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Die Al-Nur-Moschee gilt als Zentrum des Salafismus in Berlin.

© Kai-Uwe Heinrich, Tsp

Radikale Muslime in Berlin: Senat hat keine Kontrolle über salafistische Jugendarbeit

Die Al-Nur-Moschee in Berlin-Neukölln gilt als Salafistentreff und wird beobachtet. Dennoch hat der Senat keinen Einblick in das Unterrichtsangebot.

Obwohl der Berliner Verfassungsschutz die Al-Nur-Moschee in Neukölln als Salafistentreff einstuft und sie wegen extremistischer Bestrebungen beobachtet, können dort Kinder und Jugendliche ungestört von den Behörden unterrichtet werden. Der 1986 gegründete Moscheeverein betreibt seit 1998 ein Jugend- und Familienzentrum: Der Vorstand der Moschee ist zugleich Vorsitzender des Vereins, der das Jugend- und Familienzentrum betreibt. Da dieser Verein weder Fördermittel bezieht noch ein offizieller Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist, hat der Berliner Senat keine Kontrollinstrumente und keine Kenntnis, was in der Moschee – dem größten Salafistentreffpunkt Berlins – in dem Unterricht für Kinder und Jugendliche vermittelt wird und vor sich geht.

„Die betreffenden Angebote sind dem Senat insbesondere weder durch eine Erlaubnispflicht noch im Zuge einer Förderung bekannt geworden“, heißt es in einer Antwort der Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des SPD-Politikers Tom Schreiber. Daher lägen dem Senat auch „keine Erkenntnisse“ über Auswirkungen und Verdachtsfälle vor, ob Kinder und Jugendliche salafistisch indoktriniert würden, heißt es in der Antwort.

Die Al-Nur-Moschee ist laut Innenverwaltung eine „von Salafisten dominierte Einrichtung“. Der Vorstand und die Hauptakteure dort seien dem „politischen Salafismus“ zuzuordnen. Dieser Islamismus ist laut Verfassungsschutz eine gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete extremistische Ideologie. Die Übergänge der auf Propaganda setzenden Strömung zu den dschihadistischen Salafisten, die auf Gewalt setzten, seien fließend. Zwar werde die Moschee überwiegend von Personen besucht, die von der Innenverwaltung nicht dem salafistischen Spektrum zugerechnet werden. Doch den Angaben zufolge haben die Moscheebetreiber wiederholt salafistischen Predigern eine Plattform geboten, die frauenfeindliche, homophobe und antisemitische Positionen verbreitet haben.

Besorgte Lehrer

Der Abgeordnete Schreiber spricht vor dem Hintergrund der in Berlin steigenden Zahl von Salafisten und Gefährden von unhaltbaren Zuständen: „Es ist oberstes Ziel des Staates, genau hinzuschauen und einzuschreiten, wenn es Hinweise gibt“, sagte Schreiber dem Tagesspiegel. Nötig sei ein zügiger Austausch zwischen dem Senat und dem Bezirk Neukölln. Es bestehe Zeitdruck: „Hier länger abzuwarten ist töricht:“ Schreiber erinnerte an das noch unter Ex-Innensenator Frank Henkel (CDU) vor vier Jahren eingeleitete Verbotsverfahren gegen den Moscheeverein „Islamische Gemeinschaft Berlin“, das anschließend im Sande verlief.

Der Leiter des Jugend- und Familienzentrums wollte sich nicht zu den Kursen und Schülerzahlen der Angebote in der Al-Nur-Moschee äußern. Er verwies auf den Imam. Der vom Imam persönlich in Aussicht gestellte Rückruf ist am Sonntag nicht erfolgt. Die Leiterin der benachbarten Neuköllner Grundschule, Astrid-Sabine Busse, schätzt, dass etwa ein Drittel ihrer 650 Schüler am Wochenende zum Unterricht in das Jugend- und Familienzentrum der Moschee gehen.

Sie berichtet, dass die Schülerinnen, die mit schwarzem Kopftuch zur Schule kämen, immer jünger seien. Im Unterricht mit ihnen über ihren Körper zu sprechen, werde immer schwieriger. Busse kritisiert zudem, dass der Unterricht der Moschee abgeschirmt von der Öffentlichkeit sei. Nötig sei stattdessen ein staatlich kontrollierter Religionsunterricht mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern.

Die Sicherheitsbehörden gehen von rund 1000 Salafisten in Berlin aus, die Hälfte davon wird als gewaltbereit eingestuft. Die Zahl der religiös motivierten Gefährder, denen jederzeit ein Terroranschlag zugetraut wird, liegt laut Innenverwaltung im oberen zweistelligen Bereich. Das sind jeweils etwas mehr als Mitte 2018. Auch die Zahl der Ausreisen in Kampfgebiete in Syrien und Irak ist steigt: Laut Senat waren es seit 2012 insgesamt 130 Personen aus Berlin „mit islamistischer Motivation“ – zehn mehr als Mitte 2018. Fast die Hälfte davon sind deutsche Staatsbürger, etwa 20 in das Konfliktgebiet ausgereiste Personen sind gestorben.

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