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SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic, hier mit Fraktionschef Raed Saleh, hat die Reformvorschläge unterbreitet.

© Kai-Uwe Heinrich

Raed Saleh und Maja Lasic: "Wir kämpfen für die Verbeamtung der Berliner Lehrer"

SPD-Fraktionschef Saleh und Bildungspolitikerin Lasic wollen ihre Partei überzeugen, Lehrer besser zu stellen. Was sind ihre Argumente? Ein Interview.

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Berlin leidet seit 2014 unter akutem Lehrermangel. Warum führt die Berliner SPD die Diskussion über die Wiederverbeamtung erst jetzt?

Raed Saleh: Das Thema Verbeamtung ist kein Herzenswunsch der SPD. Wir hatten uns bewusst entschieden, nicht mehr zu verbeamten. Wir gingen 2004 davon aus, dass die anderen Bundesländer sich sukzessive auch so entscheiden würden. Aber die Ausgangslage blieb bestehen: Bis auf Berlin verbeamten alle anderen Länder weiterhin ihre Lehrer. Das stellt Berlin vor neue Herausforderungen.

Es war zwar richtig, dass wir nicht verbeamten. Aber es wäre falsch, heute noch als einziges Bundesland nicht zu verbeamten. Daher können wir es uns schlicht nicht mehr leisten, nicht zu verbeamten. Und zwar im Interesse der Kinder.

Wir dürfen in diesem Punkt nicht stur und ideologisch sein: Damit wieder mehr Lehrer an die Berliner Schulen kommen, müssen wir verbeamten und so unseren Kindern eine bessere Perspektive geben.

Am Sonnabend stimmt die SPD auf dem Parteitag über Verbeamtung ab. Sind Sie dafür?

Maja Lasic: Wir werden für die Rückkehr zur Verbeamtung werben. Aber entscheiden muss es die Partei.

Saleh: Ich bin für die Rückkehr zur Verbeamtung und kämpfe auf dem Parteitag dafür.

Hilft die Verbeamtung, Lehrer für Berlin zu begeistern?

Saleh: Sie hilft, dass nicht mehr so viele Lehrer von Berlin abwandern wie bisher. Es könnten sogar wieder Lehrer nach Berlin zurückkehren, die jetzt in Brandenburg arbeiten. Und sogar Absolventen aus anderen Bundesländern bei uns anfangen, weil Berlin als Stadt hoch attraktiv für sie ist. Bei erneuter Verbeamtung würden die Berliner Lehramtsstudenten kurz vor ihrem Abschluss nicht mehr vor die Wahl gestellt, Berlin zu verlassen, um woanders bessere Bedingungen zu haben. Am Ende hätten wir mehr ausgebildete Lehrer.

Verbeamtung kann also das Problem des Lehrermangels lindern. An jeder Schule hören Sie von dem Problem. Ausgebildete Lehrer fehlen in Brennpunktschulen, in sozial schwierigen Kiezen überall in Berlin. Wir sind in der Pflicht, uns zu überlegen, wie wir dieses Problem an den Schulen beheben können. Das ist keine Frage des Geldes, sondern der sozialen Gerechtigkeit. Wir dürfen das Problem nicht auf dem Rücken der Schüler austragen.

Lasic: Die Zahlen sprechen hier für sich. Wir haben erstens eine Halbierung der Bewerberzahlen um Referendariatsplätze, zweitens haben wir 20 Prozent der ausgebildeten Referendare, die trotz Bewerbung nicht in Berlin bleiben, und wir haben von Jahr zu Jahr mehr Lehrkräfte, die trotz Festanstellung Berlin verlassen. Wir müssen anerkennen, dass wir einen Wettbewerbsnachteil haben und diesen ausgleichen müssen.

Die SPD hält viel vom Solidarsystem. Der Regierende Bürgermeister verfolgt die Idee des solidarischen Grundeinkommens. Wie erklären Sie das den Genossen, dass verbeamtete Lehrer nicht mehr in die Solidargemeinschaft einzahlen?

Lasic: Für uns gilt gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Und dass wir das ernst meinen, haben wir in den Tarifrunden gezeigt bei der Angleichung der Erzieherinnengehälter. Das gleiche Credo gilt für unsere Lehrkräfte. Das grundsätzliche Verhältnis zwischen Angestellten und Beamten muss hingegen auf Bundesebene geklärt werden. Das dürfen wir nicht auf dem Rücken der Lehrer austragen.

Aber es gibt in Berlin 6000 bis 8000 Lehrer, die nicht verbeamtet werden können, weil sie nicht gesund sind oder die Altersgrenze von 50 überschritten haben. Was sagen Sie denen?

Lasic: Als Bildungspolitikerin denke ich darüber nach, wie man für diese Gruppen einen Ausgleich schaffen kann, etwa indem man ihnen eine regionale Zulage zahlt. Das ändert aber nichts an der Grundsatzentscheidung.

Wie wollen Sie die Kosten, die sich langfristig aus den üppigen Pensionszahlungen und den anderen finanziellen Vorteilen des Beamtenstatus ergeben, im Landeshaushalt abbilden, wenn die Schuldenbremse greift? Oder rechnen Sie nur kurzfristig, dass Berlin seinen Haushalt durch den Wegfall der Sozialbeiträge um 250 Millionen Euro pro Jahr entlasten könnte, wenn das Land verbeamtet?

Saleh: Nochmal, für mich ist die Verbeamtung keine Frage des Geldes. Wir können es uns nicht leisten, ganze Generationen von Kindern aufzugeben. Wir brauchen ausgebildete Lehrer in den Schulen, ganz besonders an den Brennpunktschulen unserer Stadt, wo zur Zeit nur noch Quereinsteiger und nicht ausgebildete Lehrer eingestellt werden. Das kann so nicht weitergehen. Und da schaue ich nicht aufs Geld.

Lasic: Bei der Frage der Umstellung auf eine erneute Verbeamtung steht die finanzielle Frage nicht im Vordergrund, da sich die Einsparungen in den aktuellen Haushalten und die zukünftigen Belastungen durch den Pensionsfonds „ausgleichen“. Anders steht es um die Forderung der Koalitionspartner, den Lehrerberuf durch finanzielle Zulagen aufzuwerten. Die Forderung wird als Gegenentwurf zur Verbeamtung aufgeworfen, lässt jedoch sofort eine Mehrbelastung im Haushalt entstehen und ist damit wirtschaftlich betrachtet eindeutig im Nachteil.

Berlin könnte auf die Schnelle etwas gegen die Abwanderung der Lehramtsabsolventen nach der Uni tun, wenn das Land den Referendaren mehr Geld böte. Warum passiert das nicht?

Lasic: Diese Debatte wird parallel geführt. Die Aufwertung des Referendariats in Berlin wird die Debatte über Verbeamtung nicht aufheben. Wenn wir nur das Referendariat aufwerten, verschieben wir – wenn überhaupt – nur den Zeitpunkt, an dem sich Lehrer aus Berlin verabschieden. Wir müssen an den Kern des Wettbewerbsnachteils ran und das ist die ungleiche Bezahlung in der Festanstellung.

Wie wollen Sie Ihre Koalitionspartner überzeugen? Auch der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag sieht das nicht vor. Die Grünen warnen davor, dass eine Verbeamtung zur Schieflage in der Kollegenschaft führen würde. Stattdessen fordert die Partei multiprofessionelle Teams in den Klassen mit Lehrern, Erziehern und Psychologen.

Lasic: Das Argument halte ich für eine Nebelkerze. Die Grünen wissen auch, dass wir bereits multiprofessionelle Teams haben und sie von Haushalt zu Haushalt immer weiter ausbauen. Trotzdem haben wir die Ungleichbehandlung der Berliner Lehrer im Vergleich zu anderen Bundesländern.

Saleh: Wenn man tiefer reinhört bei den Grünen, sind sie im Grundsatz nicht dagegen. Wir suchen in der Koalition nach dem besten Weg, soziale Gerechtigkeit zu verankern. Ich fasse mir doch an den Kopf, wenn ich höre, wir würden mit Nebelkerzen werfen. Es geht mir um die Kinder in der Schule, die wir gut ausbilden müssen. Und da geht es mir, noch einmal, zuallererst nicht um die Kosten.

Mag sein, dass die Grünen sich letztlich überzeugen lassen. Aber die Linke ist entschieden dagegen. Muss man den Linken etwas bieten, damit sie für die Verbeamtung sind?

Saleh: Wenn sich die SPD für die Verbeamtung entscheidet, werden wir mit Grünen und Linken sprechen. Politik ist am Ende die Kunst, aufeinander zuzugehen. Und zu den Linken sage ich: Hier geht es nicht um Ideologie.

Ein Ja der SPD zur Enteignung der Deutsche Wohnen und anderer großer Immobilienfirmen könnte bei den Linken ein Ja zur Verbeamtung erleichtern, oder?

Saleh: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn die SPD sich am Sonnabend auf dem Parteitag für die Verbeamtung ausspricht, werden wir im Anschluss mit den Linken und Grünen sprechen. Wir werden uns mit dem Thema Enteignung auf dem Parteitag befassen.

Und wie stehen Sie zur Enteignung beziehungsweise Vergesellschaftung?

Saleh: Ich bin beim Thema Enteignung hin- und hergerissen. Es ist richtig, dass es diese Möglichkeit im Grundgesetz gibt, und dass der Grundsatz gilt, Eigentum verpflichtet. In Einzelfällen kann man das Instrument Enteignung anwenden. Das gab es auch schon früher. Der Ruf nach Enteignung von den Berlinern ist jetzt ein Hilferuf. Die Mietenfrage ist die neue soziale Frage.

Auf der anderen Seite will die Initiative Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen im Bestand enteignen. Diese Aussage ist mir zu pauschal. Es gibt Eigentümer von mehr als 3000 Wohnungen, die sehr sozial mit den Mietern umgehen, wie etwa die evangelische Hilfswerk-Siedlung. Ich plädiere für mehr Differenziertheit. Der Anschein darf nicht erweckt werden, dass Berlin investorenfeindlich ist.

Wer aber die Mieter drangsaliert, muss wissen, dass er sich in Berlin nicht mehr alles leisten kann. Wir wollen die Berliner vor steigenden Mieterhöhungen schützen und plädieren für ein Mietmoratorium, also einen Mietendeckel. Und es muss mehr gebaut werden in Berlin. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher ist bemüht, aber da ist noch Luft nach oben.

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