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Berlin: Robert Oberhardt (Geb. 1964)

Alle Regler auf Anschlag und noch eine Stufe drüber.

Robert Oberhardt war einer von denen, die sofort die Blicke auf sich ziehen, wenn sie einen Raum betreten. Wie ein Rockstar. Groß und schlank, schulterlange Haare, Samt-Jackett oder Lederjacke, Seidenschal, Cowboystiefel, großer Hut, jede Menge Silberschmuck, Ringe, Armreifen, Halsketten. Und auf den Armen kunstvolle Tätowierungen.

Der Chic des Rockstar–Jetsets à la Rolling Stones, deren Musik er besonders mochte. Neben Punk, Heavy Metal, Hard Rock und ein bisschen Country. Thin Lizzy, Queen und Johnny Cash. Daraus hatte er seinen eigenen Stil entwickelt, musikalisch und optisch. Männliche Härte, sanfte Züge, eine Kombination, die ihn anziehend machte für die Frauen.

Bei Auftritten seiner Band turnte er mit knatternder Gitarre auf gefährlich wankenden Verstärkertürmen herum. Oder er donnerte mal eben mit 230 Sachen auf seiner Kawasaki eine Runde über den Berliner Ring. Ein Leben in Lautstärke, Tempo, Abenteuer. Alle Regler auf Anschlag und noch eine Stufe drüber – wie bei den Marshall-Verstärkern von „Spinal Tap“: Alles auf Elf!

Mit dem Fahrrad rast Robert, den seine Freunde „Rubbel“ oder „Rubel“ nennen, raus zum Schlachtensee. Den er zweimal hintereinander in Rekordtempo der Länge nach durchschwimmt, um ihn gleich darauf noch einmal rennend zu umrunden. Mit dem Rad saust er wieder nach Hause. Rekordzeit. Mühelos hätte er den „Iron Man“ geschafft oder einen Marathonlauf. Aber Wettkampf interessierte ihn nicht. Sich in Konkurrenz mit anderen zu messen, fand er albern, unfrei.

Als Kind suchte er das Abenteuer beim Spielen in der noch unbebauten Wüstenlandschaft des Potsdamer Platzes. Oder später als 18-Jähriger, als er es fast geschafft hätte, den Rat seines geliebten, Trompete spielenden Vaters in die Tat umzusetzen: „Nenn dich doch Roberto D’Ampezzo und werde Musiker! Dann musst du nicht arbeiten!“

Er arbeitete dann aber doch, sehr entschieden und ehrgeizig: an seiner Musik, an seinem Gitarrenspiel, seinen Bands. Erst Punk, dann Heavy Metal. „TNT“, „Zerstörte Jugend“, „Stone Cold & Crazy“. Hauptsache war der Ausdruck von Energie und Leidenschaft. Mit der Entschlossenheit, Rockstar zu werden, übte er wie besessen auf seinen elektrischen Gitarren, „Explorer“, „Flying V“, und trieb seine Bandkollegen an. Wenn sie für die Proben nicht richtig vorbereitet waren, wenn sie mal wieder nicht zu Potte kamen, ließ er sie seinen Zorn und seine Ungeduld spüren.

Doch weil es fast unmöglich ist, als Rockband zu überleben, überhaupt von der Musik zu leben, musste Robert dann doch so richtig arbeiten. Er machte dies und das, hier und dort, bis er sich mit einer eigenen Messebaufirma selbstständig machte. Ständig unterwegs. Nach dem Aufwachen schon in den Stiefeln. Er brauchte keine Warmlaufzeit, um sich in Gang zu setzen. Von null auf hundertachtzig in Nullkommanichts.

Doch neben der Lautstärke des knallenden Rock ’n’ Roll oder dem Röhren seiner Kawasaki, suchte er auch immer wieder die Ruhe. Stundenlang konnte er die Stille an einem See oder am Meer genießen, für Ewigkeiten das Wasser betrachten, die Wolken am Himmel, in den Mond und die Sterne gucken.

Als Robert Oberhardt vor fünf Jahren zum ersten Mal die Schöneberger „Luft-Wasser-Bar“ betrat, sahen ihn natürlich alle an. Auch Elfriede. „Er hatte etwas Raumfüllendes. Und ich spürte eine Energie, die von ihm ausging.“ Es war Liebe auf den ersten Blick, für beide. Nachdem sie schon eine Menge Lieben, eine Menge Blicke hinter sich hatten, die sich im Nachhinein vielleicht doch nicht als die richtigen erwiesen. Nicht so, wie das, was sie jetzt gefunden hatten. „Vielleicht eine schöne Altersliebe“, sagt Elfriede, „wir mussten uns nichts mehr beweisen.“

Robert zog in ihre große Altbauwohnung in der Kolonnenstraße. Er kaufte Blumen, stellte opulente Sträuße zusammen, verteilte sie auf die Räume. Er kochte für Elfriede und die Freunde, backte seinen ersten Kuchen zum Geburtstag.

Auf dem Sims über dem Küchenherd hatte er drei blau funkelnde Strasssteine aufgestellt – in einer ganz bestimmten Anordnung, die nur er verstand. Elfriede gefiel das. Wie auch all die kleinen Verrücktheiten: Wenn er mitten in der Nacht das Fenster aufriss und nach draußen schrie: „Ich liebe Friedchen!“

Samstags gingen sie zusammen zum Winterfeldtmarkt, und Rubel schleppte all die schweren Einkäufe. Nie hätte er sein Friedchen auch nur eine Tasche tragen lassen. Höchstens die Blumen, die er ihr jedes Mal schenkte. Und er bestand darauf, immer auf der Seite zu gehen, wo die Autos fuhren, um sie zu beschützen. „Er hat einen Mantel von Liebe um mich gelegt“, sagt sie.

Zu Hause spielte er Gitarre. Zu zweit sangen sie: „You said one love / One life / When its one need / In the night / One love we get to share it / It leaves you baby if you don’t care for it.“

Mit Büchern und Landkarten planten sie große Reisen. Rubel zog es nach Asien. Immer wieder Thailand und die angrenzenden Länder. Als ihn ein Freund fragte, der sie zum Flughafen fuhr: „Und wo ist dein Gepäck?“, zeigte er auf seinen Gitarrenkoffer: „Hier!“

Die Gitarre war am wichtigsten. Zuletzt hatte er sich eine Dobro gekauft. Die nahm er überall mit hin. Ein Hemd, eine Unterhose, ein paar Socken hatten zusammengerollt noch Platz im Gitarrenkoffer.

Mit dem Motorrad fuhren sie durch Kambodscha, abenteuerlich und schön. Bis Rubel von einem Felsvorsprung ins Wasser sprang und gegen einen Bambussteg donnerte. Milzriss. Wenn er nicht in kürzester Zeit operiert würde, werde er sterben, sagte der Arzt. Elfriede kämpfte um sein Leben, organisierte ein Flugzeug nach Saigon. Drei Tage nach der Operation saß er im lose am Körper flatternden OP-Hemd im Foyer des noblen Spitals am weißen Flügel und spielte Mozart. Das konnte er auch. Wie seine italienischen Verwandten aus der mütterlichen Familie, die spielten auch bei jeder Gelegenheit Klavier.

Zwei Wochen später konnte er zurück nach Berlin. Neues Leben, alte Liebe, neue Pläne. Weil sie Tiere so sehr mochten – sie sahen sich oft Tierfilme an –, träumten sie von einer Safari durch Afrika, einer Hundeschlittenfahrt zum Pol. Am Silvesterabend gingen sie in den Zoo, und am nächsten Tag standen sie ganz früh auf und liefen um die Seen in Rubels geliebtem Grunewald. Auch so ein Ritual über die Jahre.

Irgendwann wollten sie wieder los. Rubel zog es nach Asien, doch bei Elfriede saß der Schock noch zu tief: „Können wir nicht woanders hin? Vielleicht Marokko?“ Dort gefiel es ihr so gut, dass sie ein Haus kaufte in der Nähe des Atlantiks, unweit von Essaouira, der „Stadt der Winde“. Im Januar waren sie wieder dort und planten den Umbau des Hauses.

Rubel spielte Gitarre und machte jeden Tag lange Spaziergänge mit den Hunden aus der Nachbarschaft. Auch an diesem Tag war er losgegangen, nachmittags um vier, die Hunde begleiteten ihn, das Wetter war angenehm. Dass er nach ein paar Stunden nicht zurückkehrte, war nichts Ungewöhnliches. Aber dann kamen die Hunde – ohne Rubel. Die Nachbarn sagten, die Tiere kämen immer sofort nach Hause, wenn es anfängt zu regnen. Es regnete heftig. Dann rief Rubel Elfriede an, mit dem Handy: Er habe sich verirrt, er könne nichts mehr sehen, es sei dunkel. „Friedchen, du musst mich abholen!“ Und zum ersten Mal spürte sie so etwas wie Angst bei ihm, etwas Verlorenes. „Wo bist du?“ Er konnte es nicht richtig beschreiben. Später brach die Verbindung zu seinem Handy ab.

Elfriede hat zwei Tage nach ihm suchen lassen. Erst ist ein Nachbar losgegangen mit den Hunden, die Rubel begleitet hatten. Dann ein Wüstenexperte mit drei Hunden, und die Dorfgemeinschaft suchte einen 15 Kilometer langen Uferstreifen ab. Später ist eine Polizeimannschaft mit 80 Leuten losgegangen. Und zuletzt haben 300 Soldaten und Polizisten mit Pferden und Hunden ein Areal von 20 Quadratkilometern abgesucht. Schließlich fanden sie ihn, keine 200 Meter vom Dorf entfernt. Er war wohl orientierungslos in der Dunkelheit gestolpert und mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen.

Unzählige Freunde kamen zu seiner Beerdigung auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Und seine alten Musikerkollegen spielten noch einmal für Robert Oberhardt, und mit ihm im Herzen: im Kreuzberger „Wild At Heart“. H. P. Daniels

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