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Mona Lisa von Allenstein, bürgerlich Ralf Schlegel, hat bewusst nicht völlig die Identität einer Frau angenommen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Weltfrauentag 2018: "Tag des Respekts vor der Identität als Mensch"

Mona Lisa von Allenstein war früher katholischer Pfarrer in Norddeutschland. An ihrem ersten Weltfrauentag feiert sie die Eroberung ihrer Identität.

Heute hat sie anthrazit-grauen Nagellack aufgetragen. Die dunkelblonden Haare sind hinter die Ohren gestreift, deshalb sieht man ihre schwarzen Plugs so gut, diese Knopf-Ohrringe. Und auf den Pailletten ihres grauen Kleids liegt ein silbernes Medaillon, Teil einer Halskette. In der Hand hält Mona Lisa von Allenstein eine Tasse. Sie wackelt so stark, die Tasse, dass der Kaffee darin schwappt.

Die wackelnde Tasse ist eine Demonstration. Mona Lisa von Allenstein sitzt in einem Büro des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) am Nollendorfplatz, sie blickt fast triumphierend, als sie sagt: „Mein Vorgesetzter hatte damals eine Tasse in der Hand, als ich bei ihm war. So wie jetzt hat er gezittert, als ich sagte: Wissen Sie, ich will mich nicht mehr verbiegen. Ich gebe meinen Beruf auf.“

Der Vorgesetzte war der Bischof von Osnabrück, es war ein Tag im Sommer 2009. In einem schlichten Büro, vor einem zitternden Zuhörer, beendete der katholische Pfarrer Ralf Schlegel seine Laufbahn in der Kirche.

Drei Monate zuvor hatte Pfarrer Schlegel einen anderen Auftritt spektakulär beendet. In der katholischen Kirche in Leer, Ostfriesland, hörten die Gottesdienst-Besucher aufgeschreckt die letzten Sätze seiner Predigt: „Ich lebe zölibatär, aber damit ihr es auch alle wisst: Ich bin auch schwul.“ Ein Satz wie eine Befreiung, er beendete die wochenlangen Gerüchte, die es um ihn gegeben hatte.

Kein harter Schnitt, sondern ein langsamer Prozess

2013 stand der ehemalige Pfarrer Ralf Schlegel vor einem Spiegel, beobachtete sich prüfend und fand, dass er mit der Frauen-Perücke, die er trug, eigentlich ganz gut aussah. Er hatte sie geschenkt bekommen, aber ohne tiefere Bedeutung. Es war der Tag, an dem das Leben des bis dahin freiberuflichen Trauerredners Schlegel als Frau mit dem Kunstnamen Mona Lisa von Allenstein begann.

Es war kein harter Schnitt, es war keine Entscheidung: Ab sofort bin ich eine Frau. Es war ein langsamer Prozess, die Szene vor dem Spiegel bedeutete nur, dass er erstmals das Gefühl spürte, er wolle gerne als „weibliche Person“ weiterleben. Das Wort „Frau“ ist ihm eigentlich zu hart. Er ist ja jetzt auch nicht wirklich erkennbar eine Frau. Die Stimme ist tief, die Gesichtszüge sind weich, aber unverkennbar männlich. Mona Lisa von Allenstein trägt eine dunkelblonde Perücke mit hellblonden Strähnen. „Ich lebe transident“, sagt die 54-Jährige.

Eine Geschlechtsumwandlung kam nie in Frage, dafür hatte sie zu viel Angst vor Komplikationen. 2008, noch als Pfarrer Schlegel, lag sie wegen schwerer Herzprobleme wochenlang im Krankenhaus. Die Ärzte gaben stark testosteronblockierende Blutverdünner. Insgesamt fünf Jahre lang erhielt sie diese Substanz.

„Ich wollte nicht mehr enthaltsam leben“

Im Krankenhaus fragte sich Pfarrer Schlegel einerseits, ob er denn wirklich in sein altes Leben zurück wollte, ins Gefühl der emotionalen Einsamkeit, wieder zu den Stunden, in denen er zu Hause mit seinen Hunden ins Kaminfeuer starrte, weil in Leer so wenig los war. Dass er schwul war, wusste er schon, als er sich beim Studium in Erfurt, zu DDR-Zeiten, in einen Kommilitonen verliebt hatte. Nein, keine Rückkehr mehr. „Ich wollte nicht mehr enthaltsam leben.“

Aber die Blutverdünner leiteten auch noch eine andere Entwicklung ein. „Etwas feminin bin ich ja schon immer rüber gekommen“, sagt Mona Lisa über Mona Lisa von Allenstein. „Ich bin ja eher der Muddi-Typ.“ Sie sagt „Muddi“, ganz weich, nicht das harte „Mutti“. Durch die Blutverdünner „habe ich immer stärker meine mütterliche Seite wahr genommen.“ Seine Gefühlswelt verändert sich langsam, aber unaufhörlich. Aber erst vor dem Spiegel hatte er erstmals ein Gefühl dafür, wie sehr er sich verändert hat.

Und jetzt dieses Datum. Weltfrauentag, 8. März. Was empfindet die Frau mit dem Kunstnamen Mona Lisa von Allenstein an diesem Tag? Ihre Blicke irren kurz durch den Raum, eine Pause entsteht. „Na ja, für mich hat der Tag vor allem eine politische Dimension.“ Mona Lisa von Allenstein hat sich viel mit Clara Zetkin befasst, der deutschen Sozialistin, die maßgeblich den ersten Weltfrauentag 1911 in Deutschland initiiert hatte, die enormen Anteil daran hat, dass Frauen Rechte erkämpft haben.

Ein jahrelanger Kampf mit sich selbst

Aber Mona Lisa von Allenstein, bürgerlich noch immer Ralf Schlegel, wohnhaft seit 2013 in Berlin, hat nie völlig die Identität einer Frau angenommen. Die tiefe Stimme ist zugleich auch so etwas wie eine identitäre Grenzlinie. Frau sein, das bedeutet für ihn, auch Brüste und Eierstöcke zu besitzen. Die Perücke, die lackierten Fingernägel, der Lidstrich, das sind für ihn maximal die Botschaften seiner neuen Identität. „Ich sehe den Weltfrauentag eher als Tag des Respekts vor der Identität als Mensch.“

Respekt vor der eigenen Identität, das ist ja sein Kernthema seit vielen Jahren. Er kämpft um den Respekt seines Umfelds. Aber er kämpfte jahrelang auch mit sich selber. Der Mann Ralf Schlegel respektierte ja nicht mal seine eigenen Bedürfnisse. Die erste große Liebe, zum Nachbarn im Wohnheim, die durfte er ja nicht ausleben. Er bereitete sich auf die Priesterweihe vor, er musste seine Liebesgefühle irgendwann abblocken. Einem Priester vertraute er sich doch an, im Beichtstuhl. „Dieses Gespräch habe ich dann in meiner Stasi-Akte gefunden.“

„Es ist ein Mensch“

Nach der Wende, in Rostock, später in der Nähe von Osnabrück, arbeitete Schlegel als Jugendseelsorger, mit genügend kleinen Signalen, dass viele Bescheid wussten. „Die Jugendlichen merkten, dass ich schwul bin, aber keiner sagte etwas.“ In Leer, seiner späteren Gemeinde, ahnten sie etwas. Den Gottesdienstbesuchern fielen die farblos lackierten Fingernägel auf, als sie die Hostien empfingen. Doch erst in seiner Predigt offenbarte sich Schlegel als schwul. Kurz darauf bat er den Bischof um ein Gespräch. Heute kämpft Mona Lisa von Allenstein um eine Erwerbsminderungsrente und lebt von Hartz IV. Beim LSVD hat sie sich um einen Job als Projektmitarbeiterin beworben. Deshalb ist sie an diesem Tag hier.

In ihren früheren Gemeinden wissen sie natürlich von der Frau mit dem Kunstnamen Mona Lisa von Allenstein. Seltsamerweise, sagt sie, „haben die Älteren, die 75- und 80-Jährigen, damit keine Probleme“. Probleme mit der neuen Rolle hätten vor allem die Jüngeren. Weshalb, weiß sie nicht genau.

In Berlin aber läuft sie unauffällig im Alltag mit. Einmal aber, das schon, wurde sie in der U-Bahn von einer Frau angespuckt, „ungefähr 40, Typ Sekretärin“. Es war eines von zwei prägenden Erlebnissen in der U-Bahn. Das zweite hatte vor rund 18 Monaten stattgefunden. Ein kleines Mädchen fragte ihre Mutter: „Mama, ist das ein Mann oder eine Frau?“ Mona Lisa von Allenstein antwortete: „Es ist ein Mensch.“ Die Mutter ließ es einfach stehen. In diesem Moment durchströmte Mona Lisa von Allenstein ein ungeheures Glücksgefühl. „Das fand ich von der Mutter so wunderschön.“

Sie hatte ihren Tag des Respekts vor der Identität von Menschen erlebt.

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