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Seit Monaten steht an der Staatlichen Ballettschule der Vorwurf im Raum, dass die Methoden bis hin zu physischer und psychischer Gewalt reichten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Update

„Rigide, traditionell, strafend“: Clearingstelle berichtet über Gewalt an Staatlicher Ballettschule

Über 100 Gespräche zur Lage an der Eliteschule ausgewertet. Auch Unterstützer meldeten sich. Re-Akkreditierung des Studiengangs "Bühnentanz" verzögert sich.

In der Auseinandersetzung um die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik hat die von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eingesetzte Clearingstelle am Donnerstag die Zwischenergebnisse ihrer Recherchen erläutert. Darüber hinaus erfuhr der Tagesspiegel, dass die Zulassung des Bachelorstudiengangs an der Ballettschule demnächst ausläuft.

Nach über 100 Gesprächen mit rund 200 Schülern, Mitarbeitern und Eltern der Schule konstatieren die Kinderschutzexperten Arthur Kröhnert und Elke Nowotny, dass es an der Schule zu Gefährdungen des Kindeswohls durch physische und emotionale Gewalt, sexuelle Grenzüberschreitungen sowie Vernachlässigung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht sowie extremen psychischen Druck gekommen sei.

Kinder und Jugendliche hätten „über alle Formen der Gefährdung berichtet“, zusätzlich lägen auch eine Reihe von Berichten der Fachkräfte vor. Als Beispiele wurde die Überlastung infolge „sehr langer Schul-, Trainings- und Auftrittstage“ genannt. Erschwerend hinzugekommen sei, dass Verletzungen zugunsten von Bühnenauftritten ignoriert worden seien.

Zudem hätten Schüler und Absolventen von Selbstverletzungen wie Ritzen, Essstörungen, depressiven Episoden bis hin zu „Depressionen mit Suizidphantasien“ berichtet. Es habe zu wenig Aufmerksamkeit für ihre Konflikte gegeben und „die Angst, sich zu öffnen“.

Das habe zum Beispiel dazu geführt, dass Schüler nach einem Jahr „eine Maske getragen hätten“, um sich ihre Not nicht anmerken zu lassen. Ebenso hätten sich aber auch Schüler, Lehrer und Erzieher an die Schule gewandt, die betont hätten, dass sie die Vorwürfe nicht nachvollziehen könnten.

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Die Clearingstelle resümiert die Berichte dahingehend, dass es zu einer „Spaltung“ gekommen sei: Die Schule werde einerseits als Ort besonders intensiver, methodisch wirksamer Bildung und Erziehung und andererseits „als Ort physischer und psychischer Gewalt und Vernachlässigung in der Krise beschrieben“.

Zudem bescheinigen Kröhnert und Nowotny der Schule eine „Polarisierung“ zwischen glanzvollen Bühnenauftritten und den rigiden, traditionellen, strafenden Trainings- und Umgangsformen bis hin zu physischer und psychischer Gewalt. Das war bereits im Bericht der Expertenkommission zu lesen, der vor einer Woche vorgestellt worden war und der Schule ebenfalls kein gutes Zeugnis ausstellte.

Schulleiter Stabel und Leiter Seyffert weiterhin freigestellt

Wie berichtet sind der Schulleiter Ralf Stabel sowie der künstlerische Leiter und Leiter des Landesjugendballetts, Gregor Seyffert, wegen zahlreicher Vorwürfe, die sie bestreiten, vom Dienst freigestellt. Sie müssen allerdings nicht nur in der Schule vertreten werden, sondern auch im Bachelorstudiengang „Bühnentanz“: Er ist zwar formal an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ angesiedelt, die Veranstaltungen finden jedoch in der Ballettschule statt – eine bundesweit einmalige Konstellation, innerhalb derer Stabel und Seyffert Professorenstellen bekleiden.

Diese Konstellation könnte nun zu Problemen führen, denn die Akkreditierung des Studiengangs ist auf den 30. September 2020 befristet. Es müsste somit demnächst eine Re-Akkreditierung beantragt werden.

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Im Abschlussbericht der Akkreditierungskommission vom Januar 2016 war der Schule bescheinigt worden, alle Auflagen der Kommission erfüllt zu haben, womit die Akkreditierung erfolgte. Allerdings wurden einige Empfehlungen und Hinweise gegeben, darunter:

  • Die Gründe für die hohe Zahl der ausländischen Studienabbrecher sollten evaluiert werden.
  • Das Studium habe seinen Schwerpunkt zu einseitig im klassisch akademischen Tanz: Für eine Karriere als Künstler im zeitgenössischen Tanz wie auch freischaffend in der sogenannten freien Szene sei der Studiengang daher „nur bedingt geeignet“. Daher solle dies "für eine bessere Transparenz" für die Studienbewerber deutlicher ausgewiesen werden.
  • Die sprachlichen Zugangsvoraussetzungen für nicht deutschsprachige Bewerber sollten klar definiert werden, damit die entsprechenden theoretischen Angebote hinreichend wahrgenommen werden können.
  • Um die Erfolgschancen der Absolventen besser abschätzen zu können, sollte ihr Verbleib in den ersten drei Jahren nach Abschluss nachverfolgt werden.

Veranstaltungen im Studiengang durch "andere Lehrende" übernommen

Die Senatsverwaltung für Wissenschaft teilte auf Anfrage mit, dass „die Professoren Ralf Stabel und Gregor Seyffert hauptamtliches Personal der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie“ seien. Mit ihrer vorläufigen Suspendierung seien sie „von sämtlichen Aufgaben entbunden“ – also auch von der Lehrtätigkeit im Bachelorstudiengang.

Die Interimsschulleitung der Staatlichen Ballettschule und die Leitung der Hochschule für Schauspielkunst hätten aber sichergestellt, „dass die Lehrveranstaltungen der beiden Professoren im Bachelor-Studiengang Bühnentanz durch andere Lehrende übernommen werden“.

In Absprache mit der Ballettschule und der von der Senatsverwaltung für Bildung eingesetzten Untersuchungskommission plane die Hochschule für Schauspielkunst, „mit der Antragstellung auf Reakkreditierung des Studiengangs zu warten, bis der Prozess der Untersuchung an der Staatlichen Ballettschule Berlin abgeschlossen ist, um dessen Ergebnisse berücksichtigen zu können“.

In einer früheren Fassung dieses Artikels heiß es, dass die Akkreditierungskommission 2016 weitere Auflagen erteilt habe, die zu erfüllen seien. Das war falsch: Bei den genannten Punkten handelte sich um Empfehlungen. Die Auflagen waren bereits sämtlich erfüllt worden.

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