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Viele Quereinsteiger auch in Grundschulen: Jahrelang gab es kaum Studienplätze für Grundschulpädagogen in Berlin.

© imago/wolterfoto

Exklusiv

Quereinsteiger in Berlin: Ungelernte Lehrer ballen sich im sozialen Brennpunkt

Manche Berliner Schulen haben fast 30 Prozent Quereinsteiger als Lehrer, andere gar keine. Erstmals musste der Senat die Zahlen offenlegen.

Quereinsteiger sind ein großes Thema in Berlin – allerdings längst nicht in allen Schulen. Im Gegenteil: Die ungelernten Pädagogen sind extrem ungleich in der Stadt verteilt. Dies belegt eine dem Tagesspiegel vorliegende Antwort auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck. Demnach liegt die Spanne bei der Quereinsteigerquote zwischen null und fast 30 Prozent. Den besonders betroffenen Schulen sollen künftig sogenannte Ausbildungsnavigatoren dabei helfen, die neuen Kräfte einzuarbeiten.

Aus Langenbrincks Anfrage geht hervor, dass weit über die Hälfte der knapp 700 Schulen kaum mit Quereinsteigern arbeiten muss. Die meisten Schulen haben nur ein bis drei Quereinsteiger in ihren Kollegien. Es gibt allerdings über 100 Schulen, in denen die Quote über zehn Prozent liegt. Da die Zahlen vom 1. November stammen und inzwischen weitere Lehrkräfte wegen Schwangerschaft, Krankheit oder Ruhestand ausfielen oder sich haben versetzen lassen, dürfte der Anteil inzwischen noch viel höher liegen.

An der Eduard-Mörike-Grundschule gibt es zehn Quereinsteiger

Bislang steht die Neuköllner Eduard-Mörike-Grundschule an der Spitze: Hier gibt es unter 35 Lehrern zehn Quereinsteiger, wobei drei von ihnen nicht nur ein, sondern sogar zwei Fächer berufsbegleitend nachstudieren müssen. Sie haben also zunächst keine Zeit, in das Referendariat einzusteigen, das ihnen helfen soll, das praktische Handwerkszeug für den Unterricht zu erwerben. Auch die Carl-Craemer-Grundschule in Gesundbrunnen ist sehr vom Lehrermangel betroffen: Hier ist fast jeder Vierte ein Quereinsteiger, und unter ihnen sind sogar acht, die noch zwei Fächer im berufsbegleitenden Studium nachholen müssen.

Rektorin Kirsten Sümenicht betonte am Montag, dass sie „sehr gute Erfahrungen“ mit ihren Quereinsteigern gemacht habe. Allerdings wunderte sie sich darüber, dass es immer noch Schulen mit ausschließlich voll ausgebildeten Lehrern gibt. Sümenicht wünscht sich, dass die Quereinsteiger im Studium „noch passgenauer“ auf den Anfangsunterricht vorbereitet werden, also dass es dort „mehr um Alphabetisierung als um Emilia Galotti“ geht. Besonders gravierend findet es die Rektorin, dass sie „keinen einzigen Sonderpädagogen“ hat – bei 40 Integrationskindern, darunter zehn mit geistiger Einschränkung. Die ganze Arbeit müssen pädagogische Unterrichtshilfen leisten.

Quereinsteiger ballen sich in den sozialen Brennpunkten

Aus der Übersicht in der Anfrage Langenbrincks geht zudem hervor, dass weitere Schulen wie die Neuköllner Silberstein-Grundschule, die Carl-Bolle-Grundschule in Moabit, die Carl-Schurz-Grundschule in Spandau oder die Wilhelm- Hauff-Grundschule in Wedding rund 20 Prozent Quereinsteiger oder mehr haben. Unter den Sekundarschulen gilt das für die Willy-Brandt-Schule in Mitte.

Bisher war nur bekannt, dass sich die Quereinsteiger in den sozialen Brennpunktbezirken ballen und dass ihre Quoten je nach Schulform sehr unterschiedlich sind: Die Grundschulen liegen mit durchschnittlich sechs Prozent vorn, weil es in Berlin jahrelang kaum Studienplätze für Grundschulpädagogen gab. Langenbrinck wollte aber die Quote an jeder einzelnen Schule wissen – was ihm von Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD) zunächst verwehrt wurde – mit dem Argument, dass der Senat bei der Beantwortung schriftlicher Anfragen in der Regel „keine Schuleinzeldaten“ veröffentliche.

Damit wollte sich der Abgeordnete aber nicht zufrieden geben. Darum fragte er jetzt erneut nach, wobei er sich – wie schon bei einer Anfrage zu den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten – erneut auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe bezog: Er fragte, wie der Senat die „Nicht-Zurverfügungstellung“ der Zahlen „im Lichte des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur weiteren Stärkung des verfassungsrechtlichen Auskunftsrechts von Abgeordneten“ begründe. Daraufhin schreibt Rackles in der neuen Antwort, dass der Senat an seiner vormals geäußerten Bewertung „nicht mehr festhält“. Auf diese Weise wurde das Ausmaß der Ungleichverteilung der Quereinsteiger bekannt.

Anreize für Lehrer an Brennpunktschulen

Auf die Frage des Tagesspiegels, ob die Bildungsverwaltung zu einer besseren Verteilung der ungelernten Kräfte beitragen könnte, teilte Sprecherin Beate Stoffers mit, dass gerade „intensiv“ geprüft werde, „ob uns nicht zum Teil eine Steuerung gelingen kann“. Als Beispiel für eine solche Steuerung nannte die bildungspolitische SPD-Sprecherin Maja Lasic, dass es für Brennpunktschulen möglicherweise vorgeschaltete Lehrercastings geben könnte. Zudem will die Koalition Anreize schaffen, dass Lehrer freiwillig an Brennpunktschulen gehen. Die zunächst erwogene Möglichkeit, den dortigen Lehrern eine Zulage zu zahlen, wurde aber inzwischen dem Vernehmen nach aus verschiedenen Gründen verworfen.

Es könnte jetzt darauf hinauslaufen, dass Lehrer eine Stunde weniger unterrichten müssen, wenn sie an Schulen arbeiten, an denen etwa drei Viertel der Schüler aus Sozialtransferfamilien kommen. Eine Entlastung um zwei Stunden wird erwogen, wenn die Quote über 90 Prozent liegt. Dafür stehen dieses Jahr 8,6 Millionen Euro bereit. Weitere Entlastung sollen die erwähnten Ausbildungsnavigatoren bringen, die sich auch um Referendare kümmern sollen. Insgesamt fließen 2018 rund 26 Millionen Euro zusätzlich in die Quereinsteiger – darunter für einen vorgeschalteten „Kompaktkurs“ zur Einarbeitung sowie für die Absenkung der Stundenverpflichtung von 19 auf 17 Wochenstunden.

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