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Holger Kelch (CDU), Oberbürgermeister von Cottbus, empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Stadthaus.

© Bernd Settnik/dpa

Rechtsextremismus in Brandenburg: Cottbus kämpft gegen die Rechten

Der Zulauf zu rechten Protesten in Cottbus ist groß, die Ereignisse der letzten Zeit beschäftigen auch den Bundespräsidenten. Besuch in einer aufgewühlten Stadt

Reinhard Drogla wartet. Er hat gerade Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier begrüßt, später spricht er mit ihm. Am Handgelenk ein buntes Perlenarmband, das Gesicht faltig, aber jugendlich, wohlgebräunt, drahtig, Typ Triathlon. Drogla, 68, ist Chef des Piccolo Kinder- und Jugend-Theaters, SPD-Mitglied und Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung in Cottbus, der mit mehr als 100.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt in Brandenburg.

In dem alten Cottbusser Stadthaus, ein Backsteinbau gegenüber, dort wo Drogla sonst die Sitzungen der Stadtverordneten leitet, ist jetzt der Bundespräsident. Er wolle jene ermutigen, die sich dafür einsetzen, dass "man in dieser Stadt gut zusammenleben kann", sagt Steinmeier kurz, als er aus seiner Limousine steigt.

Reinhard Drogla engagiert sich in Cottbus für eine bessere Kommunikation mit den Bürgern und gegen Rechtsextremismus.
Reinhard Drogla engagiert sich in Cottbus für eine bessere Kommunikation mit den Bürgern und gegen Rechtsextremismus.

© Alexander Fröhlich

Er spricht hinter verschlossenen Türen mit Bürgern der Stadt, Vertretern von Vereinen, Kirchen, Kultur. So wie im Februar im Schloss Bellevue. Steinmeier sagte damals und wiederholt es nun, man müsse die Sorgen und Ängste ernst nehmen. Zuhören und miteinander reden.

Durch die Straßen hallte "Merkel muss weg"

Denn in Cottbus war die Stimmung gekippt. Nach Attacken von Flüchtlingen auf Deutsche. Dann gab es Demonstrationen des rechten Vereins "Zukunft Heimat", der Zulauf war groß. Durch die Straßen halte es "Widerstand" und "Merkel muss weg". "80 Prozent der Teilnehmer waren nicht von hier", sagt Drogla über die Demonstranten. Er weiß von den Bussen, von den Nummernschildern an den Autos der Teilnehmer demonstrieren.

Für die Sicherheitsbehörden ist klar: Cottbus soll als neues Dresden etabliert werden, als Zwischenstation, um den Volkszorn nach Berlin zu tragen. Pegida machte mit, rechte Netzwerke waren da, die örtlichen Neonazis sowieso. Der Verfassungsschutz prüft Verbindungen von "Zukunft Heimat" zu Rechtsextremisten.

Anfang Februar 2018, eine Demo gegen Flüchtlingen in Cottbus
Anfang Februar 2018, eine Demo gegen Flüchtlingen in Cottbus

© Hannibal Hanschke/ Reuters

Mit der Lage in Cottbus befasste sich auch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ). Weil das völkische Netzwerk "Ein Prozent" bundesweit zur Teilnahme an den Demos aufgerufen hat, weil es politisch motivierte Straftaten dabei gab und wegen der Rechtsextremisten. So steht es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Die Aktionen von "Zukunft Heimat" und "Ein Prozent" könnten der "Verbreitung fremdenfeindlichen Gedankenguts Vorschub leisten" und eine "Scharnierfunktion" zwischen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Gruppen erfüllen.

Ein "Kontrapunkt" zur etablierten Politik

Die Grünen sprechen von einer neuen "Volksfront von rechts". Die zeigt sich in der Innenstadt. Vor einer Woche sind dort zwei Läden eröffnet worden, gleich nebeneinander. Ein Bürgerbüro von der AfD und daneben ein Infoladen, ein "Bürgertreffpunkt", finanziert und unterstützt von "Zukunft Heimat", "Ein Prozent" und Privatleuten. Cottbus solle ein "Kontrapunkt" zur etablierten Politik werden, nach Dresden eine "Hochburg patriotischen Widerstands". Auch bekannte Rechtsextreme wurde bei der Eröffnung gesichtet. Die Grenzen verschwimmen.

Schon vor einem Jahr wurde Steinmeier gefragt, ob er an diesem Tag nach Cottbus kommt. Weil das Regierungskonzept "Tolerantes Brandenburg" 20 Jahre alt wird. Er wolle jenen danken, die den Mut gehabt haben, für die Demokratie einzustehen, sagt Steinmeier.

Das Konzept stammt aus einer Zeit, als der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) Ende der 1990er Jahre erkannt hat, dass rechte Schläger doch nicht nur einfach verirrte Jugendliche sind, die den Umbruch der Wende, die Arbeitslosigkeit der Eltern nicht verkraftet haben. Sondern, dass es Neonazis waren, hasserfüllt, gewaltbereit, auch mörderisch. 18 Menschen kamen nach offiziellen Zahlen durch rechte Gewalt in Brandenburg seit 1990 ums Leben.

Der Konsens über eine intakte Demokratie ist brüchig geworden

Die Idee des Konzepts: Eine Polizei, die repressiv gegen Rechtsextreme vorgeht, ihre Konzerte unterbindet, sie im Blick behält. Und ein Beraternetzwerk, das Bürgermeister, Schulen, Vereine, Feuerwehren in den Weiten des Landes informiert und unterstützt – auch dabei, wie Demokratie geht, wie man Gefahren von rechts als solche benennt.

Doch dieser Grundkonsens ist brüchig geworden. Im Regierungsbericht zu 20 Jahre "Tolerantes Brandenburg" wird diagnostiziert, die "sich heute wieder offenbarende gesellschaftliche Akzeptanz fremdenfeindlicher und rassistischer Vorurteile" lasse "bedenkliche Parallelen zur gesellschaftlichen Atmosphäre im Land Brandenburg der 1990er Jahre erkennen".

Teile der Bevölkerung würden "in hohem Maße die Lösungsfähigkeit von Politik und Staat" in Frage stellen, das würde "die gemeinsame Aushandlung von politischen Entscheidungen" sogar verunmöglichen. Staat und Politik drohten an der teils hohen Erwartungshaltung "gerade in der aufgeheizten Situation zu scheitern".

Was also tun? Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) will Steinmeier zeigen, wie Cottbus wirklich sei: "Ehrlich, offen, gastfreundlich." Cottbus sei doch nur wie andere Städte auch, die ohne die Unterstützung des Bundes "nicht das bewältigen können, was uns gebracht worden ist, nämlich die Integration von Flüchtlingen".

Ku-Klux-Klan-Mützen in der Innenstadt

Zuletzt hat sich die Lage in Cottbus auch dank massiver Polizeipräsenz beruhigt. Das Innenministerium lässt vorerst keine neuen Flüchtlinge mehr nach Cottbus. Im Stadtzentrum soll ein neues Sicherheitszentrum, eine Art mobile Wache, aufgebaut werden. Doch dann, vor knapp zwei Wochen gab es wieder Gewalt, zwei Gruppen von Tschetschenen und Afghanen gingen aufeinander los, es gab Verletzte.

Und bei den Feiern von Fußballfans zum Aufstieg des FC Energie Energie Cottbus in die dritte Liga Ende Mai zeigten mutmaßliche Rechtsextremisten mit Mützen und Symbolen des rassistischen Ku-Klux-Klan. Mitten in der Innenstadt. Mehrere Polizisten hatten dies beobachtet – und taten nichts.

Cottbus, eine Stadt wie andere? Reinhard Drogla, der Chef des Stadtparlaments sagt, bei den Wahlen im nächsten Jahr, wenn die Brandenburger im Frühjahr über die Kommunalparlamente, das EU-Parlament, im Herbst den neuen Landtag wählen, könnte es ernst werden. "Die Leute haben das Vertrauen in die Politik verloren." Schon bei der Bundestagswahl war die AfD hier in Cottbus, in der Lausitz, zweitstärkste Kraft. In den aktuellen Umfragen ist sie dort die Nummer eins.

In Cottbus kommen viele Dinge zusammen. Unzufriedenheit fällt auf einen rechten Bodensatz, der fruchtbarer ist als anderswo in Brandenburg. Denn Cottbus ist der Hotspot der rechtsextremen Szene im Land. Drogla sagt, die Menschen hätten Angst, abgehängt zu werden. Dabei gehe es Cottbus "relativ gut". Kaum leere Wohnungen, es wird neu gebaut.

Die Bürger wollen gehört werden

Leicht wird das nicht mit den Flüchtlingen. Das weiß Drogla. "Cottbus badet das genauso aus wie andere." Merkel hätte nicht sagen sollen, "wir schaffen das". "Der Bund hätte sagen müssen, wie man was wann schafft." Auch mit Geld. Und natürlich gebe es, lange ein Tabu, eine Obergrenze. Die sei erreicht, "wenn das System versagt", wenn es nicht genügend Platz in Kitas und Schulen gebe, wenn Wohnungen fehlten.

In Cottbus habe das System nicht versagt, sagt Drogla, aber es sei kurz davor gewesen. Ende Mai verkündete das Innenministerium in Cottbus, es stelle der Stadt 72 Containermodule bereit, um "dringend benötigten Raum für Schulen und Kitas zu schaffen". Ein neues Grundschulzentrum ist in Planung. Und die Rechten? Seit April gibt es kaum noch Demos. Es sei etwas ruhiger geworden, sagt Drogla. Vielleicht auch, weil mehr geredet wird in Cottbus.

Oberbürgermeister Kelch und Drogla machen seit Mitte Mai Stadtteilgespräche, fünf waren es schon, am Dienstag gibt es den vorerst letzte Termin in Sachsendorf. Bei den Dialogen sei die Stimmung weniger angespannt, sagt Drogla. Vielleicht, weil niemand anonym bleibt. Wer diskutieren will, muss sich stellen. "Das wertvollste daran ist, dass wir mit Gerüchten aufräumen können", sagt Drogla. Es könne vermittelt werden, dass Cottbus es gut gemeistert hat, als 2015 die Flüchtlinge kamen.

Oft gehe es auch nur um banale Themen, um fehlende Mülleimer, Schäden nach dem Stadtfest, die verdorrten Grünflächen. Die Menschen hätten oft das Gefühl, sagt Drogla, in ihrem Alltag nicht so viel Aufmerksamkeit zu bekommen wie die Flüchtlinge. Auch sie wollen gehört werden, ihre Sorgen äußern dürfen. Und irgendwie soll das auch weitergehen, regelmäßig. Das könnte helfen gegen den Verdruss, ein neues Format. Drogla sagt: "Ich wünsche mir eine belebte Demokratie."

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