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George Patrick organisierte zunächst Solipartys, dann besann er sich auf ein, wie er sagt, zutiefst romantisches Medium: Das Radio. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Radio live aus Berlin-Neukölln: „Refuge Worldwide“ will Zufluchtsort und musikalische Heimat sein

George Patrick wollte Geflüchtete und lokale Initiativen unterstützen – und besann sich dafür auf ein fast schon anachronistisches Medium: Das Radio. Gleichzeitig ist das Projekt aber viel mehr als das.

Was von außen aussieht wie ein weiteres dieser typischen Weserstraßen-Cafés, ist tatsächlich viel mehr: Eine eigene Radiostation und ein Gemeinschaftsprojekt für den Kiez. Der Name „Refuge Worldwide“, „Weltweite Zuflucht“, drückt aus, was das Projekt sein will: Eine musikalische Heimat, ein Rückzugsort, aber auch eine Stimme all jener, die sonst selten zu Wort kommen. Hervorgegangen ist Refuge Worldwide aus einer Soli-Partyreihe, deren Einnahmen Geflüchteten zugute kamen.

Gründer George Patrick ist seit langem in der Musikbranche tätig und bestens vernetzt. An einem sonnigen Vormittag Mitte September steht er in der Tür des länglichen Neuköllner Lokals, aus dem das Radio seit einigen Wochen sendet. 

Hinter der Bar, durch einen schmalen Gang an der Toilette vorbei, verbirgt sich das Studio. „Die rote Lampe leuchtet, wenn wir on air sind“, sagt Patrick und deutet mit der Hand auf eine Art Baustellenlampe über der Tür. Andere Kennzeichen oder Schilder gibt es bislang nicht.

Der gebürtige Schotte, der mit transparenter Brille, dunklem Dreitagebart und schwarzem Hoodie auch optisch gut in den Reuterkiez passt, kam 2014 nach Berlin. „Das war ungefähr zeitgleich mit dem ersten Peak der syrischen Flüchtlingskrise“, sagt er. 

„Ich begann, darüber nachzudenken, dass es für mich als weißer Europäer sehr leicht war, hierher zu ziehen. Gleichzeitig versuchten Tausende Menschen dasselbe mit deutlich mehr Schwierigkeiten – weil sie es mussten, und nicht weil sie einfach Lust darauf hatten.“

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George Patrick beschloss, den Geflüchteten zu helfen: Mit Freund:innen aus der Musikbranche startete er eine Partyreihe. „Das war eben das, was wir konnten“, sagt er. Die Einnahmen gingen an Geflüchtetenunterkünfte und -initiativen. Mit der Zeit vernetzte sich George Patrick immer stärker mit Aktivist:innen und verschiedenen Gruppen. Und er stellte fest, dass Geflüchtete nicht die einzige Gruppe waren, die Unterstützung benötigte. 

„Radio war für mich immer ein romantisches Medium“

Er traf auf Initiativen, die mit jungen Menschen zusammenarbeiteten, Musikprojekte organisierten oder Frauenhäuser unterstützten. „Ich stellte fest, dass der reine Akt, Geld zu sammeln und ihnen zu spenden, nicht ausreicht. Man muss den Menschen auch vermitteln, was diese Menschen bewegt und vor welchen Problemen sie stehen“, sagt er.

Kurz spielte Patrick mit dem Gedanken, einen eigenen Non-Profit-Club für Soli-Partys zu eröffnen. Allein die Finanzierung wäre jedoch eine große Herausforderung geworden. Und dann grätschte auch noch eine weltweite Pandemie dazwischen. Also besann er sich auf ein Medium, das heute fast schon anachronistisch wirkt: George Patrick gründete einen Radiosender. „Radio war für mich immer schon ein romantisches Medium, fast schon zeitlos“, sagt er. 

Nach rund eineinhalb Jahren Vorlaufzeit ging dann Refuge Worldwide Anfang des Jahres auf Sendung. „Das war sowas wie mein Pandemie-Projekt“, sagt Patrick und lacht. Das Radio streamt dienstags bis freitags live über das Internet, bislang finanziert ausschließlich aus Spenden. Über 100 Künstler:innen und Musiker:innen zählt Patrick mittlerweile zu den „Residents“, also DJs und DJanes, die regelmäßig auftreten. 

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Das Spektrum erstreckt sich über alle Musikrichtungen, von Klassik bis Techno, von Hip-Hop bis Punk. Auch experimentellere Klänge sind im Programm. Neben prominenteren DJs aus der Berliner Clubszene legen auch Neueinsteiger:innen auf. Eine musikalische Heimat für alle eben, egal welchen Musikgeschmack sie haben. Einige Shows finden zweiwöchentlich statt, andere alle zwei Monate.

Dazu kommen Talkshows, meist zu sozialen und gesellschaftlichen Themen. Die meisten Shows werden mittlerweile live aus dem Neuköllner Studio in die Welt gestreamt, einige DJs schicken aber auch Beiträge aus anderen Ecken der Welt. Mittlerweile erreiche der Sender mehrere Tausend Hörer:innen in rund 80 Ländern, erzählt George Patrick. Einige Hörer:innen sind aber stets auch live dabei: Im kleinen Vorraum des Studios kann man den DJs und -Janes beim Auflegen zusehen.

Montags ist Communitytag

Montags pausiert das Radio: Dann ist Communitytag. Im Lokal in der Weserstraße 166 finden dann Workshops für die Nachbarschaft statt, von DJ-Kursen über Einführungen ins Podcasten bis hin zu einem Klimacafé. Auch private Geburtstagspartys, Buchpräsentationen und Kunstausstellungen gibt es regelmäßig.

Vom 24. bis 26. September ist zudem ein Festival geplant, das sich unter dem Titel „Regenerate“, „Regeneriere“, um das Thema Nachhaltigkeit drehen soll. Auf dem Programm stehen Workshops zu Themen wie dem Bau eigener Instrumente aus recycelten Materialien, Diskussionen über Wachstumskonzepte und natürlich Livemusik. „Dieser Ort hier ist für den Kiez und steht den Menschen für ihre Projekte offen“, sagt George Patrick. Eine echte Zuflucht eben. Mehr Infos und das Liveprogramm gibt es unter refugeworldwide.com.

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