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Am 01.02.2018 brennt das Auto von Linken-Politiker Ferat Kocak in Berlin-Neukölln.

© Ferat Kocak/Die Linke Berlin/dpa

Rechtsextremismus in Berlin: Bericht zu Neuköllner Anschlagsserie bleibt geheim

Die Soko Fokus hat ihren Bericht vorgelegt, Innensenator Geisel stuft ihn als Verschlusssache ein. Die Linksfraktion ist unzufrieden und warnt vor den Folgen.

Zur rechtsextremen Anschlagsserie von Berlin-Neukölln liegt jetzt ein Zwischenbericht der Soko „Fokus“ vor. Die auf Weisung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) im Mai 2019 eingerichtete Ermittlergruppe sollte die bisherigen Ermittlungen prüfen und bislang nicht erkannte, mögliche Zusammenhänge zwischen den seit Jahren anhaltenden Anschlägen gegen Politiker und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, erkennen.

Am Mittwoch hat Geisel den Zwischenbericht an das Abgeordnetenhaus weitergeleitet, am Montag will der Innensenator die Ergebnisse in groben Zügen vorstellen. Veröffentlicht wird der Bericht aber vorerst nicht.

Die Abgeordneten können die Akten seit Donnerstag, fünf Tage vor der entscheidenden Sitzung des Innenausschusses, einsehen. Das sei zu kurzfristig, sagte der Innenexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader. Zumal am Freitag auch noch der Amri-Untersuchungsausschuss tagt. Der Bericht ist als Verschlusssache „VS-Vertraulich“ eingestuft. Von vier Geheimhaltungsgraden ist es der zweitniedrigste.

Es handelt sich aber nur um einen Zwischenbericht. Die Soko „Fokus" hat ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen, weitere Daten sollen ausgewertet werden. Schrader sagte, er sei höchst unzufrieden mit den Abläufen.

Der größte Teil des Berichts werde vom Innenausschuss nur im Geheimschutzraum und ohne Protokoll besprochen – und es werde wohl eine öffentliche Zusammenfassung geben.

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Schrader sprach von einer Aufklärung hinter verschlossenen Türen. Das reiche aber nicht aus, um die Sorgen der von der Anschlagsserie betroffenen Neuköllner zu entkräften. Es müsste der Berliner Polizei und der Senatsinnenverwaltung daran gelegen sein, mehr aufzuklären.

Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen

Ursprünglich sollte der Bericht bis Ende 2019 fertiggestellt sein, dann wurde der Abschluss auf Ende Januar 2020 verschoben. Abgeschlossen sind die Ermittlungen der Soko „Fokus" noch nicht. Über ein Ergebnis waren aber mögliche Opfer rechtsextremer Anschläge bereits seit Ende Dezember informiert worden.

Der Polizei war es gelungen, eine Feindesliste zu entschlüsseln, die Anfang 2018 bei einer Durchsuchung auf einem Rechner des Hauptverdächtigen gefunden worden war. Sie konnte mit Hilfe einer externen Firma erst jetzt decodiert werden.

Demnach hat der frühere NPD-Mann Sebastian T. auf der Liste bis zum Jahr 2013 „fast 30 potenziell gefährdete Personen“ geführt. Alle Personen wurden von der Polizei informiert, darunter die Abgeordnete Anne Helm (Linke), aber auch Journalisten und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Es soll aber weitere Datensätze geben, die verschlüsselt sind. Die Ermittler arbeiten daran, die Zugangssperre zu knacken.

Geisels Sprecher wertete die Entschlüsselung als Erfolg der Soko „Fokus": „Diese hatte ja genau die Aufgabe, nach hinten zu gucken und lose Enden zusammenzuführen.“ Die Ermittler sichteten alte Beweisstücke und versuchten, Zusammenhänge zu finden.

Mit der Sonderkommission hatten Polizei und Innenverwaltung auf die anhaltenden Misserfolge und Pannen bei der Aufklärung der Anschlagsserie reagiert. Doch auch die Soko „Fokus" hat bislang nicht den Durchbruch gebracht. Zwar halten die Ermittler Sebastian T. und ein früheres Mitglied des AfD-Kreisvorstands Neukölln für die Täter. Doch bislang reichten die Erkenntnisse nicht einmal für einen Haftbefehl aus.

Mehr Polizisten fallen durch rechte Umtriebe auf

Geisel ließ auch prüfen, ob die Ermittlungen zur Anschlagsserie möglicherweise durch Beamte mit Kontakten zur Neonazi-Szene behindert worden sein könnten. Ebenso, ob rechtsextreme Strukturen bestehen. Bislang konnten solche Strukturen jedoch nicht festgestellt werden, wie der Tagesspiegel erfuhr. Nach genauerer Prüfung seien aber weitere Vorfälle erkannt worden, mehr Beamte seien durch rechte Umtriebe aufgefallen. Bislang hatten Polizei und Innenverwaltung kommuniziert, die Zahl solcher Fälle könne an einer Hand abgezählt werden.

Nun zeigt sich: Allein im vergangenen Jahr sind gegen Berliner Polizisten 17 interne Disziplinarverfahren wegen möglicher rechtsmotivierter Taten eingeleitet worden. In diesen Fällen könne „eine rechtsgerichtete oder rechtsextremistische Gesinnung oder Motivation bei Tatbegehung eine Rolle gespielt haben“. 

Seit 2010 kommt es in Neukölln immer wieder zu Anschlägen – auf Autos, auf Cafés, auf Wohnungen und auf Buchhandlungen. Allein seit 2016 wurden in Neukölln mehr als 50 rechtsmotivierte Anschläge verübt, darunter 16 Brandanschläge. Im März 2019 wurden Morddrohungen gegen namentlich benannte Bürger an Wände gesprüht. Opfer waren Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) hat es bislang abgelehnt, die Fälle als Rechtsterrorismus einzustufen, hat die rechtsextreme Anschlagsserie aber zumindest zum „Gegenstand eines Beobachtungsvorgangs“ erklärt. Derzeit laufen zu den Anschlägen mehr als 60 Ermittlungsverfahren, darunter 14 Brandstiftungen, 35 Sachbeschädigungen samt Beleidigungen und Bedrohungen und 14 Diebstähle. Die meisten Taten wurden zwischen Ende 2016 und Mitte 2017 begangen.

LKA-Führung räumte Ende 2019 Fehler ein

Die LKA-Führung hatte Ende 2019 darauf hingewiesen, dass es nach Hausdurchsuchungen bei den Verdächtigen zu keinen weiteren Brandstiftungen gekommen sei – wohl aber zu weiteren Bedrohungen. LKA-Vize Oliver Stepien sprach von aufwendigen Ermittlungen.

Grund sei die hohe Zahl der Geschädigten und das „hochkonspirative“ Verhalten der Täter. Zugleich räumte die LKA-Führung Ende 2019 Fehler im Neukölln-Komplex ein, konkret beim Brandanschlag auf das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak am 1. Februar 2018.  Bei den Betroffenen und Bürgern, die sich in Neukölln gegen Rechtsextremismus engagieren, schwindet wegen der ausbleibenden Ermittlungserfolge das Vertrauen in die Polizei.

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