damit auf, dass ihre Mutter für einige Wochen im Krankenhaus lag und dann wiederkam und alles so war wie vorher.

Einmal nur kamen die vier jüngeren Kinder in ein katholisches Kinderheim am Kurfürstendamm. Das war nach Rosa Theresies erstem Schlaganfall. „Wärt ihr mal früher gekommen“, sagten die Nonnen. „Vor ein paar Tagen haben wir nämlich alle Kinder euren Alters auf eine Urlaubsfahrt geschickt.“ „Gott sei Dank sind wir nicht früher gekommen“, dachten die Kinder, als sie verordneterweise um Schlag 18 Uhr in den Betten lagen. Verlockender als eine von Nonnen überwachte Kinderheimreise war die Aussicht auf ihr Zu- hause, weshalb sie am nächsten Tag über die Mauer türmten und sich vor Rosa Theresies Krankenbett aufstellten. Die schrieb mit schwacher Hand eine Genehmigung, dass die Kinder allein bleiben durften und beeilte sich mit dem Gesundwerden.

Rosa Theresies Vertrauen hat den Kindern gutgetan. „Gut, dass jeder von euch seinen Weg macht“, sagte sie manchmal und klang zufrieden.

Als dann die Kinder aus dem Haus waren, wurde es Rosa Theresie bald viel zu still, weshalb sie sich nicht scheute, ihre Tochter zu fragen, ob sie sie begleiten dürfe, beispielsweise auf den „Christopher Street Day“. Dort fand sie schnell heraus, dass viele der Schwulen als Pfleger arbeiteten und unterhielt sich prächtig, denn mit Krankenhäusern kannte Rosa Theresie sich aus. Hofiert und geherzt wackelte sie am Rollator nach Hause, wo sie die Grabesstille, wie sie die Ruhe nannte, umgehend mit dem Fernseher bekämpfte: „Emergency Room“.

„Können wir nicht irgendwohin, wo Menschen sind?“, fragte sie, wenn jemand sich anschickte, mit ihr durchs Grüne zu spazieren. „Gehen wir in die Gropius-Passagen. Nu’ komm!“

„Maximal noch zwei Tage“, sagten die Ärzte bei Rosa Theresies letztem Krankenhausaufenthalt. Sie war eine Patientin, die die Ärzte zu einer früheren Zeit gerne mal genauer unter die Lupe genommen hätten, denn so viele tödliche Krankheiten in einem einzigen Leben, das geht eigentlich gar nicht. Rosa Theresie aber hatte nie genauer unter die Lupe gewollt. Zwei Tage noch, als sie das hörte, lachte das unerforschte Forschungsobjekt in sich hinein.

Rosa Theresie wartete mit dem Tod, bis der Priester Zeit hatte, zur letzten Ölung zu kommen. Sie wollte sicher gehen mit dem Eintritt ins Paradies. Nicht dass sie auf dem Weg in den Himmel noch vom Buddhismus abgefangen und zur Wiederkehr ins irdische Arbeitslager mit seinen unterirdischen Ehemännern verpflichtet würde.

So ging sie erst am fünften Tag, obwohl das eigentlich gar nicht geht, bei so wenig Trinken und so viel Wasser in der Lunge. Was alles geht, obwohl es nicht geht, das zu beweisen war Rosa Theresie offenbar überhaupt angetreten in dieser Welt. So starb sie, wie sie es sich vorgenommen hatte: gesegnet fürs Paradies in den Armen ihrer Tochter. Anne Jelena Schulte

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