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Polizisten führten eine Razzia in 18 Objekten in Berlin durch.

© Annette Riedl,dpa

Razzia gegen den Remmo-Clan in Berlin: So kam die Polizei auf die Spur der Juwelendiebe

Ein Jahr nach der Tat in Dresdens Grünem Gewölbe rücken 1600 Polizisten gegen Verdächtige vor. Warum der Druck auf Berlins bekannte Großfamilien steigt.

Bei einer Razzia in Berlin sind am Dienstag drei Männer eines einschlägig bekannten Clans festgenommen worden. Sie werden verdächtigt, am Einbruch in das Grüne Gewölbe im Residenzschloss in Dresden beteiligt zu sein. Bei der weltweit Aufsehen erregenden Tat hatten Maskierte im November 2019 aus Dresdens berühmter Schatzkammer einzigartige Kunststücke von bislang nicht beziffertem Wert gestohlen. Eine Sonderkommission ermittelte, Männer der deutsch-arabischen Großfamilie Remmo gerieten unter Verdacht.

Wie lief die Razzia ab?

Federführend ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden, sie bat die Kollegen in Berlin um Amtshilfe. Am Dienstag wurden ab 6 Uhr insgesamt 18 Objekte durchsucht, darunter Wohnungen, Läden und Garagen in Neukölln, Schöneberg, Kreuzberg, Treptow, Reinickendorf und Charlottenburg.

Dabei wurden auch die in Dresden gestohlenen Kunstschätze gesucht, vor allem aber zur Tat getragene Kleidung und benutzte Werkzeuge. Neben Beamten aus Sachsen und Berlin waren Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligt; insgesamt fast 1700 Polizisten.

SEK-Unterstützung bei Ermittlungen im Clanmilieu ist üblich, immer wieder hatten Männer aus einschlägig bekannten Großfamilien auch Polizisten angegriffen. Vor den Einsatzorten patrouillierten behelmte, schwerbewaffnete Polizisten. Es gehe darum, sagte ein Beamter, für etwaige „Gruppenbildungen“ aus dem Clanmilieu gewappnet zu sein. Über der Stadt kreisten zwei Polizeihubschrauber. Die angetroffenen Angehörigen der äußerst weit verzweigten Familie Remmo – die es auch in den Transkriptionen Rammo und Rammou gibt – leisteten keinen Widerstand.

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Wer wurde festgenommen, wer floh?

Laut Polizei sind drei Verdächtige – zwei 23-Jährige und ein 26-Jähriger – festgenommen worden. Es handelt sich um deutsche Staatsbürger. Nur einige Angehörige der Familie sind offiziell staatenlos, andere verfügen über libanesische Papiere. Ein Ermittlungsrichter in Dresden verhängte Untersuchungshaft. Einer der drei Männer ist in den vergangenen Jahren dadurch aufgefallen, dass er Mieter oder Eigentümer von Neuköllner Immobilien bedroht haben soll.

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Ein weiterer Remmo ist am 20. Februar 2020 schon wegen Beteiligung am Diebstahl der Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum verurteilt worden war. Das Urteil ist rechtskräftig, die Goldmünze im Wert von 3,75 Millionen Euro allerdings nicht gefunden worden.

Die Polizei hatte bereits den gesuchten M. Remmo (r.) festgenommen, seinen Bruder A. M. Remmo nun auch.
Die Polizei hatte bereits den gesuchten M. Remmo (r.) festgenommen, seinen Bruder A. M. Remmo nun auch.

© Polizei Sachsen/Polizei Berlin

Nach weiteren Verdächtigen aus dem Clan wird auch öffentlich gefahndet. Die Polizei sucht den 21 Jahre alten A. M. Remmo und den gleichaltrigen M. Remmo. Ihr Fluchtwagen ist noch am Dienstagabend gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft allen fünf Beschuldigten schweren Bandendiebstahl und Brandstiftung vor.

Wie kamen die Fahnder auf den Clan?

Die Ermittler der Sonderkommission „Epaulette“ sind durch die Spuren am Tatort auf die Clan-Männer gestoßen. Wie der Dresdner Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt mitteilte, sind die Tatverdächtigen mit Hilfe der Auswertung der Überwachungsvideos in Dresden ermittelt worden. Forensische Untersuchungen am Residenzschloss hätten ergeben, dass die Verdächtigen am Tatort waren. Ein in Dresden benutztes Auto konnte ihnen zugeordnet werden.

[Lesen Sie hier: Warum die Remmo-Zwillinge höchstwahrscheinlich erwischt werden]

Wie berichtet hatte es in den vergangenen Monaten Durchsuchungen in einer Autowerkstatt und einem Handy-Laden in Berlin gegeben – dort wurden Hinweise auf die Logistik der Täter gesucht. Die Täter in Dresden sollen bei dem Einbruch zudem hydraulisches Spreizwerkzeug benutzt haben.

Die 100 Kilogramm schwere Goldmünze «Big Maple Leaf» wurde aus dem Bode-Museum gestohlen.
Die 100 Kilogramm schwere Goldmünze «Big Maple Leaf» wurde aus dem Bode-Museum gestohlen.

© Marcel Mettelsiefen,dpa

Diese Geräte sind teuer und selten. Daher suchten die Ermittler mögliche Parallelen zu ähnlichen Einbrüchen: Da wäre der Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Bode-Museum in Berlin 2017. Da wäre auch der Überfall auf einen Geldtransporter am Berliner Alexanderplatz 2018, bei dem die Hochsicherheitstür des Wagens mit Profi-Werkzeug aufgestemmt wurde. Und da wäre ein Fall aus Erlangen 2019, in dem einer der Remmos zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte dort demnach hochwertiges Spreizwerkzeug gestohlen – Geräte also, wie sie beim Einbruch in das Grüne Gewölbe benutzt worden sein könnten.

Zuvor waren auch in Berlin mindestens fünf dieser Geräte im Wert von je 10.000 Euro aus Feuerwehr-Wachen gestohlen worden. Im Milieu bekannte Remmos wurden in den vergangenen 20 Jahren wegen Diebstahl, Einbrüchen, Hehlerei, Raub und Waffendelikten verurteilt.

Wo sind die Kunstschätze heute?

Das ist unklar. Die Ermittlungen ließen laut Staatsanwaltschaft noch keine Rückschlüsse auf den Verbleib der gestohlenen Kunstschätze zu. Es wird davon ausgegangen, dass die Täter die Unikate bislang nicht verkaufen konnten.

Einzelne der gestohlenen Schmuckstücke aus dem Grünen Gewölbe waren für einen Millionenbetrag in Israel zum Verkauf angeboten worden. Das hatte die israelische Sicherheitsfirma CGI, die mit eigenen Ermittlungen zu dem Fall beauftragt ist, Anfang 2020 öffentlich gemacht.

Demnach habe die Firma über das Darknet zwei Brillant-Garnituren aus der Beute angeboten bekommen – für neun Millionen Euro in Bitcoins. Das ist eine Kryptowährung mit der im anonymisierten Darknet gezahlt werden kann. Bei den angebotenen Schmuckstücken habe es sich es sich um den Sächsischen Weißen Brillanten und den Polnischen Weiße-Adler-Orden gehandelt.

Was sagen Politik und Polizei?

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) sagte, man habe die Ermittler in Dresden „sehr früh“ mit eigener Expertise zu den Clans unterstützt. „Wir sind froh, dass bei der Aufklärung eines Kunstraubs ein großer Erfolg geglückt ist“, sagte Geisel. Wegen der Bezüge zur Clankriminalität sei für den Senator klar: „Das ist ein weiteres Signal in die Szene. Niemand sollte glauben, er könne sich über diesen Staat und seine Regeln hinwegsetzen“, sagte Geisel. Der Rechtsstaat sei das Maß der Dinge: „Er allein setzt die Ordnung durch. Er tut das entschlossener und klüger als manch Krimineller glaubt.“

Ins Grüne Gewölbe in Dresden wurde vor einem Jahr eingebrochen.
Ins Grüne Gewölbe in Dresden wurde vor einem Jahr eingebrochen.

© imago

Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Norbert Cioma, teilte mit: „Der heutige Großeinsatz ist unglaublich professionell und sehr akribisch vorbereitet worden.“ Es sei ein entscheidender Beitrag dazu geleistet worden, „Täter in der organisierten Kriminalität nicht ungeschoren davonkommen zu lassen“. Lob gab es auch aus der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus. Dennoch: Die Polizei der Europäischen Union hatte die deutschen Behörden zu intensiveren Geldwäsche- und Schwarzgeldermittlungen aufgefordert.

Wächst der Druck auf die Clans?

Ja. Seit drei Jahren wird öffentlich über organisierte Kriminalität durch Großfamilien diskutiert. Das Bundeskriminalamt definierte Clan-Kriminalität erstmals 2019 als Taten aus patriarchalisch-hierarchisch organisierten Familien in einer „ethnisch abgeschotteten Subkultur“.

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In den Clan-Zentren in Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen wurden Verbundeinsätze durchgeführt. Auch in Berlin setzte Innensenator Andreas Geisel vor zwei Jahren durch, dass sich Polizei, Bezirksämter, Zoll, Jobcenter, Finanz- und Justizverwaltung enger austauschen (auch wenn einzelne Fahnder durch den „rigiden Datenschutz“ noch deutlichen Verbesserungsbedarf sehen).

Häufige Durchsuchungen im Milieu bekannter Shisha-Bars und Anzeigen auch kleinerer Delikte gehören zur „Strategie der Nadelstiche“. Wirksamer dürfte der Blick auf die Finanzen sein.

Als größter Erfolg in Berlin gilt bislang, dass das Kammergericht kürzlich die Beschwerde gegen die Einziehung zweier Immobilien zurückgewiesen hat. Damit fiel auch eine Villa im Süden Neuköllns, in der einige Remmos leben, an den Staat. Sie gehört zu jenen 77 Immobilien, die von der Staatsanwaltschaft im Sommer 2018 vorläufig konfisziert wurden, weil die Familie sie mit Beutegeld erworben haben soll.

Möglich wurde dies nach einer Gesetzesnovelle im Juli 2017. Seitdem kann der Staat leichter Vermögen unklarer Herkunft einziehen. Ebenfalls am Dienstag wurden in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Bremen und Baden-Württemberg insgesamt 20 Adressen durchsucht, um neun Untersuchungshaftbefehle gegen mutmaßliche Dealer zu vollstrecken. In dem von der Staatsanwaltschaft Bochum geführten Verfahren sollen die Verdächtigen in „Strukturen eines arabischstämmigen Clans, auf internationaler Ebene mit Kokain gehandelt haben“.

Wie reagieren die Akteure im Milieu?

Drogen, Schutzgeld, Diebstähle, Hehlerei, Tabakschmuggel – auch in illegalen Geschäftsfeldern gilt: Verlässt ein Akteur die Branche, steigt die Konkurrenz auf. Nicht nur für die Remmos sieht es eng auch.

Im September hatten Beamte 18 Adressen in Berlin, Brandenburg und der Schweiz durchsucht. Im Zentrum stand die Familie Abou-Chaker. Millionen Euro wurden wegen des Verdachts diverser Delikte vorläufig beschlagnahmt. Ein Abou-Chaker steht derzeit vor Gericht: Er und drei Brüder sollen den als Bushido bekannten Rapper um viel Geld gebracht haben. Ein andere Familie, die El-Zeins, steht nach den Aussagen eines Kronzeugen unter Druck. Ein Familienoberhaupt war nach dem Überfall aus das KaDeWe zu einer Haftstrafe verurteilt worden.

Wie berichtet haben Clan-Männer nicht nur in Berlin seit einigen Jahren heftigen Streit mit Tschetschenen. Letztere sind oft neu in Deutschland und gelten als äußerst mobil. Die Tschetschenen, deren Asylanträge überwiegend abgelehnt wurden, pendeln zwischen Frankreich, den Benelux-Staaten und Polen. Anfang November hatte es in Berlin brutale Überfälle gegeben; Männer des Remmo-Clans kämpften dabei gegen Tschetschenen. Ein Ex-Profiboxer vermittelte ein „Friedensabkommen“. Nach Tagesspiegel-Informationen fühlen sich die Tschetschenen daran gebunden. Sie sollen im Milieu mit ihrer Unerschrockenheit geprahlt haben. Ein Aufstieg der „eurasischen OK“ stehe bevor.

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