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"Tapetenwechsel" im Schwulen Museum: Vom Eldorado in den Alltag

Das Schwule Museum wird 30 Jahre alt. Kurator Wolfgang Theis war von Anfang an dabei. Ein Rundgang durch die Jubiläumsausstellung "Tapetenwechsel".

Achtung, der Bär ist in Gefahr. Doch Rettung naht. Wolfgang Theis schnappt sich das weiße Styroportier, das mit Unterschriften und Lippenstiftküssen übersät ist, und hebt es schnell ein paar Meter beiseite. Jetzt können seine Kollegen ohne Kollisionsgefahr eine schwere Vitrine platzieren.

Ein paar Tage bevor zwei neue Ausstellungen im Schwulen Museum eröffnen, gibt es noch einiges zu tun, aber der größte Teil der Hommage an René Koch steht schon. Zu seinem 70. Geburtstag feiert das Museum den Visagisten, Travestiekünstler und Charity-Aktivisten unter dem Titel „Die Kunst des schönen Scheins“ mit zahlreichen Fotografien und Objekten – darunter der weiße Bär – aus seiner schillernden Karriere.

In den beiden vorderen Räumen läuft zeitgleich die Jubiläumsausstellung zum 30. Geburtstag des Schwulen Museums. Sie heißt „Tapetenwechsel“ und ist als Streifzug durch die Sammlungsgeschichte angelegt. Also streifen wir mit Kurator Wolfgang Theis hinüber zur Präsentation der Archivschätze des Museums. Zentral im ersten Raum steht eine Büste von Magnus Hirschfeld, dem Begründer des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft und Pionier der deutschen Homosexuellen-Emanzipation. Wie sein Institut aussah, bevor es im Mai 1933 von einem „Sieg Heil!“ brüllenden Mob verwüstet wurde, zeigt ein weißes Holzmodell. „Das haben wir für eine Ausstellung zu hundert Jahren Schwulenbewegung in der Akademie der Künste machen lassen“, sagt Theis. „Nur über solche Großprojekte kann man sich so etwas leisten.“ Anschließend wandern solche Objekte in die Sammlung.

Ein kleines Museum muss kreativ sein, will es seine Bestände vergrößern. So hat das Team des lange am Mehringdamm und seit zwei Jahren an der Lützowstraße ansässigen Hauses bei Kunstausstellungen stets zur Bedingung gemacht, dass ein Werk des Künstlers in der Sammlung blieb. Auf diese Weise kam das Schwule Museum etwa in den Besitz eines Porträts des griechischen Dichters Konstantinos Kavafis, gemalt vom schwulen Berliner Künstler Rinaldo Hopf. Jetzt hängt es gegenüber von Magnus Hirschfeld.

Mit Hopf, von dem in der „Tapetenwechsel“-Ausstellung auch noch ein großes Pasolini- und ein Marlene-Dietrich-Porträt zu sehen sind, kennt Theis sich gut aus. Zuletzt kuratierte er 2013 unter dem Titel „Trickster“ eine Schau seiner Werke. Außerdem ist das erste Stück seiner eigenen Sammlung von Hopf: „Ein Klaus-Mann- Porträt. Das ist jetzt aber nicht ausgestellt, weil wir nächstes Jahr im Herbst eine Klaus- und Erika-Mann-Ausstellung planen“, sagt der 1948 im schwäbischen Gärtringen geborene Filmwissenschaftler.

Seit 1969 ist Theis in Berlin, wo er in den Achtzigern als studentische Museumsaufsicht im Berlin Museum (heute: Märkisches Museum) arbeitete, genau wie Andreas Sternweiler und Manfred Baumgardt. Die drei schlugen dem damaligen Direktor vor, eine Ausstellung über homosexuelles Leben zu erarbeiten. Sie bekamen den Zuschlag und konnten im Sommer 1984 „Eldorado – Geschichte, Alltag und Kultur homosexueller Frauen und Männer 1850–1950“ zeigen, die rund 40 000 Besucher sahen.

Ein Erfolg, der den Wunsch nach einem eigenen Museum befeuerte. Man wollte die Sache selber in der Hand haben. Theis erinnert sich: „Wir hatten uns in der Akademie der Künste eine Ausstellung über die Lebensreformbewegung angeguckt. Da gab es gerade mal eine Ecke mit drei Dokumenten zu Homosexuellen – bei dem Thema! Da haben wir uns gesagt: Das geht nicht, das können wir nicht den Heteros überlassen, die kriegen das nicht auf die Reihe.“

"Porn That Way" war eine der erfolgreichsten Ausstellung am neuen Ort

Ein Verein wurde gegründet und 1986 in den Räumen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft in der Friedrichstraße die erste eigene Ausstellung eröffnet. Allein im 1988 bezogenen Hinterhaus am Mehringdamm sollten über 130 weitere folgen. Nach dem Umzug in die größeren, aber auch teureren Räume in der Lützowstraße gab es im letzten Jahr eine „schlimme Durststrecke“, so Theis. Die Rettung war Ende letzten Jahres die Ausstellung „Porn That Way“, die sich fast ohne Presseresonanz zum Publikumsmagnet entwickelte. „Wenn wir früher Geldsorgen hatten, haben wir etwas Pornografisches gemacht“, sagt Theis lächelnd.

Die aktuelle Ausstellung dreht sich um Kunst, Alltagskultur und Politik. In einer Installation wird ein Bild von Helmut Kohl gezeigt. „Er ist ja der Befreier der Schwulen, denn in seiner Regierungszeit wurde der Paragraf 175 endgültig aufgelöst“, sagt der Kurator – nicht ohne nachzuschieben, dass dem Ex-Kanzler diese Leistung wiedervereinigungsbedingt in den Schoß gefallen ist. Die DDR hatte das diskriminierende Gesetz bereits 1968 gestrichen.

Charlotte von Mahlsdorfs Schuhe unter Glas

Ein Stück Ost-Geschichte ist gleich am Beginn der „Tapetenwechsel“-Schau zu sehen. Auf einer rosa gestrichenen Säule steht unter Glas ein Paar hochhackiger weißer Schuhe. Sie gehörten Charlotte von Mahlsdorf, Initiatorin des Gründerzeitmuseums in Mahlsdorf, dessen Kellerkneipe ein Treffpunkt der Ost-Berliner Schwulenbewegung war. Als die Trans-Frau 1985 Rentnerin war, durfte sie in den Westen reisen und stand eines Tages im Hinterhof des Schwulen Museums. Wolfgang Theis erinnert sich: „Sie trug Faltenrock, Persianer und wahrscheinlich sogar diese Schuhe hier.“ Von Mahlsdorf stellte sich vor und blieb dem Schwulen Museum bis zu ihrem Tod 2002 verbunden. Sie war eine Dame mit Geschmack – ihre Schuhe beweisen es.

Schwules Museum, „Tapetenwechsel – Ein Streifzug durch 30 Jahre Sammelgeschichte“, bis 12. Mai, Mo, Mi, Fr, So 14–18 Uhr, Do 14–20 Uhr, Sa 14–19 Uhr.

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