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Der Senat ordnet die meisten antisemitischen Fälle rechten Tätern zu. Laut RIAS zählt ein Hakenkreuz noch nicht als Beweis.

© Daniel Reinhardt/dpa

Rias-Studie zu Übergriffen in Berlin: Antisemitismus wird gewalttätiger

Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin ist deutlich auf mehr als 1000 gestiegen. Die Ausdrucksformen verrohen, die Zahl körperlicher Attacken nimmt zu.

Von Frank Jansen

Die Geschichten sind erschreckend. In Neukölln bedroht eine Gruppe einen Mann, der Plakate mit der Aufschrift „Israel bleibt Antifa“ bei sich hat. Die Angreifer bezeichnen Israel als „Ausbeuterstaat“, dann schlägt einer dem Opfer ins Gesicht. In Charlottenburg-Wilmersdorf reißen Unbekannte Israel-Fahnen aus Papier von einer Wohnungstür und zünden sie im Hof des Mietshauses an. In Mitte schreibt ein unbekannter Täter „Judensau“ an den Briefkasten eines Juden.

In Oberschöneweide werden in zwei Straßen Parolen wie „Jude verrecke“, „Jude raus“ und „Jude stirb“ geschmiert. In Grunewald pöbelt ein Passant eine Gruppe israelischer Touristen an, die sich das Mahnmal Gleis 17 anschaut. Von hier deportierte das NS-Regime mehr als 50.000 Juden in Konzentrationslager. Der Passant ruft den Israelis „Scheiß Juden“ zu. Die Reisegruppe verlässt das Mahnmal.

Das sind nur einige wenige Angriffe aus der Bilanz der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias)“ für das Jahr 2018. Es seien insgesamt 1083 antisemitische Vorfälle erfasst worden, sagte am Mittwoch Projektleiter Benjamin Steinitz, 14 Prozent mehr als 2017. Steinitz betonte, es gebe „eine zunehmende Bereitschaft, antisemitische Aussagen mit Gewaltandrohung zu verbinden oder auch Gewalt folgen zu lassen“. So stieg die Zahl der körperlichen Attacken von 18 im Jahr 2017 auf 46 und die Zahl der Bedrohungen von 26 auf 46. Rias registriere eine „Zunahme von verrohten Ausdrucksformen des Antisemitismus in Berlin“, sagte Steinitz.

Von den antisemitischen Vorfällen insgesamt waren 368 Menschen betroffen - 73 Prozent mehr, als Rias 2017 gemeldet hatte. Mehr als die Hälfte sind Juden, doch auch viele Männer und Frauen, die sich gegen Antisemitismus engagieren, waren Zielscheibe des Hasses. Auch durch Mobbing im Internet.

Die meisten Vorfälle, insgesamt 146, ereigneten sich in Mitte. Es folgen Charlottenburg-Wilmersdorf (80), Friedrichshain-Kreuzberg (65) und Neukölln (56). Am wenigsten belastet war Reinickendorf (6). RIAS nennt zudem 578 antisemitische Online-Vorfälle. Eines der Opfer war Yorai Feinberg, der in Schöneberg ein Restaurant betreibt. Bei ihm gingen zahlreiche Hassmails ein, auch kombiniert mit Exekutionsvideos. Eine wütende Reaktion auf Feinbergs Mut, im Dezember 2017 mit einem Video öffentlich zu machen, wie ihn ein Judenhasser vor dem Lokal beschimpft.

Landeskonzept zur Antisemitismus-Prävention

Die vom Senat initiierte und 2014 gegründete Recherchestelle hat höhere Zahlen als die Sicherheitsbehörden und gewichtet sie auch anders. Für 2018 meldete Berlins Polizei 324 politisch motivierte Delikte mit antisemitischer Motivation. Die meisten Fälle - 253 - werden rechten Tätern zugeordnet.

Rias hingegen sagt, nur 18 Prozent der von ihr registrierten Fälle seien eindeutig rechtsextrem motiviert, weitere fünf Prozent „rechtspopulistisch“. Und bei fast der Hälfte aller Fälle, 49 Prozent, sei das Motiv unbekannt. Ein geschmiertes Hakenkreuz sei noch kein Beweis für eine rechtsextreme Motivation, sagt Projektleiter Steinitz. Das Nazisymbol könne auch eine Provokation von Tätern mit anderem politischen Hintergrund sein.

Dass die Zahlen der Polizei bundesweit nur bedingt antisemitische Kriminalität abbilden, ist auch der neuen Studie des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu „Antisemitismus im Islamismus“ zu entnehmen. Der Nachrichtendienst hat 2017 mehr als 100 judenfeindliche „Vorkommnisse“ mit islamistischem Hintergrund festgestellt. Die Polizei meldete für 2017 lediglich 30 antisemitische Straftaten mit einem Motiv, das „religiösen Ideologien“ zugerechnet wird, also weitgehend dem islamistischen Spektrum.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) dankte am Mittwoch Rias dafür, das „Dunkelfeld antisemitischer Realität in unserer Stadt“ aufzuhellen. Die Zahlen zeigten, das Antisemitismusproblem sei gewachsen und habe sich in der Gesellschaft verfestigt. Deshalb habe sich der Senat auf ein „Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismus-Prävention“ verständigt.

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