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Wohnhaus, das von Verdrängung bedroht ist in der Samariterstraße in Berlin-Friedrichshain.

© Thilo Rückeis

Roman „Die Entmieteten“ von Synke Köhler: Schicksale des harten Berliner Wohnungsmarkts

Ihr Roman behandelt ein Thema, das Berlin bewegt. Jetzt liest Synke Köhler aus „Die Entmieteten“.

Das Buch ist kein Wohlfühl-Roman. Das Unbehagen schwingt noch lange nach, gleich einer sich langsam auspendelnden Abrissbirne nach getaner Arbeit. Wie eine Kamera, unbeteiligt und unbestechlich, begleitet das Romandebüt „Die Entmieteten“ von Synke Köhler eine Mietergemeinschaft in Prenzlauer Berg vom Erhalt des ersten Kündigungsschreibens über ihren Widerstand gegen die drohende Entmietung bis zum überraschenden Schluss, der aber kein Happy End ist.

„Ich habe aufschreiben wollen, was mehreren Freunden von mir seit 2012 in Prenzlauer Berg passiert ist: Sie haben durch die sich immer schneller drehende Verdrängungs-Spirale nicht nur ihre Wohnungen verloren, sondern auch ein Stück Heimat“, erzählt Köhler, die in Dresden aufgewachsen ist, in Jena, München und Leipzig studiert hat und seit rund 25 Jahren in Friedrichshain lebt.

Die meisten der Protagonisten im Buch stammen wie Köhler aus der ehemaligen DDR, in Rückblenden erzählt sie ihre Geschichten von revolutionären Hoffnungen, privaten Enttäuschungen und schmerzlich bewahrten Sehnsüchten: ein großer Bogen aus vielen kleinen Bildern, wo das Ungesagte zwischen den Zeilen mitunter noch mehr zählt als das manchmal profane Wort.

Schwer trifft die Menschen der drohende Verlust der Wohnung und Hausgemeinschaft, die sich im Kampf gegen die Entmietung nach Jahren des Nebeneinanderherwohnens gerade erst wirklich als Gemeinschaft zu erleben beginnt. Vage steht hier das Gefühl einer vertanen sozialen Chance im Raum.

Und dann kam die Mieterhöhung

Doch Köhler bleibt nicht beim Blick auf die Opfer der Profitspirale. Genauso lotet sie die andere Seite aus, deutet an, welche Motive dazu geführt haben könnten, dass sich Menschen plötzlich auf der Seite der Ausbeuter wiederfinden. Und sie zeigt, was die bewusst oder unbewusst gefällte Entscheidung dafür mit den „Machern“ macht: Am Ende, so die unmissverständliche Botschaft, gibt es auf beiden Seiten nur Verlierer.

Fiktion wird Realität. Autorin Synke Köhler vor ihrem Wohnhaus.
Fiktion wird Realität. Autorin Synke Köhler vor ihrem Wohnhaus.

©  Thilo Rückeis

Ende 2017 beendete Köhler „Die Entmieteten“. Genau ein Jahr später bekam die Autorin Post: Weitreichende Modernisierungen wurden für ihre und weitere 23 Wohnungen in dem Mietshaus in der Samariterstraße angekündigt, das viele der Mieter seit Jahrzehnten bewohnen: Ein 84- und 79-jähriges Ehepaar lebt seit rund 54 Jahren in diesem Haus, der Mann ist in diesem Kiez geboren. Das Leben hatte die Kunst eingeholt.

Einhergehend mit den angekündigten Modernisierungen, die zum Beispiel einen dritten Balkon zu zwei bereits vorhandenen vorsahen, wurden die Bewohner vom Eigentümer, dem Immobilienunternehmen Fortis Group, auch über die Erhöhung der Mieten informiert: Das Zwei- bis Dreifache der bisherigen Miete wurde angekündigt. Da das Haus nicht im Milieuschutzgebiet liegt, konnte der Bezirk die Mieter nicht durch Ausübung eines Vorkaufsrechts schützen.

Verdrängung durch Verfall provoziert

Die Bewohner organisierten sich und gingen mit Demonstrationen und Plakaten an die Öffentlichkeit. Ähnlich wie die Romanfiguren müssen nun auch die realen Mieter mit der Aussitztaktik des Eigentümers klar kommen: Köhler erzählt, dass auf Emails und Briefe entweder gar nicht oder nur mit langer Verzögerung geantwortet werde, dass notwendige Reparaturen ausblieben oder erst nach etlichen Briefen und Anrufen vorgenommen werden.

Beispielsweise sei der fehlende Türschließer erst nach mehr als einem Jahr wieder angebracht worden, auf dem Dachboden haben sich Tauben eingenistet, im Treppenhaus bröckle der Putz und sei seit mehr als 30 Jahren nicht gemalert worden. Doch die Mieter geben nicht auf. Ihre Situation ist schon lange kein Einzelschicksal mehr: „Die Verdrängungswelle schwappt inzwischen über ganz Berlin“, beobachtet Köhler.

Sie sei erschrocken, wie viele Menschen das Geschehen immer noch allzu blauäugig verfolgen, und sie befürchte, sollte von der Politik nicht die Notbremse gezogen werden, einen riesigen Crash. „Deshalb ist der Mietendeckel auch so wichtig, er bremst die Verkaufspreise“, so Köhler, die darüber hinaus ein Vorkaufsrecht für Mieter beim Verkauf von Wohnungen nicht nur beim Erstverkauf, sondern bei jedem weiteren Verkauf der Wohnung fordert.

Mit ihrem 2012 begonnenen Buch wollte Köhler die Leser auf die Gefahren eines vollkommen unregulierten Wohnungsmarkts hinweisen. Wie nah dran sie damit an ihrem eigenen Leben sein würde, hat sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt.
„Die Entmieteten“, Satyr Verlag, 256 Seiten, 23 Euro. Synke Köhler liest aus ihrem Roman: Am Dienstag, 5. November, um 20 Uhr in der Fahimi Bar, Skalitzer Straße 133. Eintritt acht, ermäßigt fünf Euro. Und am Mittwoch, 6. November, um 20.30 Uhr in der Buchhandlung Lesen und Lesen lassen, Wühlischstraße 30. Eintritt sechs, ermäßigt vier Euro (hier wird um Voranmeldung gebeten unter Telefon 29 15 382).

Eva Steiner

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