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Der Hauptausleger wird sich einmal 188 Meter in die Höhe richten.

© Kai-Uwe Heinrich

Riesen-Kran an U5-Baustelle: Der kriechende Kraftprotz

Für den Bau der Kanzler-U-Bahn wird am Schlossplatz ein monströser Raupenkran montiert. Ein Kraftprotz, wie man ihn nicht oft zu Gesicht bekommt. Kranaufbau hört sich dabei leicht an, ist aber eine ausgeklügelte Prozedur.

Sollte in einem Quartett für Raupenfahrzeuge auch eine Spielkarte mit dem LR 1600/2 auftauchen, ist ein Stichversuch über die maximale Geschwindigkeit nicht empfehlenswert: Nur 1,36 km/h sind drin, sogar eine Nasa-Riesenraupe, beladen mit einer Saturn-V-Mondrakete, würde den LR 1600/2 locker überholen. In den anderen Kategorien wäre der Monsterkran der Firma Liebherr aber eine sichere Bank: Maximalhöhe samt Hauptausleger und Wippspitze 188 Meter – das ist der Funkturm und noch mal rund 40 Meter drauf. Einsatzgewicht 700 Tonnen, Aufbauzeit eine Woche, nach 30 Transporten der Einzelteile. Maximaler Hub des Berliner Riesen: 128 Tonnen.

Ein Kraftprotz, wie man ihn auch in der Hauptstadt der Kräne nicht oft zu Gesicht bekommt, in diesem Wochen aber schon: Seit Montag wird auf der von Spree, Karl-Liebknecht-, Spandauer und Rathausstraße eingefassten Großbaustelle solch ein Raupenkran zusammengeschraubt, der einmal in die Höhe heben muss, was eigentlich in die Tiefe soll: LR 1600/2 wird im Sommer die ebenfalls kraftprotzige Schildvortriebsmaschine in einen 20 Meter tiefen Startschacht versenken, von dem aus sie sich bis zum Brandenburger Tor vorbohrt, für den Tunnel der U5. Dort wird sie mit einem anderen Kran aus dem Untergrund gehoben, zerlegt und zurücktransportiert, bevor das Ganze zum zweiten Mal beginnt. Auch der Kran am Tor hat Muskeln en masse, aber nicht solch einen imposanten Ausleger wie LR 1600/2. Den braucht man, um die über Wasser herangebrachten Teile des Mammutmaulwurfs aus dem Lastkahn zu bekommen.

Sehen Sie hier ein Video zum Kran:

Kranaufbau, das hört sich leicht an, ist aber eine ausgeklügelte Prozedur. Am Montag stand nur das Auslegen der Lastverteilerplatten auf der Stellfläche auf dem Programm, am Dienstag die Montage des Grundgeräts, die am Mittwoch abgeschlossen wurde, dazu wurde der Derrickausleger montiert, der sich hinter dem Hauptausleger befindet. Benannt ist der Ausleger nicht nach dem deutschen TV-Kommissar, sondern nach dem Henker Thomas Derrick, der um 1600 in Tyburn bei London wirkte und zur Erleichterung seines Handwerks offenbar einige nützliche Erfindungen machte. Am Freitag soll der Kran fertig sein.

Immer höher, immer stärker – der U-Bahn-Kran liegt zweifellos im Trend, der zu immer leistungsstärkeren Modellen geht. Und weniger werden es sowieso nicht, nicht in Berlin, wo man im Kranwesen schon so allerhand erlebt hat. Unvergessen das Ballett der Kräne, bei dem Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper, am 26. Oktober 1996 zu einem weißen und blauen Fähnchen griff, ersatzweise für den gewohnten Taktstock. 19 Kranführer wurden damit eingewiesen, zu Beethovens „Ode an die Freude“ als Tonkonserve schwenkten ihre Ausleger mal nach rechts, mal nach links, Höhepunkt des zweitägigen Richtfests auf dem Debis-Areal.

Langer Lulatsch. Der Hauptausleger wird sich einmal 188 Meter in die Höhe richten. Der hinter dem Fahrerhaus montierte Derrickausleger ist nach einem englischen, um 1600 tätigen Henker benannt.
Langer Lulatsch. Der Hauptausleger wird sich einmal 188 Meter in die Höhe richten. Der hinter dem Fahrerhaus montierte Derrickausleger ist nach einem englischen, um 1600 tätigen Henker benannt.

©  Kai-Uwe Heinrich

Knapp zwei Jahre später sah man dann sogar Berlins ältestes Schiff am Kranhaken durch die Luft schweben, einen 18 Tonnen schweren, 33 Meter langen „Kaffenkahn“ von 1840, der auf seinen endgültigen Liegeplatz im Neubau des Technikmuseums am Landwehrkanal in Kreuzberg gehoben wurde. Gleich vier Kräne kamen dabei zum Einsatz.

Noch sensibler war die kurze Luftreise des Alten Fritz, der im Herbst 1997 von seinem Stammboulevard Unter den Linden zwecks Restaurierung nach Tempelhof gebracht wurde – Ross und Reiter auf Anweisung der Denkmalpfleger in einem Container stehend transportiert. Da Seine Majestät zu ausladend für heutige Rohrbrücken war, musste man ihn gleich zweimal über solche Hindernisse hinwegheben.

Selbst einen Actionregisseur wie Guy Hamilton hat das Berliner Kranwesen fasziniert und zu einer sehenswerten Thrillerszene inspiriert. Viermal hat er James Bond in Szene gesetzt, 1966 aber zog es ihn in die geteilte Stadt an der Spree, um mit Michael Caine in der Hauptrolle den Agentenfilm „Funeral in Berlin“ zu drehen, unter Mitwirkung des 007-Produzenten Harry Saltzman und des im selben Genre erfahrenen Production Designers Ken Adam. Die Anfangsszene spielt an der Mauer: Auf der Ostseite verlegen Häftlinge Minen, im Westen arbeitet ein Kran, am Haken ein Betonkübel. Ein kurzer Schwenk des Auslegers, schon steht der Rieseneimer im Todesstreifen. Ein abgekartetes Spiel: Ein Häftling sprintet los, ein Sprung, dann ist er im Kübel, für einen Sekundenflug in den Westen. Im Eiseneimer können ihm die Salven der Grenzer nichts anhaben.

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