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Ein Schild aus Pappe weist in Berlin-Köpenick auf ein Corona-Testzentrum hin.

© imago/Volker Hohlfeld

Rechnungshof attestiert Millionenverluste: Berlins Gesundheitsverwaltung versank in der Pandemie im Chaos

Wirrwarr, Versäumnisse, Verluste: Der Rechnungshof stellt der Senatsverwaltung für Gesundheit ein verheerendes Zeugnis für ihr Handeln in der Pandemie aus.

In der Berliner Senatsgesundheitsverwaltung hat es bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie massive Versäumnisse, Organisationschaos, gestörten Informationsaustausch, Doppelstrukturen und unklare Zuständigkeiten gegeben – und sie war überhaupt nicht auf das Krisenmanagement vorbereitet. Zu diesem Ergebnis kommt der Rechnungshof in einem Prüfbericht, der am Mittwoch an die Senatsverwaltung übergeben wurde.

Dem 59 Seiten starken Bericht zufolge kann es im damals von Senatorin Dilek Kalayci (SPD) geführten Gesundheitsressort „zu erheblichen Verstößen in der Haushaltsausführung“, millionenschweren Einnahmeverlusten und Mehrausgaben für das Land. Grund dafür waren Mängel im Aufbau und in den Abläufen des Krisenstabes sowie „unzureichende Personalausstattung“. Zudem hat die Gesundheitsverwaltung zu wenig Personal angefordert und bekommen – die Folge: Überlastung.

Das Ressort habe den „Ressourcenbedarf sowie den Umfang und die Bedeutung der unterstützenden Querschnittsaufgaben unterschätzt“. Zwar habe sie auch Missstände erkannt, „vermochte sie aber nicht selbst abzustellen“. Deshalb bat sie im März 2021 den Rechnungshof um Hilfe. Der prüfte dann das Vorgehen des Ressorts für den Zeitraum von Januar 2020, dem Beginn der Pandemie in Europa, bis November 2021.

Das Chaos im Krisenmanagement führte auch zu Chaos bei Abrechnungen. Der Gesundheitsverwaltung „fehlte der finanzielle Gesamtüberblick“. Noch im Oktober 2021 waren 6,3 Millionen Euro für Schnelltests und Schutzausrüstung für Test- und Impfzentren nicht eingetrieben worden. Hinzu kommen verloren gegangene Verzugzinsen.

Mit dem Verzicht auf Mahnungen und Eintreiben von Kosten hat die Gesundheitsverwaltung laut Rechnungshof gegen die Landeshaushaltsordnung verstoßen. Es sei nicht zu erwarten, dass „alle aktuell noch offenen Forderungen einschließlich der Verzugszinsen noch durchgesetzt werden können“. Erwartet worden waren Einnahmen von 65,7 Millionen Euro.

Einnahmeverluste „in geschätzt mehrstelliger Millionenhöhe“

Abrechnungswirrwarr gab es auch bei den Testzentren: Nicht einmal in den Verträgen mit den privaten Anbietern wurde die Kostenerstattung verbindlich geregelt. Diese Versäumnisse haben laut Rechnungshof zu „nicht notwendigen Ausgaben des Landes in Millionenhöhe“ und Einnahmeverlusten „in geschätzt mehrstelliger Millionenhöhe“ geführt. Berlin streckte die Kosten für Testzentren vor, obwohl sie wie in anderen Bundesländern über die Kassenärztlichen Vereinigungen hätten abgerechnet werden können.

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Am Ende zahlte das Land Berlin, durch das Chaos waren Abrechnungen durch die Kassenärzte mit den Testzentren teils unmöglich. Die Gesundheitsverwaltung konnte nicht einmal vollständig auflisten, wie viele Räume von ihr für Testzentren angemietet wurden.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, im Hintergrund der Regierende Bürgermeister Michael Müller (beide SPD).
Berlins frühere Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, im Hintergrund der damalige Regierende Bürgermeister Michael Müller (beide SPD).

© Annette Riedl/dpa

Mit Blick auf die erwarteten Pandemiewellen im Herbst und Winter soll nun nachgesteuert werden. Der Rechnungshof fordert, dass die Verwaltungen „bereits vor Eintritt einer Krisensituation über einen Werkzeugkasten verfügen“ - Krisenpläne, klare Regeln auch für Krisen, die noch keine Katastrophen sind, bessere Vernetzung, Übungsszenarien und eine IT-Basis.

Es fehlten sogar gültige Pläne für den Krisenstab

Der Rechnungshof kritisiert zudem, dass die Senatsinnenverwaltung nicht eingebunden wurde, obwohl sie ressortübergreifend für den Katastrophenschutz in Berlin zuständig ist. Die Probleme fingen vor der Pandemie an. Denn Anfang 2020 wusste die Gesundheitsverwaltung offenbar gar nicht, wie sie den Krisenstab aufstellen muss. Es gab kein gültiges Organisationsstatut für den Aufbau. Die Vorgaben dazu waren bereits 2018 ausgelaufen und nicht mehr gültig.

Durch dieses „Versäumnis“ verfügte das Ressort „über keine verbindliche Arbeitsgrundlage für die Erfüllung von Aufgaben bei der Krisenbewältigung“, heißt es im Prüfbericht.

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Die Gesundheitsverwaltung hat es nicht einmal geschafft, auf die nicht mehr gültige Vorschrift zurückzugreifen, um ihren Krisenstab zu organisieren. „Der seinerzeit für Gesundheit zuständigen Senatsverwaltung gelang es dann kurzfristig nicht mehr, ein effektives Krisenmanagement zu errichten“, befand der Rechnungshof. Dem Land könnten dadurch Einnahmen „in mehrstelliger Millionenhöhe entgangen sein“.

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Rechnungshofpräsidentin Karin Klingen sieht nun Handlungsbedarf. „Bereits vor einer Krise muss geklärt sein und eingeübt werden, wer, was, wie und wann zu tun hat. In der akuten Krise lässt sich fehlende Vorbereitung nicht mehr kompensieren“, sagte Klingen am Mittwoch bei der Übergabe des Berichts. „Gerade in Ausnahmesituationen sind Routinen wichtig. Die Zuständigkeiten müssen vorher festgelegt sein.“

Andere Bundesländer haben die Innenressorts eingebunden

Zudem fehlten Regel und Vorgaben für Krisen, die noch nicht als Katastrophenfall eingestuft sind. Nötig seien Verwaltungsvorschriften und Verfahrensregelungen zu Orientierung, „wenn koordinierungsbedürftige Großereignisse eingetreten sind“, erklärte der Rechnungshof. Im 2020 gültigen Berliner Katastrophenschutzgesetz gab es trotz Vereinbarungen der Innenminister von Bund und Länder von 2003 nicht einmal klare Vorgaben, wie ein Krisenstab einzurichten ist. Erst mit der Novellierung des Gesetzes im Juni 2021 wurde das eingeführt.

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Ob es richtig war, dass in Berlin kein Katastrophenfall wie etwa mehrfach in Bayern wegen der Pandemie ausgerufen wurde, wollte der Rechnungshof nicht bewerten. Das führte jedoch dazu, dass die Gesundheitsverwaltung nicht nur „originäre Aufgaben im Bereich des Gesundheitswesens eigenverantwortlich zu bewältigen“ hatte, „sondern auch die Krisenkoordinierung für den gesamten Senat und die Stadt allein übernommen“ hat.

Aber auch ohne Katastrophenfall, in dem das Innenressort die Führung übernimmt, haben es andere Bundesländer wie Hamburg, Brandenburg und Bremen besser gemacht. Dort waren die Innenressorts direkt in die Krisenstäbe der Gesundheitsressort eingebunden.

Keine Ressortübergreifende Zusammenarbeit

„In vier von fünf Bundesländern wurde die Entscheidung getroffen, interministerielle Krisenstäbe mindestens unter Beteiligung des Gesundheits-  und des Innenressorts zu bilden“, heißt es im Prüfbericht. „In Berlin fand eine ressortübergreifende Zusammenarbeit unter Einbindung des Innenressorts hingegen nicht statt.“

Obendrein gab es sogar klare Empfehlungen für diesen Krisenfall. Die hatte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nach einer Krisenmanagementübung zu einer Pandemie 2007 herausgegeben. Auch eine bundesweite Risikoanalyse zu einer weltweiten Pandemie aus dem Jahr 2012 enthielt Hinweise.

Für die Bundesländer war klar: In solchen Krisen müssen die Ressourcen und Erfahrungen der Innenressorts bei der Steuerung genutzt werden. „Diese Empfehlungen haben mit Ausnahme von Berlin alle untersuchten Bundesländer teilweise übernommen, indem sie interministerielle Führungsstäbe unter einheitlicher Führung und Einbindung des Innenressorts gebildet haben“, heißt es im Prüfbericht.

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