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Am 1. Februar 2018 ist das Auto von Linken-Politiker Ferat Kocak in Brand gesetzt worden.

© Ferat Kocak/Die Linke Berlin/dpa

Rechtsextreme Anschläge in Neukölln: Soko „Fokus“ soll Ermittlungen vorantreiben

Die rechtsextreme Anschlagsserie in Neukölln ist noch nicht aufgeklärt. Jetzt gibt es eine neue Ermittlergruppe.

Die Polizei erhöht den Druck bei der Aufklärung der mutmaßlich rechtsextremistischen Anschlagsserie in Neukölln. Ende voriger Woche ist eine Sondereinheit ins Leben gerufen worden, die die bislang erfolglosen Ermittlungen vorantreiben soll. Das bestätigte jetzt ein Sprecher der Polizei. Es handelt sich um eine sogenannte „Besondere Aufbauorganisation“. Die Ermittlergruppe „Fokus“ aus insgesamt 30 Beamten soll mögliche, bislang nicht erkannte Zusammenhänge zwischen den seit Jahren anhaltenden Anschlägen gegen Politiker und Bürger, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, erkennen und zusammenführen.

"Unabhängige Ermittler" sollen helfen

In der neuen Einheit sind Ermittler mehrerer Abteilungen des Landeskriminalamtes (LKA) zusammengezogen worden. Neben Staatsschutzbeamten des LKA5 sind auch Beamte des LKA1 beteiligt. Diese Abteilung „Delikte am Menschen“ umfasst etwa die Mordkommissionen und die Brandermittler.

Zunächst hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) in einem Interview vom Wochenende mit dem „Neuen Deutschland“ die Gründung der neuen Einheit publik gemacht. Er habe entschieden, so Geisel, dass „unabhängige Ermittler“ alle Akten und bisherigen Ergebnisse prüfen, „um mögliche lose Enden miteinander verknüpfen zu können“. Doch unabhängige Ermittler sind es nicht. Wie ein Sprecher der Polizei sagt, seien Polizei und Innenverwaltung schon seit einiger Zeit über die Bildung und Ausstattung einer gesonderten Einheit im Gespräch gewesen, um die bislang stockenden Ermittlungen voranzutreiben. Am Ende habe sicherlich die Innenverwaltung entschieden.

Mit der neuen Ermittlergruppe reagieren Polizei und Innenverwaltung auf die anhaltenden Misserfolge und Pannen bei der Aufklärung der Anschlagsserie. Geisel selbst sagte, dies sei keine Misstrauenserklärung für die bislang damit befassten Beamten im Landeskriminalamt oder im Verfassungsschutz. Vielmehr gehe es darum, die alten Fälle „mit neuen Augen“ anzuschauen und ein Gesamtbild zu den rechten Vorfällen zu erstellen.

Weiteren Pannen vorbeugen

Bereits Mitte April war auf Geisels Weisung hin das gemeinsame Informations- und Bewertungszentrum „Rechtsextremismus“ (GIBZ) von Polizei und Verfassungsschutz gegründet worden. Anlass war eine Informationspanne zwischen der Polizei und dem Nachrichtendienst. Der Brandanschlag auf das Auto des Linken-Politikers Ferat Kocak im Februar 2018 hätte verhindert werden können. Der Verfassungsschutz hatte vorab durch Abhörmaßnahmen von den Anschlagsplänen erfahren, die der Neonazi Sebastian T. geschmiedet haben soll. Der Verfassungsschutz leitete die Informationen auch weiter. Wie es dann weiterging, darüber kursieren unterschiedliche Versionen.

Innensenator Geisel sagte dazu nun, der Nachrichtendienst habe die Informationen zu den Anschlagsplänen zwar an die Polizei weitergereicht, jedoch nicht in der geeigneten Form. Daher gelte jetzt auch beim Berliner Verfassungsschutz: „Der Schutz von Gesundheit und Leben steht über dem Schutz der Information.“

Nach einer anderen Version hatten die Nachrichtendienstler bei den Abhörmaßnahmen lediglich erfahren, dass der Brandanschlag auf einen roten Smart eines Linke-Aktivisten geplant sei. Bei der Polizei sei es dann zu der Panne gekommen: Die habe es nicht geschafft, anhand der Daten von in Berlin zugelassenen Pkw zu prüfen, ob unter den Haltern ein Bürger oder Politiker ist, der sich in Neukölln gegen Rechtsextremismus engagiert.

Deshalb wurden keine Maßnahmen unternommen, um Kocak und dessen Familie zu schützen. Die Ermittlungen, auf welches Auto die beiden Tatverdächtigen einen Anschlag verüben wollten und wem das im abgehörten Gespräche genannte Fahrzeug zugeordnet werden könnte, dauerten zu lange. Das potenzielle Opfer konnte anhand der Angaben nicht rechtzeitig ermittelt werden.

Polizei und Verfassungsschutz im Widerstreit

Zudem hatte es einige weitere Querelen zwischen Polizei und Verfassungsschutz gegeben. Der Nachrichtendienst hatte bei einer Observation festgestellt, dass sich der Hauptverdächtige der Anschlagsserie, Sebastian T., mit einen Observationsbeamten des LKA im März 2018 in einer Kneipe in Rudow getroffen habe. Beide sollen dann auch im Wagen des LKA-Beamten weggefahren sein.

Doch die Staatsanwaltschaft entschied, dass sich der Verdacht trotz umfangreicher interner Ermittlungen nicht erhärten lasse. Nicht einmal Durchsuchungsbeschlüsse ließen sich durchsetzen – weil sich der Verdacht nicht belegen ließ. Auch dieser Fall sorgte intern für Verwunderung. Denn die halboffizielle Sprachregelung der Polizei lautet: Möglicherweise habe sich der Verfassungsschutz bei der Observierung getäuscht. Und es sei offenbar gar nicht Sebastian T. gewesen, mit dem sich der Beamte getroffen hat – der obendrein nie mit den Neuköllner Fällen befasst gewesen sei.

Im Visier der Behörden sind der frühere NPD-Mann Sebastian T. und ein früheres Mitglied des AfD-Kreisvorstands. Seit 2010 kommt es in Neukölln immer wieder zu Anschlägen – auf Autos, auf Cafés, auf Wohnungen und auf Buchhandlungen. Seit 2016 wurden laut Bezirksamt mehr als 50 rechtsmotivierte Angriffe in Neukölln verübt, davon 16 Brandanschläge. Zuletzt wurden im März Morddrohungen gegen namentlich benannte Bürger an Wände gesprüht. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) hat es bislang abgelehnt, die Fälle als Rechtsterrorismus einzustufen, hat die Anschlagsserie aber zumindest zum „Gegenstand eines Beobachtungsvorgangs“ erklärt.

Linke plädiert für Untersuchungsausschuss

Immerhin kamen Geisel und die Polizei mit der Entscheidung für eine neue Ermittlergruppe zu den Anschlägen auch einem Beschluss des Parteitags der Berliner Linkspartei vom Wochenende zuvor. Die Partei hat sich für einen Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus ausgesprochen, der „rechte Netzwerke und Strukturen in allen Berliner Sicherheitsbehörden“ und „Versäumnisse bei den Ermittlungen zum Nazi-Terror in Neukölln“ unter die Lupe nehmen solle.

Geisel sprach sich gegen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus. Er könne das Anliegen zwar „moralisch verstehen“. Ein solches Gremium helfe aber nicht weiter, weil es sich nur mit der Vergangenheit befasse. Der Linke-Innenexperte Niklas Schrader sagte dem Tagesspiegel, seine Fraktion werde die Chancen für einen Untersuchungsausschuss in der rot-rot-grünen Koalition nun ausloten. Wobei allen Seiten dabei klar ist: Die SPD ist gegen einen Ausschuss, die Linke hätte gemeinsam mit den Grünen zwar genügend Stimmen, um den Ausschuss einzusetzen – sie dürften daran aber kaum die Koalition scheitern lassen.

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