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Sechs Buchstaben und ein Haufen Probleme - immer wieder.

© Arno Burgi/dpa

Update

Rat der Experten: Kitas sollen mehr Vorschularbeit leisten

Weniger freies Spiel - mehr Beschäftigung mit Sprache und Zahlen: So sollen die Kinder "School ready" werden. Das Sprachlerntagebuch verliert aber an Bedeutung.

Nichts ist für immer – selbst das Sprachlerntagebuch nicht: Kurz vor der Weihnachtspause machte die Expertenkommission unter Leitung des Kieler Bildungsforschers Olaf Köller ihre Empfehlungen publik, wie Berlins Kitas besser werden könnten. Zentrale Botschaft: Die Förderung muss sich stärker an dem orientieren, was den Kindern den Schulstart erleichtert. „School ready“ lautet das Schlüsselwort. Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte Köller beauftragt.

„Die Kitas müssen ein Zeitfenster für die vorschulischen Kompetenzen reservieren“, lautete Köllers Appell, wobei er hinterherschickte, dass dies noch immer auf „viele Widerstände“ treffe - bei jenen, die komplett darauf setzen, dass die Kinder sich (von) selbst entfalten. Hier brauche man einen Paradigmenwechsel hin zur "Kita als Bildungsort", meint der Forscher, der zuletzt den Hamburger Senat beraten hatte.

"Wir müssen eine angemessene Balance zwischen geplanten Lerneinheiten und freiem Spiel finden", benannte Köller das Ziel.

Dass es kein „weiter so“ geben soll, wurde auch dadurch deutlich, dass selbst die Verbindlichkeit des Sprachlerntagebuchs zur Disposition steht: Es hatte in den Jahren nach dem „Pisaschock“ eine zentrale Rolle in der kitapolitischen Agenda gespielt. Die Hoffnung, die Scheeres' Vorvorgänger Klaus Böger (SPD) 2006 damit verband, bestand darin, dass die Erzieherinnen diese Lerntagebücher so gewissenhaft führen, dass die Lehrer daraus eine gezieltere Förderung ihrer Erstklässler ableiten können.

Jahrelange Querelen rund ums Lerntagebuch

Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt: Immer wieder gab es Beschwerden darüber, dass viele Kitas die Tagebücher nicht ernst nähmen. Dies wiederum hatte auch damit zu tun, dass es einen jahrelangen datenschutzrechtlichen Streit darüber gab, ob diese Unterlagen überhaupt an die Schulen übergeben werden dürften. Anstatt auf die Sprachlerntagebücher zu setzen, gingen viele Schulen dazu über, andere Diagnoseinstrumente wie die Lernausgangslagenuntersuchung zu nutzen. Der mit den Lerntagebüchern verbundene Aufwand leuchtete viele Erzieherinnen dann wohl nicht mehr ein.

„In der Tat ist die Qualität beim Führen des Sprachlerntagebuchs sehr unterschiedlich“, bestätigte Landeselternsprecher Norman Heise auf Anfrage. Solange er für den Kitabereich aktiv war, habe „die schlechte Erfahrung überwogen“, sagte Heise, der inzwischen die Elternschaft an den Schulen vertritt.

In den grünen Sprachlerntagebuch-Ordnern wird seit 2006 die Sprachentwicklung von Kitakindern dokumentiert.
In den grünen Sprachlerntagebuch-Ordnern wird seit 2006 die Sprachentwicklung von Kitakindern dokumentiert.

© Mike Wolff

In dieser Funktion gehört Heise auch der Praxiskommission an, die den Experten unter Köller beratend zur Seite steht. Sie sollen sich jetzt zu den Empfehlungen der Expertenkommission positionieren, bevor Köller Mitte Januar die abschließenden Ergebnisse bekannt gibt.

Ausgangspunkt sind die schwachen Schülerleistungen

Bevor es zu den Empfehlungen kam, hatte die FU-Expertin für frühkindliche Bildung, Yvonne Anders, als Mitglied der Expertenkommission die Berliner Ausgangslage analysiert. Dazu gehören für sie nicht nur die „eklatant schlechten Leistungen der Grundschüler“ sondern auch die fehlende Verbindlichkeit bei der Absicherung der Personalqualität „auf allen Ebenen“, also von der Erzieherin über die Seiteneinsteigerin bis zur Dozentin an der Erzieherfachschule.

Daraus leitet Anders die Forderung ab, dass es ein stärkeres Augenmerk auf die Kitas in Problemkiezen geben müsse. Dies könnte bedeuten, dass hierhin Zusatzkräfte geschickt werden müssen, die die Diagnostik für die Sprache und für die mathematischen Grundfertigkeiten leisten und vorantreiben könnten. Statt des Sprachlerntagebuches könne es dann kurze Tests geben mit denen sich „Wortschatz, Sprechfreude und Rechenfähigkeit“ feststellen ließen. Auf dieser Grundlage wäre es dann einfacher, die Kinder gezielter zu fördern.

Die Kommission hilft auch der Senatorin

Senatorin Scheeres betonte, dass Berlin eine bundesweite Vorreiterrolle beim Ausbau der Kitaplätze spiele, so dass „96 Prozent“ der Kinder vor der Einschulung eine Kita besuchen. Weit vorn ist Berlin auch mit seinem Rechtsanspruch auf sieben Stunden tägliche Kita-Förderung. „Aber wir stellen fest, dass die Kompetenzen der Kinder dennoch nicht zufriedenstellend sind“, so Scheeres.

Scheeres holte den Rat von Erziehungswissenschaftler Köller (re.) und Staatssekretär a.D. Voges ein.
Scheeres holte den Rat von Erziehungswissenschaftler Köller (re.) und Staatssekretär a.D. Voges ein.

© Susanne Vieth-Entus

Da letztgenanntes auch auf die Schulkinder zutrifft sowie auf die Schulabgänger ohne Abschluss war Scheeres im Sommer politisch unter Druck geraten, zumal auch der Landeselternausschuss ultimativ einen Bildungsgipfel forderte. Zeitgleich hatte sich der Mangel an Schulplätzen zugespitzt und Scheeres galt als Senatorin auf Zeit. „Köller hat ihr den Kopf gerettet“, hieß es im Spätherbst, als Scheeres wieder Boden unter den Füßen gewann. Im Frühjahr und Sommer 2020 will Köller die Vorschläge für den Schulbereich vorstellen.

Der Expertenkommission gehören neben Köller sieben weitere Wissenschaftler an, die sich in bestimmten Fachrichtungen einen Namen gemacht haben, wie etwa Michael Becker-Mrotzek für die Deutsch-Didaktik. Zur „Praxiskommission“ gehören etwa Eltern, Lehrer und Gewerkschaften. Sie wurden am Mittwoch über die Empfehlungen informiert und können sich jetzt äußern, bevor im Januar die endgültigen Leitlinien formuliert werden.

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