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Artemis durch die Nacht: Bei den Durchsuchungen wurden Vermögenswerte von 6,4 Millionen Euro beschlagnahmt. Der Schaden für die Sozialkassen durch Scheinselbstständigkeit im Bordell soll mindestens 17,5 Millionen Euro betragen.

© Paul Zinken/dpa

Razzia im Berliner Bordell "Artemis": Beamte beschlagnahmen 6,4 Millionen Euro

Die „Artemis“-Betreiber sollen enge Kontakte zu kriminellen Rockern gehabt haben. Bei der Razzia wurden 6,4 Millionen Euro in "Vermögenswerten" beschlagnahmt. Das Bezirksamt prüft, das Bordell zu schließen.

Taxis rollen an, ein Türsteher begrüßt die Gäste. Vor dem „Artemis“ in Halensee, dem bekanntesten und größten Bordell der Stadt, wirkt am Donnerstag alles wie immer. Drinnen dürften es sich wieder Dutzende Männer im Pool, der Sauna und auch in den Zimmern bequem gemacht haben – für 80 Euro Eintritt plus dem Lohn für die Sexarbeiterinnen.

Doch nach der Razzia am Mittwoch prüft das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, ob das Großbordell an der Halenseestraße geschlossen werden kann. „Ein entsprechendes Verfahren wurde eingeleitet, die Betreiber wurden zur Stellungnahme aufgefordert“, sagte Ordnungsstadtrat Marc Schulte (SPD). Eine Antwort werde in wenigen Tagen erwartet. Die „Artemis“-Betreiber traten als Saubermänner des Sexgewerbes auf. Sie warben auf BVG-Bussen um Kunden und beschäftigten – neben den Frauen – bis zu 40 Angestellte: Sicherheitsleute, Köche, Bürokräfte. Die bis zu 100 professionellen Frauen wiederum bedienten zwischen drei und 15 Männer am Tag.

Zoll schätzt Schaden auf 17,5 Millionen Euro

Gleichzeitig sollen die „Artemis“- Bosse mit einschlägig bekannten Hells Angels Geschäfte gemacht haben. Beide Betreiber sitzen seit Mittwoch wegen des Verdachts des Menschenhandels, der Steuerhinterziehung und des Sozialversicherungsbetrugs in Untersuchungshaft. Auch vier „Hausdamen“ wurden verhaftet, also ehemalige oder aktive Prostituierte, die im Alltag die Abläufe organisieren. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die „Artemis“-Betreiber ihre Prostituierten seit der Eröffnung im WM-Sommer 2006 als Scheinselbstständige beschäftigten. Offiziell waren die Sexarbeiterinnen als Freiberuflerinnen selbstständig, mieteten sich auf eigene Rechnung ein und kassierten auch ihre Freier auf eigene Faust ab – also mehr oder weniger individuelle Preise für individuelle Praktiken. Inoffiziell aber, so der Vorwurf, gab es aber ein per Dienstplan geregeltes Schichtsystem, Fixpreise für sexuelle Dienstleistungen und Dresscode. Insgesamt seien die Prostituierten wie abhängig Beschäftigte behandelt worden.

Entweder wird Prostitution generell verboten oder der Staat betreibt die Bordelle selbst. Nichts anderes kann die prekäre Situation, in die jährlich viel zu viele Frauen bei den momentanen Verhältnissen geraten, bereinigen. Wenn dieser Staat 'sexuelle Dienstleistungen' zulässt, dann muss er sie auch unter sein eigenes Kuratell stellen.

schreibt NutzerIn Totak-Zuhaus

Die Betreiber hätten die Frauen also anstellen und wie jeder Arbeitgeber auch Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Das taten sie aber nicht. Michael Kulus vom Hauptzollamt Berlin schätzte den Schaden der Sozialkassen am Donnerstag auf mindestens 17,5 Millionen Euro: „Es handelt sich um eine vorsichtige Schätzung.“ Gut möglich, dass noch die eine oder andere Million dazukommt. Zum Vergleich: Kulus zufolge registrierte das Hauptzollamt 2015 in ganz Berlin 60 Millionen Euro Schaden.

Freier Eintritt für Hells Angels

Eine Prostituierte hatte die Ermittler im Sommer 2015 auf die Spur der „Artemis“-Betreiber gebracht. Sie hatte sich an die Polizei gewandt, weil sie von ihrem damaligen Partner – einem Rocker der Hells Angels – zum Anschaffen in das Großbordell geschickt worden war. „Sie war dabei nicht immer freiwillig tätig“, sagte Staatsanwalt Michael Stork. Wenn die Frau nicht genug Geld nach Hause brachte, soll es Schläge gegeben haben. Die Frau soll so heftig malträtiert worden sein, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als zur Polizei zu gehen. Als sie von den Arbeitsabläufen im „Artemis“ erzählte, wurden die Ermittler hellhörig. Sie machten sich unter strengster Geheimhaltung an die Arbeit, nach Justizangaben waren maximal 15 Personen in die Ermittlungen eingeweiht. Die Betreiber hätten ihre Geschäfte unter „extremer Abtarnung“ organisiert, seien also hochprofessionell vorgegangen. Die Ermittlungen brachten erstaunliche Ergebnisse: Die Betreiber sollen nicht nur Sozialbeiträge und Steuern hinterzogen haben – darüber hinaus sei „ein unmittelbarer Bezug zur Organisierten Kriminalität in einem vermeintlich legalen Betrieb“ festgestellt worden, sagte Andreas Behm von der Staatsanwaltschaft. So sollen mehrere Hells Angels ihre Prostituierten mit dem Wissen der Betreiber zur Arbeit ins „Artemis“ geschickt haben, dafür gab es freien Eintritt und Sonderkonditionen beim Dienstleistungsangebot. Kürzlich war schon in einem Mordprozess gegen deutsche und türkische Rocker bekannt geworden, dass sich die Crew um einen berüchtigten Weddinger Hells-Angels- Boss im „Artemis“ traf.

Man sei „auf den Spuren der Strafverfolgung bei Al Capone gelandet“, sagte Behm zu den Ermittlungen. Der legendäre US-amerikanische Mafioso war in den 1930er Jahren in allerlei Illegales verstrickt gewesen – allerdings konnte er vor Gericht nie dafür belangt werden. Schließlich wurde er dann doch verurteilt: wegen Steuerhinterziehung.

Am Mittwochabend waren 6,4 Millionen Euro an sogenannten „Vermögenswerten“ beschlagnahmt worden. Fast 100 Prostituierte wurden vernommen und bestätigten die Aussagen der Tippgeberin weitgehend. Die Frau steht unter Polizeischutz – im Rotlichtmilieu droht ihr Rache. Das sichergestellte Beweismaterial sei so umfangreich, sagte Zollsprecher Kulus, dass die Auswertung noch Monate in Anspruch nehmen werde.

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