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Berlin: Rettung vor dem Absturz

Seit 25 Jahren nimmt die AWO Frauen in ihren Übergangswohnungen auf So wird ihnen geholfen, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen

Viel mitgebracht hat Jana Schwarz (Name geändert) nicht in ihr neues Zuhause, es ist ja auch nur für den Übergang. Eine kleine Reisetasche mit Klamotten, ein paar Erinnerungen. Sie haben einen Platz auf dem kleinen Tisch und dem Regal in ihrem kargen, doch freundlich wirkenden Zimmer gefunden. Die Tür hat die 32-Jährige mit einem „Bitte nicht stören“-Schild versehen, damit die drei Mitbewohnerinnen ihre Privatsphäre tolerieren. Im Dezember war die 32-Jährige von ihrer Ex-Freundin aus der Wohnung geschmissen worden, Jana Schwarz stand nicht im Mietvertrag. Geld besaß sie keines, finanziell und seelisch war sie von ihrer Freundin abhängig gewesen. Nach einer Woche Unterschlupf in einer eiskalten Gartenlaube wandte sie sich an die Sozialarbeiterinnen des Projekts „FrauenWohnen Berlin“ – und wurde so vor dem Leben als Obdachlose bewahrt.

Die Einrichtung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) feiert an diesem Mittwoch ihr 25-jähriges Bestehen. Die von ihr betreuten Frauen kommen aus Notunterkünften, Gefängnissen, geräumten Wohnungen, Frauenhäusern, Beratungsstellen für Migrantinnen, von der Straße, oder die Kirchen schicken sie. 90 Frauen waren es 2010 in den Wohnungen der AWO. Die 1986 gegründete Einrichtung hat inzwischen einen festen Platz im Berliner System der Hilfe für Wohnungslose. „Viele Frauen kommen aus Lebensumständen, die von Gewalt geprägt sind“, sagt die Sozialarbeiterin Sonja Anselm. Manche hätten lange geschwiegen, weil sie es alleine schaffen wollten. „Die Geschichten der Frauen sind komplex. Bei vielen haben sich verschiedene Probleme überlappt“, ergänzt Birgit Münchow. Zusammen mit Sonja Anselm und fünf weiteren Kolleginnen betreut sie die Hilfe suchenden Frauen, vermittelt Zimmer in einer der 13 betreuten Wohnungen und drei Wohngemeinschaften im Wedding. Alle sind voll eingerichtet mit Küche und Bad. Jede Frau verfügt über ein Zimmer. Doch sind die Wohnungen nur für den Übergang – eine Zeit, in der die betroffenen Frauen sich eine eigene Wohnung suchen und versuchen können, ihr Leben zu ordnen.

Hilfe zur Selbsthilfe – darum geht es den Betreuerinnen des Projekts. So werden finanzielle und rechtliche Probleme besprochen, und es wird bei der beruflichen Orientierung geholfen. „Die Frauen sollen lernen, wieder eigenständig zu leben“, sagt Anselm. Viele der alleinerziehenden Mütter müssten nach beruflichen Auszeiten erst mal wieder Fuß fassen, seien gesundheitlich angeschlagen. „Klar gibt es Rückschläge, doch in dieser Zeit erarbeiten sie sich in kleinen Schritten wieder Boden unter den Füßen.“

So wie Jana Schwarz: Sie sitzt auf der senfgelben Couch im Wohnzimmer. Ein neues Zuhause sei die WG nicht, aber ein Ort der Sicherheit, sagt sie. Es sei wichtig zu wissen, dass es einen Ort gebe, an den man zurückkommen könne. „Diese Zeit hier bringt mir mein Selbstbewusstsein zurück und das Wissen, dass ich es schaffen kann.“ Auch Jessica Braun (Name geändert) hat bei der AWO Hilfe gefunden. 2010 war die Wohnung der alleinerziehenden Mutter zweier Kinder wegen Eigenbedarfs gekündigt worden. Die 39-Jährige hatte Schulden, fand weder einen Job noch eine neue Wohnung. Weitere Rückschläge, wachsendes Schamgefühl und zu viel Alkohol zogen sie immer tiefer herunter. „Ich wollte meine Kinder ins Heim geben und dachte, ich gehe auf die Straße“, sagt die 39-Jährige. Ihre 14-jährige Tochter habe sie dazu bewegt sich Hilfe zu holen. Bei der AWO habe sie sich zum ersten Mal offenbart, Vertrauen gefasst – und mit dem Trinken aufgehört.

„Die Mieten steigen und davon sind besonders Frauen betroffen, die sich in ihrer prekären Situation nur bestimmte Wohnungen leisten können“, sagt Birgit Münchow. Die Zahl der Wohnungsnotfälle in Berlin wachse, preiswerte Wohnungen, deren Mieten innerhalb der Richtwerte der Jobcenter lägen, fänden sich immer weniger. „Und für sanierungsbedürftige Wohnungen gibt es keine Zuschüsse“ sagt die Sozialarbeiterin. Hinzu komme, dass die Frauen aus zentral gelegenen Bezirken in die weniger gefragten Randbezirke gedrängt würden, wo sie mit weiteren Problemen konfrontiert seien. „Dadurch verschärft sich einerseits die soziale Spaltung der Stadt. Andererseits verlieren die Frauen ihre sozialen Kontakte und sind mit zig Behördengängen konfrontiert.“ Erfahrungsgemäß werde auch weniger gern an Frauen mit mehreren Kindern vermietet – vor allem, wenn sie einen ausländischen Namen trügen. „Und wenn sie dann noch Schulden haben, wird es sehr schwierig“, ergänzt Sonja Anselm.

Jessica Braun hatte Glück. „Ich habe über die AWO eine soziale Vermieterin gefunden, die meine Miete noch etwas reduziert hat, so dass das Jobcenter sie übernimmt“, sagt die 39-Jährige. Gerade mache sie eine Weiterbildung zur Rettungssanitäterin. Sie ist zuversichtlich. Sie habe einen Schubs gebraucht, um aus dem Tief herauszukommen. Der Anfang sei gemacht. Hadija Haruna

Das AWO-Projekt sucht weiteren Wohnraum, um ihn Frauen mit und ohne Kinder vorübergehend per Untermietvertrag zur Verfügung zu stellen. Gesucht werden drei 1- bis 2-Zimmer-Wohnungen, ebenso eine WG-taugliche 3- bis 4-Zimmer-Wohnung. Angebote bitte an Tel. 45798060.

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