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Konversionstherapien geben vor, Homosexualität „heilen“ zu können – wofür es keinerlei Nachweise gibt.

© imago/Westend61

Verbot von "Homo-Heilern" gefordert: „Ich blieb schwul, wurde aber suizidal“

Umpolungs-Therapeuten meinen, Homosexuelle „heilen“ zu müssen - auch in Deutschland. Wissenschaftler warnen vor Gefahren für die Betroffenen, die meist von religiösen Gruppen unter Druck gesetzt werden.

„Ist Homosexualität angeboren?“ Wer das bei Google sucht, gelangt als erstes auf die Internetseite des „Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft“ (DIJG). Ein Artikel unter dieser Überschrift behauptet dort, dass „Veränderung“ einer „homosexuellen Neigung“ möglich sei. Die Autoren fordern ein „Recht auf Therapie“. Konversionstherapie für Schwule und Lesben? Das fordert bis heute ein christlich-evangelikales Netzwerk in Deutschland. Es behauptet, dass Homosexualität eine Krankheit und somit heilbar sei. Seit Jahren ist bekannt, dass Gruppen wie der „Bund katholischer Ärzte“ Umpolung bewerben – oder eben das DIJG, hinter dem ebenfalls eine christlich-fundamentalistische Gruppe steckt.

Dazu haben sie eine Parallel-Wissenschaft etabliert. Es gibt regelmäßige Publikationen, die wie wissenschaftliche Zeitschriften aussehen. Die evangelikale Organisation „Wüstenstrom“ hat sich nun in „Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung“ umbenannt. Trotz des wissenschaftlich klingenden Namens: Die „Therapien“, die viele dieser Organisationen und evangelikalen Prediger anbieten, werden meist nicht von approbierten Ärzten durchgeführt.

Ein Verein in Sachsen-Anhalt lehrt, Homosexualität sei eine "Störung"

Das Netz der Homoheiler reicht bis nach Sachsen-Anhalt, in das kleine Dorf Bennungen im Südharz. Dort sitzt die „Gesellschaft für Lebensorientierung e.V.“ (Leo), deren Vorsitzender Bernhard Ritter jahrelang evangelischer Pfarrer der Kirchengemeinde im Ort war. Der Verein bietet zwei Mal jährlich Seminare an. Bereits 2014 wurde durch Aufzeichnungen eines Teilnehmers bekannt, das dort gelehrt wird, Homosexualität sei eine „Störung“. Seminarunterlagen, die der Journalist Silvio Duwe im April diesen Jahres auf Twitter veröffentlichte, belegen, dass der Verein „Änderung“ anbietet. Der Vereinsvorsitzende betonte auf Nachfrage stets, nur Menschen helfen zu wollen, die mit einem Problem zu ihm kommen.

Der Fall Leo zeigt, dass es weiterhin Menschen gibt, die mit ihrer sexuellen Orientierung unzufrieden sind und deswegen nach Hilfe suchen. „Insbesondere religiös gebundene Leute erfahren Ablehnung in den Kirchengemeinden, weil sie homosexuell sind“, sagt Kurt Seikowski, Psychologe an der Uniklinik Leipzig. „Bei Konversionstherapien werden diesen Menschen Schuldgefühle eingeredet. Sie sollen sich selber ablehnen.“ Dies führe zum zwanghaften Versuch, das andere Geschlecht zu begehren; in der Konsequenz jedoch zu Depressionen, Suizidgedanken oder tatsächlichem Selbstmord. Seikowski kann daher Patienten, die sich mit ihrer sexuellen Orientierung unwohl fühlen, nur sagen: „Das geht nicht zu ändern.“ Sexuelle Phantasien könne der Mensch nicht kontrollieren.

„Konversionstherapien arbeiten mit sozialem Druck und Erpressung“

Wissenschaftler weisen auf die Gefahr solcher Angebote hin. „Konversionstherapien arbeiten mit sozialem Druck und Erpressung“, sagt Heinz-Jürgen Voß, Professor_in für Angewandte Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg. Neben einer „Behandlung“ durch Gespräche wurde bis in die 1960er Jahre die „Aversionstherapie" für Homosexuelle angewandt. Patienten bekamen homoerotische Bilder zu sehen und im gleichen Moment einen Elektroschock. So sollte eine Abneigung gegenüber der gleichgeschlechtlichen Lust entstehen.

Erst mit der 68er-Bewegung gab es ein langsames Umdenken in Deutschland. Die Schwulen- und Lesbenbewegung begann, Akzeptanz einzufordern. Allerdings sollte es noch bis 1992 dauern, bis die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität als Krankheitsbild aus dem ICD-Diagnosekatalog strich. Seitdem wird homosexuelle Liebe als natürliche Variation der menschlichen Sexualität bewertet, die keiner Veränderung bedarf. Der Weltärztebund machte diese Position 2013 noch einmal deutlicher. In einer Erklärung verurteilte er Konversionstherapien als „Menschenrechtsverletzungen“: „Diese sogenannten Therapien stellen eine ernste Gefahr für die Gesundheit dar.“

Manche Regierungen verbieten diese "Therapien" inzwischen

Homo-„Heiler“ gibt es in Deutschland heute meist nur in streng religiösen Gruppen, sie stehen außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams. Doch die Idee, das bestimmte sexuelle Orientierungen oder geschlechtliche Identitäten krankhaft seien, lebt fort. Noch immer müssen Menschen, die sich dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht zugehörig fühlen, durch psychologische Gutachten für krank erklären lassen. Denn erst wenn die „Geschlechtsidentitätsstörung“ diagnostiziert wurde, dürfen Transgender ihr Geschlecht angleichen, so regelt es das „Transsexuellengesetz“. Asexuelle, die kein Verlangen nach sexueller Interaktion haben, werden laut Seikowski meist mit der Diagnose „ich-dystone Sexualorientierung“ psychologisch behandelt, einem Krankheitsbild im Bereich der Persönlichkeits- und Verhaltensstörung. Diese Störung liege vor, wenn Menschen eine Orientierung als nicht zu sich gehörend wahrnehmen, so der Diagnose-Katalog der WHO. Dabei wäre es lediglich nötig, die Gesellschaft über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt aufzuklären und Asexuelle zu akzeptieren, meint Seikowski.

Mittlerweile fangen Regierungen an, Konversionstherapien gesetzlich zu verbieten. Dies hatte bereits 2013 der Weltärztebund gefordert. In den USA verbieten bislang elf von 50 Bundesstaaten solche „Therapien“ an Minderjährigen. In Kalifornien ging man im April weiter: Dort brachte das Regionalparlament ein Gesetz ein, das Konversionstherapien auch an Erwachsenen unter Strafe stellt. In der EU ist Malta das erste Land, das solche Praktiken für Minderjährige untersagt.

Folter mit Elektroschocks und Verbrennungen

Überlebende von Homo-„Heilung“ aus den Vereinigten Staaten schlossen sich bereits 2014 zusammen, um solche „Therapien“ als Folter zu brandmarken. Vor dem Komitee der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Anti-Folter-Konvention berichtete im November desselben Jahres erstmals ein Opfer von Konversionstherapien über die unmenschliche Behandlung. Samuel Brinton erzählte unter Tränen, wie er als Zehnjähriger mit Elektroschocks, Nadelstichen und Verbrennungen gefoltert wurde: „Nach alledem blieb ich schwul, war aber dem Suizid nah.“ Daraufhin äußerten mehrere Mitglieder des Komitees ihre Bedenken gegenüber den Vertretern der USA, das solche Praktiken noch an Minderjährigen stattfinden.

Auch in Deutschland sind diese Pseudo-Therapien noch erlaubt. Aktivisten des „Aktionsbündnis gegen Homophobie“ sind nach dem Skandal um den Leo-Verein aktiv geworden. In einer Petition auf der Kampagnen-Seite „All Out“ fordern sie den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, Konversionstherapien zu verbieten. Über 22 000 Menschen haben seit Anfang Mai unterschrieben. „Nicht ohne Grund weisen Ärzte immer wieder auf die Gefahren solcher Angebote hin“, sagt Sören Landmann, Initiator der Kampagne. „Der Schutz des Kindeswohls muss oberste Priorität haben, deswegen fordern wir ein gesetzliches Verbot, um diese Gefahren abzustellen.“ Eine solche Regelung könne Ärzten, Eltern und Kindern die Sicherheit geben, dass nicht die sexuelle Orientierung das Problem ist, sondern die Diskriminierung durch die Gesellschaft.

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