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Flieg ich oder nicht? Das fragen sich die jungen Frauen ständig, wenn sie ihre Runden auf Rollschuhen drehen. Denn jederzeit kann eine Gegnerin angebraust kommen, die versucht, sie aus der Bahn zu werfen.

© Michael Wittig

Roller Derby-Europameisterschaft: Kämpferinnen auf Rollschuhen

Am Freitag hat in Berlin die Roller Derby-Europameisterschaft begonnen. Der Sport ist eine Mischung aus Kampf und Karneval auf Rädern, wie unser Video beweist. Für Deutschland treten die "Berlin Bombshells" an - die nicht nur ihre Gegner besiegen müssen.

Stell dir vor, du gehst raus auf die Bahn. Der Sound deiner Rollschuhe vibriert in den Ohren, du hörst die Leute schreien, Musik dröhnt. Du suchst deine Startposition, dein Team ist bereit. „Und dann schaust du rüber zu deinen Gegnerinnen“, sagt Foxy, „und du stellst dir nur eine Frage: Flieg ich gleich zehn Meter? Oder kann ich’s aushalten?“

Was Foxy angeht: Sie kann’s aushalten, meistens jedenfalls. Die 29-Jährige – eigentlich heißt sie Janina Meyer – spielt Roller Derby im Verein der „Berlin Bombshells“. Roller Derby kann man schnöde beschreiben als „Vollkontaktsport auf Rollschuhen“. Tatsächlich ist es ein wildes Rempeln und Überrunden. „Und es wird fast nur von Frauen gespielt“, sagt Foxy. Warum das so ist, weiß sie nicht, sie findet jedenfalls, dass Männer auf Rollschuhen albern aussehen.

Heute Abend startet in der Arena in Treptow das „Track Queens – Battle Royal“, die Europameisterschaft der zehn besten Roller Derby-Teams des Kontinents. Bis Sonntagabend wird um den Titel gekämpft und die „Berlin Bombshells“, die Gastgeber, hoffen auf den Sieg.

„Momentan sind wir Zweite der europäischen Rangliste“, sagt Foxy. Ihre Haare, tiefschwarz, kleben unter dem Schutzhelm. Es ist das letzte Training vor dem großen Turnier, eine Turnhalle im Wrangelkiez, draußen treibt der Wind das Herbstlaub gegen die Fenster. Gut 30 Mädchen und Frauen sind heute dabei. Während die jüngeren von ihnen zuvor ihre Runden drehten, hatten sich die älteren in einen Besprechungsraum zurückgezogen, Wettkampfvorbereitung mit einem „Mental Coach“. Nun sind alle gemeinsam auf der Rollbahn, „Jammen“ üben. In kleinen Rudeln rollen sie im Kreis, plötzlich schießen einzelne Läuferinnen von hinten heran und drücken sich durch die Lücken im Rudel.

Durch das „Jammen“ macht man Punkte beim Roller Derby: „Du musst dich durch die Gegner wuseln“, sagt Mia Missile, und sie so überholen. Aber immer damit rechnen, dass sie dich auf die Bretter schicken. „Aber wenn du Jammen darfst: Das ist der Hammer“. Mia Missile, eine Teamkollegin von Foxy, hat auch einen Alltagsnamen: Katharina Deltow. Aber das Spiel mit Namen und Identitäten, es ist beim Roller Derby fast so wichtig wie die Rollschuhe selbst.

Bei den „Berlin Bombshells“ laufen Mädels, die „Lizzy Slaughter“ heißen, „Apokalypse Meow“ oder „Emmazone“. So ein Name ergebe sich meist bei einem Kneipenabend nach Spielende, erzählt Foxy. Sie selbst hat auf ihrem Trikot noch den Pseudonym-Nachnamen „Führer“ stehen, „das schüchtert auf dem Spielfeld schön ein“. Neben dem Künstlernamen wählen sich die Spielerinnen eigene Verkleidungen: Manche kommen im Minirock, andere malen sich Totenschädel oder Blutspritzer ins Gesicht. Es ist eine Mischung aus Sport und Albernheiten, vor allem geht es aber darum, die eigene Identität auf die Spitze zu treiben. „Du verkörperst dich selbst auf dem Spielfeld“, sagt Foxy Führer. Sie und ihre Teamkolleginnen machen diesen Sport nicht nur, sie leben ihn. Oder wie Foxy sagt: „Wir lassen die Sau raus!“

Als Alltagsflucht dürfe man Roller Derby aber trotzdem nicht missverstehen: Die Foxy auf dem Feld und Janina aus Kreuzberg – das seien ein und diesselbe Person. Roller Derby bleibe trotz der Show ein ganz normaler Sport für ganz normale Mädchen.

Zum Ende des Trainings kommen die Rollschuhfahrerinnen zu einem Kreis zusammen. Leer gepresste Wasserflaschen liegen in der Mitte, die Mädchen nehmen ihren Zahnschutz ab, tanken Luft. Die Europameisterschaft ist nun bedrohlich nahe. Jede darf letzte Gedanken äußern oder etwas kritisieren. Ein Mädchen spricht davon, dass Kommandos klarer kommen sollen. Eine andere hofft, dass die Taktik mit dem „offense defense switch“ klappen möge. Alle sehen etwas zerknirscht aus, so kurz vor dem Turnier. Die Frage, was der Gegner wohl kann, steht über ihnen: Flieg ich? Oder halt ich’s aus? „Wir sind gut genug“, sagt die Trainerin auf Englisch in die Runde. „Wir sind großartig genug.“

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