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Die Enkelin. Alexandra Cedrino schöpft aus der Familiengeschichte.

© Promo/A. Tempel

Roman über Gurlitts Berliner Galerie: Sex, Mord und Malerei

Die Galerie von Wolfgang Gurlitt am Potsdamer Platz war in den Dreißigern berühmt. Jetzt machte Enkelin Alexandra Cedrino sie zum Mittelpunkt eines Romans.

Die zwanziger und frühen dreißiger Jahre haben zur Zeit wieder Hochkonjunktur. Das Bauhaus-Jubiläum im vergangenen Jahr beförderte das Interesse daran, mit der Fortsetzung der TV-Serie „Babylon Berlin“ kamen noch ein prickelndes Gefühl und Spannung dazu.

Vor diesem Hintergrund ist auch Romanen, die in dieser Zeit spielen, Aufmerksamkeit gesichert – vor allem wenn sie von der Nachfahrin eines der Protagonisten verfasst sind.

Alexandra Cedrino ist die Enkelin von Wolfgang Gurlitt, der damals eine bedeutende Galerie in Berlin führte. Seit dem Skandal um den „Schwabinger Kunstfund“, dem Auftauchen der Sammlung des NS-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt vor mittlerweile acht Jahren, weiß man mehr auch über seinen Cousin.

Beide Gurlitts spielten eine undurchsichtige Rolle im „Dritten Reich“, beide machten trotz innerem Abstand zur Politik mit den Nationalsozialisten gute Geschäfte. Ein Roman mit dem Titel „Die Galerie am Potsdamer Platz“, geschrieben von einem Gurlitt-Spross, verspricht also viel, die Werbestrategen von HarperCollins schüren entsprechend die Erwartung.

Umso mehr enttäuscht das Ergebnis. Die Kulturszene Berlins der Jahre 1930 bis 1933 gibt zwar die Folie ab für den Roman, Alice Waldmann, die Hauptfigur, entstammt einer alteingesessenen Kunsthändlerfamilie und muss sich ihren Platz darin erst einmal erobern.

Vor allem ein Liebesroman

Doch dient der historische Hintergrund nur dazu, Atmosphäre zu schaffen. Reale Versatzstücke tauchen da und dort auf, so die expressionistische Raumgestaltung der Galerie oder ein berühmter Journalist, den es tatsächlich gegeben hat, sitzt zufällig mit Alice und ihrem Begleiter am Caféhaustisch. Doch dafür braucht es keinen familiären Hintergrund der Autorin.

Was gute Recherche und eine spannende Schreibe leisten kann, hat etwa Theresia Enzensberger mit „Blaupause“ (Hanser) im Bauhaus-Milieu vorgeführt. Cedrino aber hat vor allem einen Liebesroman geschrieben, in dem der Protagonistin schon gleich zu Beginn eine dunkle Locke aus der Frisur rutscht – was ihr immer wieder passiert, wenn es aufregend wird.

[Alexandra Cedrino: Die Galerie am Potsdamer Platz. HarperCollins, Hamburg. 384 Seiten, 20 Euro.]

Um sich zu beruhigen, muss Alice noch so manches Glas Whiskey leeren, das ihr erwartungsgemäß scharf die Kehle hinunterrinnt. Als sie endlich in den Armen ihres Angebeteten liegt, schmeckt sein Mund nach Tabak, Salz und Honig. Klischee folgt auf Klischee.

Die Wiener Kunstgeschichtsstudentin entwickelt sich in Berlin zur talentierten Fotografin, deren Lehrerin lesbisch ist. Cedrino gelingt es zwar, eine spannende Story zu erzählen, das Sehnen und Zaudern ihrer Alice glaubhaft zu machen, doch reagieren die Protagonisten erstaunlich unreflektiert auf die von ihnen beobachteten Ereignisse.

Auf den brutalen Mord an einem abgesonderten kommunistischen Demonstranten durch den faschistischen Mob – von Alice und ihrem John in einer Seitenstraße beobachtet – folgt verunglückter Sex im Volkspark Friedrichshain. Auch später gibt es keine sonderliche Auseinandersetzung mit dem Erlebten. In das oberflächlich behandelte Zeitkolorit fügt sich die Oberflächlichkeit der Figuren.

Mehr Historie und mehr Leben erwünscht

Die berühmte Galerie – deren Adresse Potsdamer Platz, die den klangvollen Titel des Buches abgibt, hat es so allerdings nie gegeben – kommt erst sehr spät ins Spiel, als Alice gebeten wird, sich an deren Wiedereröffnung zu beteiligen, womit sie als vollgültiges Familienmitglied akzeptiert ist.

Lange hat die junge Frau keine Freude an ihrer neuen Aufgabe, die Nationalsozialisten kommen an die Macht, und Alice wird mit John das Land verlassen. Doch der knapp 400-seitige Debütroman ist als Trilogie angekündigt. Alice wird weitere Abenteuer erleben, leiden und Locken zurückschieben.

Carmen Korns „Jahrhundert-Trilogie“ im Hamburger Setting vor zwei Jahren hatte enormen Erfolg, gut möglich, dass er auch Alexandra Cedrino widerfährt. Nur würde man sich in den weiteren Teilen mehr Historie und zugleich mehr Leben wünschen.

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