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Das Europa-Center in Berlin, wo sich in den 70er Jahren das Romantische Café befand. (Archivfoto aus dem Jahr 1966).

© dpa

Romanisches Café in Berlin-Charlottenburg: Im „Industriegebiet der Intelligenz“

Nur noch alte West-Berliner werden sich erinnern: Das Romanische Café im Europa-Center ist längst Geschichte. Eine lesenswerte Anthologie feiert den Mythos.

Ein Mythos mag leben, als Lebenselixier taugt er deshalb noch lange nicht. Nur noch alte West-Berliner werden sich an das längst geschlossene „Romanische Café“ im Europa-Center erinnern, das es dort in den siebziger Jahren gab.

Auch das gleichnamige Café im Anfang 2013 eröffneten Waldorf-Astoria an der gegenüberliegenden Seite des Breitscheidplatzes war nach drei Jahren wieder Geschichte. Das Hotel, das eigens einen Literaturwettbewerb, als Reminiszenz an die glorreichen Zeiten des Originals, initiiert hatte, überarbeitete das Konzept des nun zum Restaurant deklarierten Cafés und taufte es „Roca“. So blieben immerhin die jeweils ersten beiden Buchstaben des vorherigen Namens erhalten.

Aber damit kann man alles Mögliche assoziieren, nicht jedoch den Kreis literarischer Größen wie Joseph Roth, Erich Kästner, Bertolt Brecht, Elias Canetti, Franz Hessel oder wie die Stammgäste des ursprünglichen Romanischen Cafés alle hießen.

Die Erinnerung an diesen Ort, der weniger als Zentrum lukullischer Genüsse, vielmehr als eines des geistigen Austauschs, als „Industriegebiet der Intelligenz“, wie Erich Mühsam es etwas mokant umschrieb, Ruhm erlangte, ist trotz solcher gastronomischen Fehlversuche überaus lebendig. Und sie wird auf Stadtführungen oder durch den alten Mythos immer aufs Neue beschwörende Publikationen weiter am Leben gehalten.

Büchern wie der jetzt von Brigitte Landes zusammengestellten und erläuterten Anthologie „Im Romanischen Café. Ein Gästebuch“, einem schmalen, doch überaus lesenswerten Band mit geschickt verknüpften Texten von knapp zwei Dutzend Autoren und Autorinnen. Wobei Letztere deutlich in der Minderheit sind, das mag der historischen Zusammensetzung des Stammpublikums entsprechen, trotz herausragender Wortkünstlerinnen wie Else Lasker-Schüler oder Mascha Kaléko (Brigitte Landes: Im Romanischen Café. Ein Gästebuch. Insel Verlag Berlin. 126 Seiten, 14 Euro. Bereits im Vorjahr erschienen: Géza von Cziffra, „Das Romanische Café“, be.bra verlag, 140 Seiten, 12 Euro).

Vorgänger war das Café Größenwahn

Der Titel des Bändchens greift genau genommen zu kurz, denn selbstverständlich kann man die Geschichte des Romanischen Cafés nicht ohne die seines Vorgängers erzählen: des Cafés des Westens, auch Café Größenwahn genannt, das sich von 1898 bis 1915 an der Ecke Kurfürstendamm / Joachimstaler Straße befand, dem heutigen Kranzler-Eck.

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Schon dies war ein „Hauptquartier der Bohème“, wie Walter Benjamin schrieb, der dort auf literarische Schwergewichte wie Alfred Döblin, Gottfried Benn, Carl Zuckmayer, die Maler Max Slevogt und Ludwig Meidner, den Regisseur Max Reinhardt oder die Kunsthändler und Verleger Paul und Bruno Cassirer treffen konnte.

Das zog auch normales Publikum an, der Laden brummte, wenngleich viele der Geistesgrößen eher Hungerkünstler waren und sich stundenlang an einer Tasse Kaffee festhielten. Das wurde dem ob seines Erfolgs tatsächlich größenwahnsinnig gewordenen Wirt zu bunt, er verwies 1913 Lasker-Schüler seines Lokals, löste so einen Exodus der Bohème aus, die sich im Schatten der Gedächtniskirche ein neues Stammlokal erkor: das Romanische Café.

Das war im Romanischen Haus am Ostrand des Platzes, das als Namenspate diente, eröffnet worden. Ein ähnliches Gebäude stand auf der Westseite, beide bildeten mit der ebenfalls von Franz Schwechten im neoromanischen Stil entworfenen Gedächtniskirche ein Ensemble.

Brigitte Landes: Im Romanischen Café. Ein Gästebuch. Insel Verlag Berlin. 126 Seiten, 14 Euro. Bereits im Vorjahr erschienen: Géza von Cziffra, „Das Romanische Café“, be.bra verlag, 140 Seiten, 12 Euro
Brigitte Landes: Im Romanischen Café. Ein Gästebuch. Insel Verlag Berlin. 126 Seiten, 14 Euro. Bereits im Vorjahr erschienen: Géza von Cziffra, „Das Romanische Café“, be.bra verlag, 140 Seiten, 12 Euro

© promo

Es muss kein sehr heimeliger Ort gewesen sein, vielmehr „schmutzig durch die Manieren seiner Bewohner, die unausgesetzt Überreste ihrer Raucherei auf den Fußboden werfen“, wie Gabriele Tergit sich beklagte, dazu „so farblos und frostig wie sein Name“, mit einem „Büffet, das sich an architektonischer Abscheulichkeit und kulinarischer Geschmacklosigkeit mit jedem Wartesaal Preußens messen konnte“ - so mokierte sich der junge Autor Günther Birkenfeld.

Im Wartesaal der Talente

Innerhalb des Publikums gab es eine klare Hierarchie. Hinter der Eingangsdrehtür zur Linken sammelten sich die arrivierten Schriftsteller, Maler, Journalisten, Schauspieler. „Man nannte diese linke Ecke ,Schwimmbassin oder ,Schwimmerabteilung, da die Gäste, die Tag für Tag hier saßen, wenn sie schon nicht in gesicherten Positionen waren, sich zumindest finanziell immer über Wasser halten konnten“, wie Géza von Cziffra sich erinnerte. Der größere Bereich war den „Nichtschwimmern“ vorbehalten, der großen Menge des hier auf seine Entdeckung, den Zufall einer folgenreichen Bekanntschaft hoffenden Nachwuchses.

Erich Kästner sah im Romanischen Café denn auch vor allem einen „Wartesaal der Talente“, gebe es doch „Leute, die hier seit zwanzig Jahren, Tag für Tag, aufs Talent warten“. Dem Gast biete sich „ein infernalisches Gewirr von Charakterköpfen und solchen, die es sein wollen“. Genialität sei hier „der Stil des Hauses“, man ersetze „den mangelnden Erfolg durch Gehabe und Getue“ - eine die Atmosphäre des Cafés doch eher kritisch, zumindest spöttelnd skizzierende Einschätzung.

Eine Haltung, zu der offenbar viele der versammelten Zeitzeugen neigten. So war auch Géza von Cziffras erste Begegnung mit Joseph Roth keineswegs ein glorioser Moment der Literaturgeschichte. Man traf sich vor der Toilette und Roth bat um fünfzig Pfennig. Aber nicht etwa für einen Kaffee, wie von Cziffra vermutete und was Roth in großer Not klarstellte: „Im Gegenteil! Machen Sie schnell, sonst mach' ich mir in die Hosen. Ich schulde dem Kerl da drin so viel, dass er mich nicht mehr auf die Brille lässt.“

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