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Innensenator Frank Henkel (CDU) soll am Mittwoch auf Wunsch der Grünen erklären, warum Berliner Rechtsextreme ungestört Feindeslisten veröffentlichen.

© dapd

Rechtsextremismus: Justiz und Polizei sind gegen Neonazis im Netz hilflos

Rechtsextreme aus Berlin verbreiten Listen mit politischen Gegnern. Die Behörden sehen kaum Chancen, die Täter zu belangen - obwohl die nicht völlig unbekannt sein dürften.

Die Bedrohung von Politikern, Linken und Journalisten durch Neonazis im Internet wird Thema im Abgeordnetenhaus. An diesem Mittwoch soll im Verfassungsschutzausschuss über die in einschlägigen Kreisen bekannte Neonaziseite gesprochen werden, auf der hundert Personen, meist Berliner, als „Feinde“ geführt werden – unter ihnen auch Tagesspiegel-Reporter Frank Jansen. Die Grünen wollen von Innensenator Frank Henkel (CDU) wissen, weshalb er den Druck auf die Betreiber der Seite nicht erhöhe. Dutzende Berliner hatten erfolglos Anzeige wegen der auf den Seiten verbreiteten Drohungen erstattet.

Wie berichtet hatten Betroffene später Post vom polizeilichen Staatsschutz bekommen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass Neonazis sie als Gegner führen, aber „keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung“ vorlägen. Der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) zufolge „eine fatale Fehleinschätzung“. So waren bei einem betroffenen Gewerkschafter Morddrohungen vor die Wohnungstür geschmiert worden. Nach Tagesspiegel-Informationen hatte der Mann zuvor darauf geachtet, dass seine Anschrift von Ämtern nicht herausgegeben wird. Die Täter hatten sich offenbar Mühe beim Aufspüren gegeben.

Ein anderer Mann war 2010 während eines Fußballspiels angegriffen worden. Die Täter hatten ihn während der Partie beobachtet. Als sich dessen Freunde entfernten, schlugen die Angreifer zu, die sich als Rechtsextreme zu erkennen gaben. Auch er bekam das Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt. Darin heißt es: Allein „durch die Thematisierung Ihrer Person auf der fraglichen Liste“ ergebe sich keine Gefahr.

Die Grünen sind empört. „Denn die Polizei ist schnell, wenn mutmaßliche Linke ins Visier geraten“, sagte Clara Herrmann, Rechtsextremismus-Expertin der Partei, mit Blick auf die Razzia gegen einen Berliner Fotografen. Im Dezember hatten Polizisten dessen Fingerabdrücke genommen und seinen Computer beschlagnahmt, weil er einen bekannten Neonazi bei einer Kundgebung fotografiert haben soll. Das Bild war im Internet zugänglich und landete später auf einer linken Seite. Die Polizei geht von einem Verstoß gegen das Kunsturheberrechtsgesetz aus: Das Recht des Neonazis auf das eigene Bild könnte verletzt worden sein. „Henkel muss liefern, wenn er es mit der Verfolgung rechtsextremer Täter ernst meint“, sagte die Grüne Herrmann.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus sprach von mangelndem Schutz engagierter Bürger durch die Polizei. Es müsse zu ermitteln sein, wer Fotos von Berliner Nazigegnern macht, die im Internet zu sehen sind. In Justizkreisen hieß es, Einzelpersonen konkret nachzuweisen, für den Seiteninhalt verantwortlich zu sein, sei schwierig. Bekannt sei aber, dass etwa 15 Personen dem Netzwerk um die Seite zuzurechnen seien. Sie gehörten zum Spektrum militanter Kameradschafter, sogenannter Autonomer Nationalisten. Laut Innenverwaltung seien die Betreiber der Internetseite nicht zu identifizieren, da der dazugehörige Server in den USA stehe.

Die seit 2005 bestehende Seite ist 2011 durch die Bundesprüfstelle indiziert worden und hatte ihre „Feindeslisten“ auf eine andere Website verlagert. Der Justizverwaltung zufolge handelt es sich um „die zentrale Internetplattform des aktionsorientierten Rechtsextremismus“ in Berlin. Das Bundesjustizministerium erklärte, die Meinungsfreiheit werde in den USA weiter gefasst als hierzulande. Erst wenn ein konkreter Zusammenhang zwischen der Seite und daraus folgenden Straftaten nachgewiesen sei, mache ein Rechtshilfeersuchen an die US-Behörden Sinn.

Auf der Seite selbst wird eine schwedische Firma als Kontakt genannt. Auf deren Internetseite heißt es: Man sei „ein Zusammenschluss von Nationalisten, um Kameraden in ganz Europa bei ihrer Vernetzung“ zu helfen. Erst vor einer Woche hatte es einen rassistisch motivierten Angriff in Prenzlauer Berg gegeben. Ein Marokkaner war von drei Männern beschimpft und zusammengeschlagen worden. Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte, sie hoffe, dass die Täter schnell gefasst werden.

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