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Berlin: Robert Ebeling (Geb. 1955)

Ein Meister des Kompromisses war er nicht, aber aufrichtig war er immer

Am Anfang waren die Bücher. Zunächst die schmalen: „Macbeth“ oder „Die Stützen der Gesellschaft“. Dann die schweren: Bände über die Kleidung der Aristokratie im Schottland des 11. Jahrhunderts oder über die kleinstädtische Gesellschaft im Norwegen des 19. Jahrhunderts. Danach begann die Phase des Probierens. Mit Bleistift oder Tusche entwarf Robert erste Ideen, ein solches Kleid könnte Lady Macbeth tragen, dieser schwere, schwarze Rahmen könnte über den Köpfen der norwegischen Bürger schweben. Fluchen drang bisweilen aus dem Arbeitszimmer. Doch nach und nach verschmolzen die historischen Vorlagen mit Roberts Deutungen.

Die Entwürfe wurden ausgefeilter, Blatt um Blatt. Robert fügte die Statur des Schauspielers, der die Rolle übernehmen sollte, in die Skizzen, komplettierte die Konstruktionen für die Kulissen, colorierte die Kostüme und Bühnenbauten mit Aquarell- oder Acrylfarben, schrieb Details an den Rand der Skizzen, „ca. 200 cm Saum“ oder „Chiffon, Satin“ oder „Verstrebung aus Holz“. Im Anschluss ging er in die Werkstätten und begleitete die Proben. Was er erdacht hatte, sollte genau so umgesetzt werden. Mit Vorstellungen und Einwänden anderer konnte er nur selten etwas anfangen.

Ein Meister des Kompromisses war er nicht, aber aufrichtig war er immer, während seiner Zeit an ostdeutschen wie auch an westdeutschen Bühnen. In der Inszenierung der „Dreigroschenoper“ 1985 in Potsdam agierten die Schauspieler in einem goldenen Käfig, der Zwischenvorhang zeigte das Bild der untergehenden Titanic. In der Fassung der „Minderleister“ 1994 in Oberhausen traten die Figuren in weißen Anzügen zwischen starren kaltblauen Wänden auf. 1995 erhielt er für seine Arbeit, zusammen mit drei Kollegen, die Goldmedaille für Bühnenbild auf der Prager Quadriennale.

Mit Kleingeist, Mittelmaß und Unfreiheit hatte Robert in beiden Systemen zu kämpfen. Dem einen entkam er per Ausreiseantrag, den er nach einer Studienreise durch die Sowjetunion gestellt hatte. Ununterbrochen hatten ihm die Funktionäre dort das Fotografieren verboten, Filme aus seiner Kamera gerissen, jeden Schritt überwacht. Mit dieser Art des Sozialismus wollte er nichts zu tun haben.

Angekommen im Westen erschreckten ihn die Macht des Geldes und eine Provinzialität, die er in diesem Maße nicht vermutet hatte. Als Ausstattungsleiter am Theater in Oberhausen sprach er auf ewig langen Versammlungen über Mängel im Betrieb, über Intrigen und Feigheit und stümperhafte Kunst. Während einer Vorstellung, die der Intendant inszeniert hatte, rief er unüberhörbar: „Buh!“

Im Grunde aber war Robert kein lauter Mensch, eher in sich gekehrt und distanziert. In Debatten hielt er sich zurück, beobachtete erst und stellte dann eine unerwartete Frage, die das Thema noch einmal öffnete, ihm eine neue Seite hinzufügte. Er konnte seine Bedenken vorsichtig vorbringen, und er konnte auf einer Sache beharren, fast stur. Selten nur mischte er sich nach einer Aufführung unter die Theaterleute in der Kantine. Das Getöse, das Gerede von der großen Familie, die hier alle seien, interessierten ihn nicht.

Zu seiner Familie gehörten Kerstin und die Kinder Friederike, Franz und Nora. Sein Vater sei der Einzige, den er kenne, der Prinzipien nicht nur predige, sondern tatsächlich lebe, sagte sein Sohn. Überflüssige Lampen wurden ausgeschaltet, Wasser lief nicht nutzlos in den Abguss, Essen landete nicht im Mülleimer. Robert ging auf Anti-Atomkraft-Demos und zu Attac-Zusammenkünften. Er spendete Geld. Er sprach mit seinen Kindern, ließ sie ein Gespür für Richtig und Falsch entwickeln, ließ sie spüren, welches Glück man empfinden kann, wenn man sich unbedingt und konzentriert einem Gegenstand zuwendet.

So wie er als Kind Autos, Schiffe und Flugzeuge gezeichnet hatte, während die anderen Jungen auf der Straße spielten, wie er sich später in Zeichenzirkeln einschrieb, auch an der Kunsthochschule in Weißensee, an der er dann Bühnen- und Kostümbild studierte.

Er fürchtete sich vor seinem 51. Geburtstag im Jahr 2006, denn sein Vater war in diesem Alter gestorben, an Krebs. Aber es geschah nichts. Überstanden, dachte er. Bis zu dem Befund im Mai 2009. Am 30. März 2012 ist er gestorben.

An vielen Sommerabenden saßen Robert und Kerstin auf der Wiese vor dem Teehaus im Englischen Garten, tranken ein Glas Wein und hörten der Jazzmusik zu. Er liebte Thelonious Monk, Miles Davis, Charles Mingus, seit Jahren spielte er selbst Klavier. Am Nachmittag des 17. April fand dort ein Fest für ihn statt. Eine Jazzband spielte. Sechzig Menschen lachten, weinten und tanzten. Ein Freund sagte: „Robert ist immer auf dem Teppich geblieben. Aber sein Teppich konnte fliegen.“ Tatjana Wulfert

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